Die Rivalität zwischen Ayrton Senna und Alain Prost gilt bis heute als eine der größten, wenn nicht sogar die größte, in der Geschichte der Formel 1. Doch was für die meisten Zuschauer augenscheinlich auf die erbitterten Duelle und Kontroversen auf der Rennstrecke zurückzuführen war, begann lange vor der ersten WM-entscheidenden Kollision in Suzuka 1989.

Im ersten gemeinsamen McLaren-Jahr blieben die Spannungen zwischen Senna und Prost noch unter der Oberfläche. Auf der Strecke gerieten die beiden Piloten lediglich in Estoril aneinander, als Prost vom Stallgefährten auf der Start- und Zielgeraden in Richtung Boxenmauer gedrängt wurde. "Es war sehr eng, aber man kann sagen, dass es am Limit war", so der Franzose viele Jahre später in einem TV-Interview mit Sky Sports UK.

Die Kontrahenten waren 1988 noch weitestgehend kollegial miteinander umgegangen, doch Prost merkte bereits, dass Senna vor allem von Honda außerordentlich große Unterstützung erhielt. Der damalige Präsident des Motorenherstellers, Nobuhiko Kawamoto, machte daraus keinen Hehl. "Wir haben eine neue Generation von Ingenieuren und Mechanikern, und sie mögen Ayrton", verriet der Japaner Prost bei einem Besuch in Europa am Ende des Jahres.

Honda liefert 'Spezial-Motor' für Senna

Obwohl dem Franzosen seitens Hondas mehr Unterstützung zugesagt wurde, änderte sich die Situation im Team nicht. "Ich erinnere mich sehr gut daran, als wir Motoren geliefert bekamen. Auf einem stand 'speziell für Ayrton'. Was bedeutet das? Ist dieser Motor besser, oder ist es exakt der gleiche? Ich weiß es nicht. Aber so etwas willst du nicht sehen", erinnert sich Prost an eine Situation, die ihm die vermeintliche Bevorzugung Sennas vor Augen führte. Auf der Rennstrecke kämpfte er nach wie vor mit dem Teamkollegen auf Augenhöhe, doch die Bedingungen im Team kratzten erheblich an seinem Selbstvertrauen.

"Die psychologische Komponente ist ein sehr, sehr großer Teil der Performance eines Rennfahrers. Ich denke, es sind 70 bis 80 Prozent. Es war nur Psychologie, aber sobald du fühlst, dass du benachteiligt wirst, hast du das im Hinterkopf", so Prost, dessen Vertrauen ins Team zunehmend bröckelte. Tatsächlich dauerte es 1989 nicht lange, bis es auch auf der Rennstrecke zur ersten Kontroverse zwischen den Stallgefährten kam. Ein Disput beim zweiten Saisonrennen in Imola leitete die Eiszeit zwischen Senna und Prost ein.

Senna widersetzt sich der Teamorder

Senna hatte vor dem Qualifikationstraining zum Großen Preis von San Marino vorgeschlagen, dass der Pilot, der am Sonntag nach dem Start als Erster in die Tosa-Kurve einbiegt, die Führung zugestanden bekommt. Teamchef Ron Dennis und Prost willigten ein, doch es kam trotzdem zum Eklat. Pole-Sitter Senna verteidigte seine Führung beim ersten Start erfolgreich gegen Prost. Nach Gerhard Bergers Feuerunfall in der Tamburello-Kurve musste das Rennen jedoch neugestartet werden.

Beim Re-Start stand Senna abermals auf dem ersten Startplatz. Doch diesmal kam Prost besser von der Linie weg und lag beim ersten Anbremsen auf Tosa vorne. "Ich sah ihn auf der linken Seite aber dachte mir, ich brauche nicht verteidigen und fahre die Ideallinie, um einen optimalen Kurvenausgang zu erwischen. Doch dann hat er mich überholt", beschreibt der viermalige Weltmeister den Moment, der alles verändern sollte. Der San Marino-GP ging zwar an Senna, doch für das Team war die Angelegenheit noch nicht erledigt.

Senna geht 1989 nach dem Re-Start in Imola in der Tosa an Prost vorbei, Foto: Sutton
Senna geht 1989 nach dem Re-Start in Imola in der Tosa an Prost vorbei, Foto: Sutton

Prost verliert Sennas Vertrauen

Kurze Zeit später, erinnert sich Prost, stellte Dennis die beiden Streithähne zur Rede: "Wir waren zum Testen in Pembrey und setzten uns im Bus zusammen. Ron sagte: Ayrton, was ist passiert? Wir hatten eine Abmachung, oder etwa nicht?" Der Brasilianer schien allerdings nicht der Ansicht zu sein, sich dieser widersetzt zu haben. "Er antwortete: Ja, wir hatten eine Abmachung für den ersten Start, aber nicht für den zweiten", erinnert sich Prost an Sennas Reaktion. Es blieb allerdings nicht dabei, dass Senna nur glaubte, alles richtig gemacht zu haben: Er war obendrein davon überzeugt, dass Prost ihn widerrechtlich überholt hatte, und nicht umgekehrt.

Etwas, das bei Prost auf maximales Unverständnis stieß: "Ich widersprach und sagte: Ayrton, Millionen von Menschen konnten die Szene sehen." Nachdem Dennis und Prost den Brasilianer zur Einsicht bewegt hatten, passierte etwas, womit keiner der beiden gerechnet hatte. "Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis er es akzeptiert hatte - und dann fing er an zu weinen", beschreibt der Franzose den Moment, in dem er eine bisher unbekannte Seite seines Erzrivalen zu Gesicht bekam. Der so selbstbewusst und mental unantastbar scheinende Senna zeigte vor seinem größten Gegner einen Moment der Schwäche.

Doch es war nicht das vermeintliche Eingeständnis einer Niederlage, das den Keil zwischen die beiden Teamkollegen trieb. Prost tat in der Folge etwas, das die Beziehung zwischen ihm und Senna auf viele Jahre hinweg vergiften sollte. "Ich machte einen Fehler, denn ich ging zu einem französischen Journalisten, mit dem ich zur damaligen Zeit befreundet war. Ich erzählte ihm die Story, und obwohl ich ihn darum bat, es für sich zu behalten, stand es kurz darauf in der Zeitung. Ayrton war so aufgebracht darüber, dass er nie wieder mit mir sprechen wollte."

Den eigenen Endgegner ausgesucht

Die legendäre Rivalität zwischen zwei der größten Formel-1-Piloten aller Zeiten hatte ihren Anfang genommen. Dabei hätte Prost als Teamleader bei McLaren sogar dafür sorgen können, dass es vielleicht niemals zu dieser gekommen wäre. Nach einer ernüchternden Saison 1987 und der Niederlage gegen Williams, wollte McLaren mit frischem Wind wieder zurück an die Spitze. Neben dem Wechsel von TAG- zu Honda-Turbomotoren sollte Prost auch ein schneller Teamkollege zur Seite gestellt werden, nachdem Stefan Johansson mit WM-Rang sechs nicht überzeugen konnte. Dennis' erster Plan: Die Verpflichtung von Weltmeister Nelson Piquet.

"Nelson war ein guter Freund von mir", so Prost über seine Beziehung zum anderen dreimaligen F1-Weltmeister aus Brasilien. Doch trotz des guten persönlichen Verhältnisses zu Piquet, riet er seinem Teamchef zu einer anderen Option: "Ich kannte Ayrton zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut. Doch ich sagte: Wenn ihr ein starkes Team haben wollt, nehmt den Besten. Nehmt den jungen Piloten, den für die Zukunft - nehmt Ayrton." Prost fühlte sich als zweimaliger Weltmeister und langjähriger McLaren-Pilot in einer sicheren Position und sah es als selbstverständlich an, seine Interessen unter die des Teams zu stellen.

"Ich habe immer im Interesse des Teams gedacht, denn McLaren war damals meine Familie. Außerdem hatte ich nie Probleme mit meinen Teamkollegen davor", sagt Prost, der beteuert, seine Fürsprache für Senna trotz der darauffolgenden Schlammschlacht nie bereut zu haben: "Du kannst keine Entscheidung bereuen, von der du in dem Moment gedacht hast, dass sie richtig ist."

Prost riet McLaren Ende 1987 dazu, Senna statt Piquet zu verpflichten, Foto: Sutton
Prost riet McLaren Ende 1987 dazu, Senna statt Piquet zu verpflichten, Foto: Sutton

Prost verhindert Sennas Williams-Wechsel

Die Fehde von 1989 gipfelte im skandalösen Japan-GP, als Prost und Senna im Kampf um den Sieg kollidierten, was dem Franzosen den dritten WM-Titel einbrachte - nachdem er bereits im Sommer des Jahres Ron Dennis von seinem Abschied zum Ende der Saison informiert hatte. In Diensten von Ferrari sollte Prost 1990 in Suzuka erneut einen WM-Showdown mit Senna ausfechten, bei dem es wieder zur Kollision kam - wobei die Weltmeisterschaft dieses Mal an den Brasilianer ging.

In den darauffolgenden Jahren trafen die beiden Kontrahenten auf der Strecke weniger regelmäßig aufeinander. Zur Saison 1993 unterschrieb Prost bei Williams, nachdem er Ende 1991 einmal zu oft die Scuderia kritisiert hatte und in Maranello vor die Tür gesetzt wurde - woraufhin für ihn ein Jahr Auszeit unumgänglich war. Auch Senna wollte für 1993 bei Williams anheuern, doch eine Klausel in Prosts Vertrag vereitelte einen Wechsel des Brasilianers.

"Als ich den Vertrag bei Williams unterschrieben habe, habe ich Frank Williams gesagt: Ich will gegen Ayrton kämpfen, aber nicht im selben Auto und im selben Team. Ich will nicht die ganze Arbeit investieren, damit er am Ende die Resultate einfährt. Er sagte: Kein Problem, das verstehen wir sehr gut. Daraufhin unterzeichneten wir einen Zweijahresvertrag", erklärt Prost seine Forderungen gegenüber Williams, für welche ihn Senna später während einer offiziellen FIA-Pressekonferenz als Feigling bezeichnete.

Aus Feindschaft wird Freundschaft

Prost gab 1993 im Rahmen des Portugal-GP, bei dem er die Weltmeisterschaft gewinnen sollte, seinen Rücktritt aus der Formel 1 bekannt - wenn auch eher unfreiwillig: "Frank erklärte mir, dass Renault ihn unter Druck setzte, Ayrton zu verpflichten." Prost verwies zwar auf den bestehenden Vertrag, doch wenige Wochen später verpflichtete Williams Senna dennoch - mit der Konsequenz, dass der Weltmeister aus dem Zweijahresvertrag ausstieg. "Ich konnte damit leben. Ich war zwar nicht sehr glücklich, aber wenigstens hatten wir klare Verhältnisse geschaffen", so Prost.

Beim Saisonfinale 1993 standen die beiden Erzrivalen in Adelaide ein letztes Mal gemeinsam auf dem Podium. Es war der letzte Start in Sennas sechsjähriger McLaren-Laufbahn - und es sollte auch der letzte Sieg seiner Grand-Prix-Karriere sein. Prost beendete sein letztes Formel-1-Rennen auf dem zweiten Platz. "Als wir in Australien auf dem Weg zum Podium waren, wollte ich ihn überhaupt nichts fragen. Aber in dem Moment, als ich mit ihm auf das Podest stieg, änderte sich plötzlich alles. Die Pressekonferenz war surreal, zwei Tage später rief er mich an und so ging es dann weiter", erinnert sich Prost an den Moment, als die ewig scheinende Rivalität ihr Ende fand.

Prost und Senna bei der Pressekonferenz nach dem Australien-GP 1993, Foto: Sutton
Prost und Senna bei der Pressekonferenz nach dem Australien-GP 1993, Foto: Sutton

Ohne den erbitterten Kampf auf der Rennstrecke öffnete sich der sonst so verschlossene Brasilianer plötzlich seinem Gegner, der ihn angesichts der gemeinsamen Vergangenheit vermutlich ohnehin besser kannte, als die meisten anderen Menschen. "Er erzählte mir plötzlich persönliche Dinge, die ich niemals irgendwem erzählen könnte. Ihn einen Freund zu nennen, ist vielleicht zu viel gesagt. Aber wir standen einander viel näher, und es war natürlich komplett anders als davor", beschreibt Prost die Kehrtwende in der Beziehung zum ehemaligen Widersacher. Tatsächlich haderte Senna aber vor allem aus sportlicher Hinsicht mit dem Abschied seiner Nemesis. "Er sagte mir sehr oft: Alain, ich bin nicht motiviert genug, gegen diese Piloten zu fahren. Ich würde mich freuen, wenn du zurückkommst."