Monaco war ein Dschungel. Überall rankten sich Leitplanken aus dem Boden. Die Straßen waren uneben, holprig, geradezu von wilden Zebrastreifen übersät und mit hinterlistigen Kanaldeckelfallen versehen. Und all überall schlichen Fotografen, Journalisten und angeblich fürchterlich wichtige very important persons durch die engen, winkligen Gassen zwischen den von Wasser umgebenen Yachten.

Doch nur wenige Tage später verschlug es die zwanzig tapferen Fahrerlein aus dem Leitplankendschungel des Fürstentums in ein noch sehr viel gefährlicheres Gelände: Die Grüne Hölle. Anstelle von lodernden Flammen und aufsteigendem Rauch drohte ihnen in der unerwarteten Eifelhitze jedoch eine ganz andere Gefahr: Der eigene Gummi.

Die letzte Runde

Fernando machte das Sieg-Quartett voll., Foto: Sutton
Fernando machte das Sieg-Quartett voll., Foto: Sutton

Das letzte was ein Rennfahrer gebrauchen kann, ist ein unverschuldeter Ausfall in der letzten Runde des Rennens. Was ein Rennfahrer aber noch weniger gebrauchen kann, ist das Mitleid der Konkurrenten für einen Ausfall in der letzten Rennrunde.

Aber genau dieses bekamen McLaren Mercedes und Kimi Räikkönen nach ihrem gescheiterten Anlauf zum Sieg-Hattrick beim Heimspiel auf dem Nürburgring pausenlos zu hören. Egal ob Renault-Chefrenningenieur Pat Symonds, BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen, Weltmeister Michael Schumacher oder dessen Teamkollegen Rubens Barrichello: Alle sprachen davon, dass es "eine Schande" und ein "bitterer Rückschlag" für die Silbernen gewesen sei.

Dabei tragen die Verantwortlichen am Kommandostand durchaus eine gewisse Verantwortung an Kimis Abflug und den verlorenen "zehn wichtigen WM-Punkten". Denn der Bremsplatten am rechten Vorderreifen des Finnen, welcher durch extreme Vibrationen die Vorderradaufhängung zum Kollaps brachte, war dem Team schon viele Runden bekannt.

"Kimi kämpfte über 15 Runden mit verwackelter Sicht und wir diskutierten mit ihm die Reifensituation", verriet Teamboss Ron Dennis, der zusammen mit dem Team und dem Fahrer entschied den Sieg anzuvisieren und keinen Reifenwechsel vorzunehmen. "Und niemand, eingeschlossen Kimi, bedauert diese Entscheidung."

Stattdessen betont Dennis, dass das "Leben voller Risiken" stecke und die Entscheidung der Silbernen zu "100% richtig" gewesen sei. "Wir haben die richtige Entscheidung getroffen. Es gab nicht genügend ausreichende Beweise. Wir unternahmen alles, was nötig war um zu gewinnen - beinahe jedenfalls."

Kimi musste das Fahrerlager ohne Pokal verlassen., Foto: Sutton
Kimi musste das Fahrerlager ohne Pokal verlassen., Foto: Sutton

Und während ein zutiefst "frustrierter" Ice Man nach einer erneut dominanten Vorstellung ohne WM-Punkte durchs Fahrerlager stapfte, erhielten die McLaren-Bosse für diese Entscheidung Rückendeckung aus Grove. "Wenn dieses Problem an einem Williams bestanden hätte, wären wir auch gecrashed", machte Technikchef Sam Michael klar. "Seine Position aufzugeben, wenn man in Führung liegt, ist schwierig und man würde alles tun um dies zu verhindern. Ich kann genau verstehen, was bei McLaren passiert ist. Es ist leicht sie zu kritisieren, aber wir hätten es genauso gemacht."

Schließlich möchte Williams genauso wie McLaren immer gewinnen. Michael Schumacher würde sagen: "Dafür bin ich hier. Um Rennen zu fahren und zu siegen. Nicht um eine Kaffeefahrt zu betreiben."

Allerdings überrascht es, dass McLaren einerseits bewusst das Risiko einging, da laut Ron Dennis "das ganze Leben voller Risiken" stecke, man aber gleichzeitig in Person von CEO Martin Whitmarsh das neue Reifenreglement kritisiert und für den Unfall verantwortlich macht.

"Die Reifensituation hat nun einen Präzedenzfall geschaffen, welcher demonstriert wie gefährlich die Regeln sind", kritisierte Whitmarsh. "Die Regeln haben uns in ein Dilemma gebracht, welches wir lieber nicht hätten." Anscheinend erscheint es den Silbernen aber leichter die Regeln, die bislang von allen Experten im Reifenbereich als "überraschend gelungen" und entgegen den Annahmen vor Saisonbeginn als "ungefährlich" eingestuft wurden, zu kritisieren, als einen Sieg aufzugeben und den Reifen einfach zu wechseln...

Die erste Kurve

Mark nimmt die Schuld für den Unfall auf seine Kappe., Foto: Sutton
Mark nimmt die Schuld für den Unfall auf seine Kappe., Foto: Sutton

Aber nicht nur in der letzten Runde gab es einen großen Knall. Auch in der ersten Kurve knallte es nach dem Start wieder einmal gewaltig. Neben Ralf Schumacher, der auf Fernando Alonso auffuhr und diesem damit für einige Runden jede Menge Angst um sein Arbeitsgerät bescherte, kam es auch zwischen Mark Webber und Juan Pablo Montoya zu einer Kollision.

"Nick und ich sind beim Start nicht gut weggekommen, daraus resultierten unsere unglücklichen Positionen in der ersten Kurve", beschrieb der Australier die Situation. "Auf der Innenseite wollten Jarno Trulli und Fernando Alonso an mir vorbei. Ich habe etwas später gebremst und wollte meine Position verteidigen. Vor allem wollte ich vor Jarno bleiben, das war für unsere Strategie wichtig. Dann konnte ich einfach nicht mehr rechtzeitig verzögern und bin Juan Pablo Montoya in die Seite gefahren."

Dennoch gesteht Webber offen ein, dass es "keine Entschuldigung" für den Feindkontakt mit dem Kolumbianer gebe und er die Schuld auf seine weiß-blaue Kappe nehme. "Es liegt nicht an Juan Pablo mir mehr Platz zu geben. Er lenkte sicherlich ein, aber er muss auch um die Kurve kommen..."

So richtig glücklich ist der Südamerikaner mit dem Schuldeingeständnis logischerweise nicht. "Ich bin enttäuscht", lautete sein zu erwartendes Fazit. "Ich hatte einen guten Start und lenkte als Dritter in die erste Kurve ein, als ich von Mark Webber getroffen wurde und abflog. Ich kam als 13. zurück und musste mir meinen Weg durch das Feld suchen."

Das vorletzte Drittel

Rubens durfte nach drei Stopps über Rang drei jubeln., Foto: Ferrari Press Office
Rubens durfte nach drei Stopps über Rang drei jubeln., Foto: Ferrari Press Office

Mit dem siebten Saisonlauf begann in der Eifel auch das zweite Saisondrittel. Und trotz aller Ankündigungen und Testfahrten ist Ferrari noch immer noch da, wo man und sie selbst sich erwartet hatten und sie in den vergangenen fünf Jahren auch immer Stammgäste waren: An der Spitze.

"Natürlich sind dies nicht die Ergebnisse die wir anstreben", gestand Jean Todt offen ein, "aber momentan müssen wir nehmen was wir bekommen können." Die Ansprüche in Maranello sind mittlerweile also weit nach unten geschraubt worden.

Ein Grund dafür ist die schlechte Qualifying-Performance, welche sich auch am Nürburgring wieder einmal bemerkbar machte. Und dies obwohl man nach der Änderung des Qualifying-Modus erwartet hatte besser abzuschneiden als unter dem alten System.

Stattdessen musste Michael Schumacher zugeben: "Fakt war heute, dass wir im Rennen schlichtweg nicht schnell genug waren. Bislang war es ja so, dass wir zwar im Qualifying langsamer, im Rennen dann aber oft schneller waren. Das war diesmal nicht so."

Entsprechend lautet die Quintessenz aller Ferrari-Statements, dass man "noch sehr viel arbeiten" müsse, "und zwar auf allen Bereichen". Dass Rubens Barrichello Dritter wurde und zum ersten Mal seit Melbourne wieder ein Ferrari-Fahrer auf dem Podest stand, war für den Weltmeister schon einmal "ein Schritt in die richtige Richtung".

Deshalb sagte sein zuletzt aufmüpfiger Teamkollege auch, dass es "für uns gar nicht so schlecht" aussehe. "Der Podestplatz ist ein großer Schub. Es zeigt, dass wir vorwärts kommen."

Auch in der Grünen Hölle ist die Hoffnung noch nicht ausgestorben., Foto: Sutton
Auch in der Grünen Hölle ist die Hoffnung noch nicht ausgestorben., Foto: Sutton

"Und das ist das Gute am Sport - es gibt immer Hoffnung", betont Schumacher. "Die Hoffnung stirbt immer zuletzt." Und bei Ferrari wohl nie...

Die Teamanalyse

Renault Auch wenn Fernando Alonso seinen vierten Saisonsieg erst in der letzten Runde durch einen Defekt bei der klar überlegenen Konkurrenz erbte, war die Freude bei den Gelb-Blauen unübersehbar und übermäßig groß. Dennoch muss festgehalten werden, dass Renault entgegen aller Comeback-Aussagen des Teams auch am Nürburgring niemals schneller als McLaren war. Die Tatsache, dass man den Vorsprung trotzdem in beiden WM-Wertungen ausbauen konnte, spricht allerdings für die Franzosen, deren zweiter Pilot weiterhin vom Pech verfolgt wird. Diesmal spielte die Technik Giancarlo Fisichella schon vor dem Start einen Streich, weshalb ihm endlich wieder einmal ein Erfolgserlebnis zu wünschen ist.

McLaren Während Juan Pablo Montoya weiter das Pech anzieht und zugleich seinem Teamkollegen unterlegen ist, kehrte nach zwei fehler- und konkurrenzlosen Rennwochenenden auch bei Kimi das Pech zurück, welches ihn zuletzt in Imola einen sicher geglaubten Sieg raubte. Diesmal schlug es nur noch unbarmherziger zu. Allerdings blieb auch der Finne in der Eifel nicht fehlerfrei und erlaubte er sich nicht nur einen Ausritt in die Botanik, sondern handelte er sich auch den letztlich entscheidenden Bremsplatten bei einem Überrundungsmanöver gegen Jacques Villeneuve ein.

Ralf im Kies: Ein Sinnbild für diese Saison?, Foto: Sutton
Ralf im Kies: Ein Sinnbild für diese Saison?, Foto: Sutton

Toyota Die Weiß-Roten hatten sich bei ihrem viel umjubelten Heimspiel sehr viel mehr als nur einen einzigen mickrigen WM-Zähler erhofft. Doch während Ralf Schumacher weiter seinem Teamkollegen hinterherfährt und den Unfall des Wochenendes auf seiner Seite zu verbuchen hatte, war auch dem Super-Qualifyer Jarno Trulli das Glück nicht hold und das Auto nicht stark genug, um nach der Drive-Through-Strafe noch eine Aufholjagd bis ganz nach vorne zu starten. Dennoch ist der Italiener davon überzeugt einen Podestplatz, vielleicht sogar den obersten, in Reichweite gehabt zu haben.

Williams Nach der Überraschung von Monaco ließen die Weiß-Blauen auch auf einer Strecke mit einer völlig anderen Charakteristik aufhorchen und überraschten sich mit dieser Leistung sogar selbst. In dieser Form und mit ähnlich viel Glück wie in Monaco und am Nürburgring, könnte bald sogar der erste Saisonsieg möglich sein. Bei den Fahrern scheint Nick Heidfeld derzeit auf einer Woge des Erfolgs meilenweit über Mark Webber zu schweben, der zwar auf seine Zweistoppstrategie pocht, diese aber aufgrund seines Fehlers nicht mehr anwenden konnte. Der Druck auf den Australier scheint zuzunehmen.

Ferrari Mehr Druck als bei Ferrari dürfte es nach den ersten sieben Rennen nirgends in der F1-Welt noch einmal geben. Aber immerhin konnte Rubens Barrichello mit seinem Podestplatz für zwei Dinge sorgen: Einen kleinen Aufwärtstrend und die Rückkehr der gelungenen Ferrari-Strategien, da die Roten ebenso wie Williams mit Heidfeld auf eine für ausgestorben gehaltene Dreistoppstrategie setzten - und damit Recht behielten. Michael Schumachers Titelchancen entschwinden derweil immer deutlicher am Horizont der WM-Tabelle.

Tonio konnte sich nicht lange gegen Schumacher erwehren., Foto: Sutton
Tonio konnte sich nicht lange gegen Schumacher erwehren., Foto: Sutton

Red Bull Für Red Bull hätte der Europa GP zu einem ähnlichen Freudentag wie der Auftakt-GP in Melbourne werden können. Doch aufgrund von David Coulthards Durchfahrtsstrafe verpasste der Schotte alle Chancen auf einen möglichen Podestplatz. Was die Dunkelblauen nach dem Rennen herunterspielten, dürfte das Team insgeheim dennoch erheblich ärgern. Schließlich bekommt man solche Chancen nicht bei jedem Rennen - und besonders dann nicht, wenn man diese schon bei den letzten beiden Rennen ohne die Beteiligung von British American Racing nicht ausnutzen konnte.

Sauber Schwer enttäuscht und noch nicht einmal angedeutet glücklich waren die Hinwiler von Sauber nach dem erneut punktlosen Abschneiden. Dabei sah es bis kurz vor Schluss noch recht gut aus. Felipe Massa konnte nach einem starken Rennen Schumacher und Montoya hinter sich halten und lag auf sicherem Punktekurs, als ihm sein linker Vorderreifen den Frontflügel zerschlug. Wie schon in Monaco kosteten also die Michelin-Pneus die Schweizer wohl verdiente Punkte...

Jordan Obwohl man auch bei Jordan vor dem Rennen von Punkten träumte, waren diese erwartungsgemäß mehr als nur außer Reichweite. Immerhin konnten beide Fahrer die Minardi ebenso weit hinter sich lassen, womit zumindest die Schmach von Monaco ausgewetzt wurde. Besonders spektakulär war der Auftritt der Gelben trotzdem nicht.

Die Weißen müssen noch weiter auf Geisterjagd im 007 gehen., Foto: Sutton
Die Weißen müssen noch weiter auf Geisterjagd im 007 gehen., Foto: Sutton

B·A·R Noch viel enttäuschender verlief unterdessen die Rückkehr von British American Racing, die während ihrer Rennsperre noch große Töne gespuckt hatten und in Person von Jenson Button nicht nur von einem möglichen Sieg in Barcelona, sondern auch von einem riesigen Schock in Monte Carlo sprachen. Am Nürburgring traf jedenfalls nur die Weißen selbst der Schock: Nämlich jener Schock, dass sie einfach viel zu langsam waren, um aus eigener Kraft in die Punkteränge zu fahren. Ein Problem welches sie schon zu Saisonbeginn hatten und welches eigentlich in Imola behoben schien. Ein Schelm wer da an Tankaffären denkt...

Minardi Zwar erlebte die Stoddart-Truppe in der Eifel endlich die erste doppelte Zielankunft des neuen PS05 Boliden, doch konnte man mit diesem nicht, wie noch vor Wochenfrist, auf die Jagd nach den beiden Jordan Toyota gehen. Stattdessen bildete man wie gewohnt das Schlusslicht der Ergebnislisten.

Der WM-Ausblick

"Natürlich ist es möglich, dass dieser Zwischenfall am Ende die Weltmeisterschaft entscheiden könnte." Mit dieser düsteren Prognose verließ Norbert Haug den Nürburgring. Allerdings nicht ohne zu betonen, dass man weiterhin "attackieren" und "unser Bestes" geben werde, um den Titel zu holen.

Ganz so schwarz müssen die Silbernen auch nach Kimi Räikkönens Ausfall und dem um zehn weitere Zähler vergrößerten Rückstand nicht sehen, aber Niki Lauda weiß genau, dass dies für Alonso "ein wichtiger Schritt in Richtung WM" gewesen ist.

Der Finne setzt unterdessen auf sein "konkurrenzfähiges Paket" und könnte auch noch zusätzliche Hoffnung aus dem letzten Endes folgenlosen Fehler von Fernando Alonso schöpfen. Jedenfalls dann, wenn er nicht zuvor schon selbst gepatzt hätte. Von Hans-Joachim Stuck gab es deshalb ein Extralob für den fehlerlosen Nick Heidfeld. "Er ist ein Super-Rennen gefahren. Die Kronprinzen haben heute alle Fehler gemacht."

Trotzdem sieht Alonso das Ergebnis für die WM als "fantastisch" an. "Das Wichtigste ist, dass dieser Sieg zeigt wie stark wir sind. Nach Monaco hatten wir einen Tiefpunkt erreicht, aber wir haben zurückgeschlagen und werden bis zum bitteren Ende um den Titel kämpfen."