Die Formel-1-Saison 2017 wirft ihre Schatten voraus: Neue Regeln, neue Autos, neue Reifen. Wie wirken sich die Neuerungen auf die Formel 1 aus? Wer geht nach den Testfahrten als Favorit in die neue Saison? Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner analysiert die Lage vor dem Saisonstart in Australien in zwei Teilen im beliebten Format 'Danner spricht Klartext'.

Welches Mittelfeldteam hat bei den Tests den besten Eindruck hinterlassen?
Christian Danner: Williams sah schon relativ gut aus. Sie sind allerdings - auch eigenen Aussagen zufolge - mit wenig Sprit gefahren. Ich glaube, auch im Mittelfeld ist die Situation vergleichbar mit dem letzten Jahr. Natürlich ist Renault deutlich besser als im letzten Jahr, aber das Mittelfeld ist nah zusammen. Williams war zwar von den reinen Zeiten etwas besser, Nico Hülkenberg ist aber auch eine 1:19.8 gefahren. So sehr sich Vijay Mallya das auch wünscht, den Anschluss an die Spitze werden die Teams im Mittelfeld so schnell nicht finden. Ich befürchte, da sind die Entwicklungskapazitäten und Budgets einfach zu unterschiedlich.

Lance Stroll hat in der ersten Woche für viel Aufsehen gesorgt. In der zweiten Woche hat er sich wieder gefangen. Einige haben ihn ja schon als nächsten Pastor Maldonado gefeiert. Ganz so schlimm ist es aber nicht, oder?
Christian Danner: Sein Problem ist nicht, dass er schnell oder langsam ist. Wenn jemand - mit welchen finanziellen Mitteln auch immer - so überlegen die Formel 3 gewinnt, dann ist er ein guter Rennfahrer. Wenn er dann auch noch in einem noch nie dagewesenen Testprogramm fast alle Grand-Prix-Strecken in einem 2014er Auto tagelang befährt, dann kommt er mit einer Vorbereitung in die Formel 1, dass er sicher eine gute Leistung abliefern wird. Da mache ich mir keine Sorgen. Wer, außer dem Formel-3-Meister soll denn sonst in die Formel 1 kommen? Ich sehe den Einstieg von Stroll nicht so negativ wie andere Leute, die ihn als Paydriver verspotten. Er kann nichts dafür, dass sein Vater reich ist.

Das Problem für Stroll ist eher, dass er zum ersten Mal mit der echten Realität konfrontiert wird. Es geht nicht darum, dass er jetzt gute Konkurrenten hat - die hatte er auch vorher schon. Aber er war in seiner ganzen Karriere immer ein wenig in Watte gepackt. Bis zum Formel-3-Sieg war er immer in einem Umfeld, das bis ins Detail von seinem Vater kontrolliert wurde. Jetzt wird er von Journalisten gefragt, ob er denn vorhat, in Zukunft immer mit dem Abschleppwagen zurück in die Box zu kommen. Da weht ein anderer Wind. Für ihn ist die größte Schwierigkeit, sich psychisch auf die Härten der Formel 1 einzustellen. Ich zweifele nicht so sehr an seinem Talent, aber der Reifeprozess wird das entscheidende sein, ob er mit dem klar spürbaren eisigen Gegenwind zurechtkommt. Die Wirklichkeit in der Formel 1 bezieht sich halt nicht nur auf Rennen fahren, sondern es gibt auch immer wieder Journalisten, die eine Frage stellen, die ihm früher nicht gestellt wurde.

Unser Dauerbrennerthema seit drei Jahren McLaren-Honda: Da sieht es wieder düster aus...
Christian Danner: Das ist ein Drama, das man nicht mehr schlimmer erleben kann. Es hat sich ja viel verändert. Zak Brown ist ein außerordentlich kompetenter neuer Chef. Eric Boullier hat das Rennteam professionell und wirklich gut umgebaut, hat frischen Wind reingebracht und neue Leute engagiert. Die Finanzierung - wo ja viel von Honda kommt - haben sie auch gut hinbekommen. Aber es ist unfassbar, dass dort in Japan scheinbar niemand in der Lage ist, einen ordentlichen Motor zu bauen. Sie sind ja Lichtjahre weg. Das lässt sich auch nicht so schnell reparieren.

Honda macht sich langsam lächerlich

Was kann McLaren-Honda da machen? Sind sie ausgeliefert, oder tragen sie da auch eine Mitschuld?
Christian Danner: Ich denke nicht, dass McLaren da irgendeine Schuld trägt. Selbst das beste Team wie Red Bull ist, als Renault schlechte Motoren gebaut hat, hoffnungslos in der Versenkung verschwunden. Der Motor ist im heutigen Reglement einfach sehr, sehr wichtig und deswegen bist du brutal abhängig von deinem Partner. Du bist ausgeliefert und kannst nichts machen. Für das Team ist das eine Horror-Situation, weil du auch was die Zukunft und die Strategie für die nächsten Jahre angeht, völlig aufgeschmissen bist. Es ist jetzt das dritte Jahr in Folge. Das erste Jahr war ja ein komplettes Desaster, das zweite Jahr schien sich langsam zu bessern, aber jetzt wird es so langsam lächerlich.

Wie sieht es mit den Deutschen aus in dieser Saison?
Christian Danner: Sebastian Vettel hat in den ersten paar Rennen auf jeden Fall eine Siegchance - das gefällt mir schon mal. Ich denke auch, dass Nico Hülkenberg die richtige Entscheidung getroffen hat. Sie sind aber noch nicht dort, wo sie gerne wären. An Podiumsplätzen zu kratzen oder Red Bull zu ärgern wird noch nicht drin sein. Hülkenberg hat aber den großen Vorteil, dass in Enstone eine Infrastruktur existiert und sich die Personalsituation in eine gute Richtung entwickelt. Dort ist er ganz gut aufgestellt. Das ist eine Chance, sich langsam in Richtung der Spitze des Mittelfeldes zu entwickeln. Er hat aber ähnlich wie Toro Rosso und Red Bull einen Motor, der bei den Tests nicht der Inbegriff der Zuverlässigkeit war, anders als im letzten Jahr. Dazu kommen die nicht ganz perfekte Fahrbarkeit und Leistungsentfaltung des Motors, die auch häufig unterschätzt werden.

Wie sieht es beim dritten im Bunde, bei Pascal Wehrlein aus?
Christian Danner: Der Sauber ist auf jeden Fall ein besseres Auto als es der Manor war. Aber ob das seine Position so dramatisch verbessert, wage ich aktuell zu bezweifeln. Früher gab es immer noch so ein Team wie Minardi, das hinter dem letzten Team des Mittelfeldes war. Ohne Frage wird Pascal Wehrlein aber näher am Mittelfeld sein als im vergangenen Jahr. Im Moment ist er aber realistisch betrachtet im langsamsten Team. Auch wenn ich glaube, dass die Entwicklung gut laufen wird, denke ich, dass der Unterschied des alten zu den neuen Motoren größer sein wird, als sie hoffen. Ich kann nachvollziehen, warum sie das gemacht haben, aber in einer Formel, in der es so brutal auf den Motor ankommt, mit dem Vorjahresmotor zu fahren, ist schon ein großer Nachteil - siehe Toro Rosso im vergangenen Jahr.

Danners WM-Tipp: Hamilton macht's

Wie sieht der WM-Tipp von Christian Danner aus?
Christian Danner: Ich glaube, dass Lewis Hamilton das wieder macht. Ganz einfach deshalb, weil es kein Spaziergang wie in den letzten Jahren für Mercedes wird. Die Chance, dass Ferrari oder Red Bull mal mit um den Sieg kämpfen und dem Mercedes die 'Vorne-Weg-Strategie' kaputt machen, ist größer. Das heißt, man muss sich relativ bald auf einen Fahrer festlegen. Der wird dann auch teamintern unterstützt. Das ist anders, wenn man ein Auto hat, das der Konkurrenz davonzieht - dann kann man die Fahrer machen lassen, was sie wollen. Das wird 2017 viel schwieriger und daher denke ich, dass Hamilton den Nummer-1-Vorteil bekommen und auch nutzen wird.

Das Team-Duell Sebastian Vettel gegen Mark Webber eskalierte bei Red Bull, Foto: Sutton
Das Team-Duell Sebastian Vettel gegen Mark Webber eskalierte bei Red Bull, Foto: Sutton

Bei den anderen ist es schwieriger: Bei Ferrari sollte Vettel der Schnellere sein. Bei Red Bull sieht es noch anders aus. Dr. Helmut Marko betont immer, dass sein Team die beste Fahrerpaarung hat. Aber im nächsten Satz wird erwähnt, dass es keine Probleme gibt und alles herrlich harmonisch zwischen den Fahrern abläuft. Ich erinnere mich, wie Mark Webber seine Chefs zur Weißglut gebracht hat, weil er seine Unterstützer-Rolle für Sebastian Vettel nicht akzeptiert hat. Das ist immer noch dasselbe Team.

Wenn das Auto so geht, dass sie vielleicht um den Titel kämpfen, dann braucht man mir nicht sagen, dass Max Verstappen nicht ausrastet, weil Daniel Ricciardo ihn übertölpelt oder dass Ricciardo es in Ordnung findet, wenn ihm der Verstappen die Tür zuknallt. Darauf blicke ich mit größter Freunde und bin gespannt, wie die beiden übereinander herfallen werden. Wenn es eine Chance auf den Sieg gibt, dann wird Ricciardo der Verstappen egal sein und Verstappen der Ricciardo beinahe noch weniger interessieren. Man muss da nur zurückdenken, wie es in einer viel klareren Hierarchie mit Vettel und Webber war. Bei den aktuellen Piloten ist es ja viel ausgeglichener.

Wäre Verstappen bereit für den Titel? Im letzten Jahr hat er ja noch ein paar Fehler gemacht, die man sich im Titelrennen nicht mehr leisten kann.
Christian Danner: Natürlich ist Verstappen bereit für einen Titel. Wenn er seine Rennintelligenz weiter so entwickelt, ist er absolut titelfähig. Er ist einfach ein Ausnahmetalent. Er muss seine unfairen Aktionen in den Griff kriegen, denn das kostet ihn über kurz oder lang nur Punkte. Ich bin von seinen Fähigkeiten sehr überzeugt!