"Wenn wir wollen, können wir schneller fahren." Es ist nur ein Satz, doch dieser sollte als Drohung verstanden werden. Geäußert hat ihn Kimi Räikkönen nach Abschluss des letzten Testtages in Barcelona und nach seiner Fabelzeit von 1:18.634 Minuten. Damit scheiterte der Ferrari-Pilot nur um drei Zehntel am absoluten Streckenrekord, den Felipe Massa 2008 aufstellte. Kein anderer Fahrer kam unter die Marke von 1:19. Klar ist aber auch: Bei Testfahrten werden die Karten nicht komplett aufgedeckt. Und Ferrari-Galas bei Testfahrten kennt man schon aus der Vergangenheit. Wo stehen die Italiener also?

Grundsätzlich zählt Ferrari zu den Teams, die gerne schon bei den Testfahrten die imaginären Hosen weit runter lassen. Im vergangenen Winter fuhr Ferrari beim reinen Blick auf die Zahlen ebenfalls in einer eigenen Liga:

Testfahrten 2016: Absolute Bestzeiten

POS Fahrer Team Reifen Zeit
1 Räikkönen Ferrari US 1:22.765
2 Vettel Ferrari SS 1:22.852
3 Rosberg Mercedes S 1:23.022
4 Sainz Toro Rosso US 1:23.134
5 Massa Williams S 1:23.193
6 Bottas Williams US 1:23.229

Beim Blick auf die Tabelle fällt jedoch sofort auf, dass Ferrari damals mit weicheren Reifen fuhr als Mercedes. Tatsächlich konzentrierten sich die Silberpfeile 2016 auf jene Reifenmischungen, die auch beim Rennen einige Wochen später zum Einsatz kommen. An der Auswahl für den Spanien GP hat sich auch 2017 nichts geändert. Doch auch Mercedes fuhr dieses Mal auf den weicheren Reifen. Bereinigt lagen Ferrari und Mercedes 2016 ungefähr gleich auf. Wie war es in diesem Jahr?

Testfahrten 2017: Bestzeiten Reifen-bereinigt

Pos Fahrer Team Reifen Zeit Handicap Korr. Zeit Gap
1 Räikkönen Ferrari SS 1:18,634 + 0,3 1:18,934
2 Bottas Mercedes SS 1:19,310 + 0,3 1:19,610+ 0,676
3 Vettel Ferrari US 1:19,024 + 0,6 1:19,624 + 0,690
4 Verstappen Red Bull SS 1:19,438 + 0,3 1:19,738+ 0,804
5 Hamilton Mercedes US 1:19,352 + 0,6 1:19,952+ 1,018
6 Massa Williams US 1:19,420 + 0,6 1:20,020+ 1,086

Natürlich ist es nicht so einfach, für jeden Wagen und jede Tageszeit denselben Delta-Wert als Unterschied zwischen den einzelnen Reifenmischungen heranzuziehen. Daher sollen die Werte eher als Näherungsangabe verstanden werden. Und dabei wird deutlich, dass Kimi Räikkönen durch seine Bestzeit am letzten Testtag den Rest des Feldes deutlich distanziert hat.

Selbst Teamkollege Sebastian Vettel muss dabei abreißen lassen. Was bei Vettel jedoch offenkundig war, ist, dass er bei seiner schnellsten Runde noch hörbar kurz vor der Ziellinie vom Gas ging. Er hatte das wahre Potential des Ferrari noch nicht gezeigt. Hat Räikkönen das einen Tag später übernommen? Wohl nicht, wenn man die Aussage des Finnen weiter oben betrachtet.

Fazit der Formel 1-Tests in Barcelona: (05:53 Min.)

2016 wurde Ferrari aller Illusionen beraubt

"Wir sind nicht sicher, ob wir bei Ferrari vorne oder hintendran sind." Diese Einschätzung stammt nicht aus diesem Jahr, sondern kam von Nico Rosberg nach Abschluss der Vorjahres-Testfahrten. Schlussendlich entpuppte sich diese Aussage als Tiefstapelei sondersgleichen, Mercedes fuhr schon beim Saisonauftakt in Australien Kreise um die Konkurrenz.

Aus dem Duell auf Augenhöhe, das die Testfahrten zu versprechen schienen, wurde der Raub sämtlicher Illusionen. Satte acht Zehntel fehlten Vettel in Melbourne damals auf die Pole Position. Dank eines fantastischen Starts hätte die Scuderia aber dennoch das Rennen gewinnen können, hätte man bei der Strategie während der Rennunterbrechung nicht komplett daneben gegriffen.

Mercedes zeigte damals bei den Testfahrten also bei weitem noch nicht alles. Wohl auch aufgrund dieser Erfahrung will man bei Ferrari von einem Angriff auf die Silberpfeile nichts wissen. "Wenn man drei Titel in Folge einfährt, ist es kein Geheimnis, wer dann Favorit ist", stellte Vettel mit Blick auf Mercedes klar.

Ferrari begibt sich auf die Pirsch nach Mercedes, Foto: Sutton
Ferrari begibt sich auf die Pirsch nach Mercedes, Foto: Sutton

Lauda: Mercedes erwartet hartes Jahr

Bei Mercedes sieht man das Ganze komplett anders. Die Favoritenrolle, die man einem solch dominanten Team der letzten Jahre eigentlich automatisch zuschiebt, will man dort nicht annehmen. "Das sind die naiven Menschen, die sich das Leben leicht machen", polterte Niki Lauda, Aufsichtsratsmitglied bei Mercedes. "Ich glaube, für Mercedes steht ein hartes Jahr bevor", meint der Österreicher.

Denn anders als im Vorjahr mussten alle Teams bei der Konstruktion der neuen Boliden quasi bei null beginnen. Die Chance also für alle anderen Teams, an die Silberpfeile heranzurücken. Besonders Ferrari scheint dabei einen sehr guten Job gemacht zu haben. Beobachter an der Strecke berichteten, dass der SF70H extrem gut in den Kurven liegt.

Auch Nico Hülkenberg bestätigte diesen Eindruck aus nächster Nähe. "Das Auto sieht sehr gut aus, sowohl was die Lage betrifft, als auch den Grip. Ich war draußen, als Sebastian seine Rennsimulation gemacht hat. Das war beeindruckend", erklärte Hülkenberg. Für ihn sei der Ferrari sogar das stärkere Auto im Vergleich zum Mercedes.

Wer hat die größeren Reserven?

Bleibt dennoch weiterhin die Frage, wie viel die Scuderia schon aufgedeckt hat und vor allem, wie groß die Reserven im Vergleich zu den Reserven der Silberpfeile sind. Niki Lauda erklärt, dass man bei Mercedes keinen Wert auf Spielerein gelegt habe. "Alle müssen Farbe bekennen. Wenn die Regeln immer gleich sind und du vorne bist, dann geht es so weiter. Aber so ist es nicht." Der dreimalige Weltmeister sah die drei Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull bei den Testfahrten innerhalb von drei Zehnteln. Aussagen, hinter denen natürlich auch eine Strategie stecken kann.

Die Wahrheit liegt ohnehin auf der Strecke. In Australien wird es die Antwort geben, ob Ferrari, wenn es darauf ankommt, an der Spitze mitkämpfen kann. Valtteri Bottas jedenfalls sieht die Roten auf jeden Fall in der Position, gefährlich zu werden. "Es is schwer zu sagen, was sie genau gefahren sind und wie viel sie aus dem Auto herausgeholt haben. Aber das sind respektable Zeiten, die sind sehr schnell. Wir sollten sie auf jeden Fall nicht unterschätzen", so der Finne. Diese Aussage stammt vom vergangenen Donnerstag, also bevor Räikkönen tags darauf nochmals kräftig nachlegte.