In den Rekordbüchern der Formel 1 hält Deutschland mit bis dato 168 Grand-Prix-Siegen den zweiten Platz hinter Großbritannien, das auf 257 Triumphe kommt. Seit 1992, als Michael Schumacher seinen Premierensieg in Spa-Francorchamps feierte, gab es in den vergangenen 24 Jahren nur eine Saison, die ohne einen deutschen Grand-Prix-Sieger über die Bühne ging. Lediglich 2007 wurde die schwarz-rot-goldene Flagge nicht über dem Sieger gehisst. Sebastian Vettel und Nico Rosberg schafften es danach, fast nahtlos an die Siege Schumachers anzuknüpfen. Nach neun Jahren könnte Deutschland nun allerdings die erneute Sieglosigkeit drohen.

Denn mit Nico Rosbergs Rücktritt verschwindet gleichzeitig auch der deutsche Triumph-Garant der Saison 2016 aus der Königsklasse. In der kommenden Saison müssen Sebastian Vettel, Nico Hülkenberg und Pascal Wehrlein die Fahne alleine hochhalten. Doch um an Rosbergs Erfolge anzuknüpfen, muss vor allem eines stimmen: Das Material. In den Dominator-Boliden von Mercedes sitzen 2017 mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ein Brite und ein Finne. Nicht die besten Aussichten für die Motorsport-Nation Deutschland.

Deutschlands Grand-Prix-Sieger

FahrerRennenSiegePodienPunkteWM-Titel
Michael Schumacher306911551.5667
Sebastian Vettel17842862.1084
Nico Rosberg20623571.594,51
Ralf Schumacher1806273290
Heinz-Harald Frentzen1563181740
Wolfgang von Trips2726560
Jochen Mass 10418710

Vettel wieder Deutschlands Nummer eins?

Mit Sebastian Vettel gibt es 2017 nur noch einen aktiven deutschen Fahrer, der in der Königsklasse bereits siegreich war oder auf dem Podium stand. Letztes Jahr ging für den Ferrari-Piloten allerdings nichts. Nachdem er in seinem Premieren-Jahr für die Scuderia noch drei Siege einfahren konnte, waren 2016 drei zweite Plätze das höchste der Gefühle. Statt dem geplanten Kampf gegen Mercedes, musste Ferrari sich mit dem SF16-H sogar hinter Red Bull anstellen. Teamintern musste Vettel im Qualifying-Duell eine Schlappe gegen Kimi Räikkönen hinnehmen. Nicht die besten Vorzeichen für Deutschlands vermeintlich bestes Pferd im Stall, um seinem Nummer-eins-Status gerecht zu werden.

In erster Linie stützen Ferrari und Vettel sich auf das veränderte technische Reglement und hoffen, mit dem neuen Boliden endlich den großen Coup zu landen. "Es ist eine Chance und ein Risiko", sagte Vettel hinsichtlich der Saison 2017. Die Misserfolge des Vorjahres sollen bei der Konstruktion eines Siegerautos jedenfalls keine Rollen spielen, wie Technik-Chef Mattia Binotto ankündigte: "Es gibt kein Argument dagegen, warum wir so ein Auto hier in Maranello nicht bauen können."

Sebastian Vettel gewann zuletzt 2015 in Singapur für die Roten aus Maranello., Foto: Sutton
Sebastian Vettel gewann zuletzt 2015 in Singapur für die Roten aus Maranello., Foto: Sutton

Ein schnelles Auto alleine reicht nicht

Mit einem konkurrenzfähigeren Auto ist es für Vettel und seine Mannschaft aber wohl noch nicht getan. Neben mangelnder Performance auf der Strecke, lieferte auch Ferraris Kommandostand 2016 keine Glanzleistung ab. Mit viel Risiko wurde an der Boxenmauer versucht, die Defizite des Autos wettzumachen - ohne Erfolg. Andererseits sollte ein konkurrenzfähigeres Fahrzeug die Strategen der Italiener dazu veranlassen, bei der Taktik weniger kopflos zu agieren.

Allerdings sollte auch Vettel etwas an sich arbeiten, um wieder zurück zu alten Tugenden zu finden. Denn vom Seriensieger und WM-Anwärter Sebastian Vettel war 2016 nicht mehr viel zu sehen. Neben seiner einstigen Qualifying-Stärke kam ihm auch seine Selbstbeherrschung regelmäßig im hohen Maße abhanden. Egal ob Training, Qualifying oder Rennen - Vettel rastete im Boxenfunk häufig aus. "Er muss daran denken, auf der Strecke zu gewinnen, und nicht daran, in irgendwelche persönlichen Fehden zu geraten", mahnt Ferrari-Boss Sergio Marchionne. 2015 hat das Vettel-Ferrari-Gespannt schon beweisen, wozu es unter den richtigen Umständen in der Lage ist. Wenn Deutschland 2017 Grand-Prix-Siege feiern will, ist Vettel nach wie vor der größte Hoffnungsträger.

Hülkenberg braucht den Brawn-Effekt

Als zweiter Deutscher im Bunde wird Nico Hülkenberg in der kommenden Saison auf die Jagd gehen. In der Saison 2010 als eines der größten Nachwuchstalente der Szene in die Königsklasse gekommen, ist der mittlerweile 29-Jährige bis dato weit hinter den eigenen Ansprüchen zurückgeblieben. In 115 Grand-Prix-Starts stand der Le Mans-Sieger von 2015 noch kein einziges Mal auf dem Treppchen. Nach drei Jahren Force India versucht Hülkenberg mit einem Wechsel zu Renault, der Stagnation seiner Karriere ein Ende zu bereiten.

Statistisch gesehen hat der 'Hulk' mit dem Boliden der Franzosen gute Erfolgsaussichten. Immerhin kann Renault als Werksteam bereits auf zwei Weltmeistertitel und 35 Rennsiege zurückblicken - andererseits liegen diese Zeiten lange zurück. Faktisch fuhr das Team vergangenes Jahr in seiner Comeback-Saison gnadenlos hinterher. Hülkenberg erwartet jedoch einen deutlichen Sprung in Richtung Spitze: "Wenn ein Konzern das möchte, dann setzen die Himmel und Hölle in Bewegung", war er sich gegenüber Motorsport-Magazin.com sicher. In der Tat hat Renault in den vergangenen Monaten im großen Stil in Personal und Anlagen investiert.

Angesichts des lahmenden 2016er Boliden hatte man auch in der Entwicklung den Fokus frühzeitig auf die neue Fahrzeug-Generation gelegt. Eine Wiederholung der katastrophalen Performance scheint angesichts dessen zwar unwahrscheinlich, doch für Siege müsste den Ingenieuren in Enstone schon ein absoluter Glücksgriff gelingen. Dass dies möglich ist, zeigte Brawn GP in der Saison 2009. Sollten die Franzosen allerdings keine Wunderwaffe auf die Beine stellen, werden Top-6-Platzierungen und vielleicht hin und wieder ein Podium wohl das Maximum für Hülkenberg sein.

Auf dem Siegerpodest stand Hülkenberg zuletzt bei den 24 Stunden von Le Mans 2015, Foto: Sutton
Auf dem Siegerpodest stand Hülkenberg zuletzt bei den 24 Stunden von Le Mans 2015, Foto: Sutton

Wehrlein erwartet die Flucht vor der roten Laterne

Dem jüngsten Deutschen im Starterfeld steht wohl die mit Abstand größte Herausforderung bevor: Pascal Wehrlein hatte nach seiner überzeugenden Debüt-Saison im Manor zunächst auf den Sprung in ein Mittelfeld-Team gehofft - und hatte kurzzeitig sogar Aussichten auf Rosbergs Weltmeister-Mercedes. Nachdem ihm bei den Silberpfeilen jedoch Bottas vorgezogen wurde, geht er 2017 für Sauber an den Start. Im Cockpit der ehemaligen Erzrivalen, gegen die er als Manor-Pilot noch so erbittert am Ende des Feldes gekämpft hatte, wird selbst der Vormarsch in Richtung Top-10 ein äußerst schwieriges Unterfangen.

"Unser Ziel ist es, uns im Mittelfeld zu etablieren und regelmäßig Punkte zu holen", so der Mercedes-Junior hinsichtlich seiner zweiten Saison in der Königsklasse. Mit Jörg Zander, seines Zeichens ehemaliger Technik-Direktor von Audis Sportwagen-Programm, sowie einigen anderen Verpflichtungen, hat sein neuer Arbeitgeber in Sachen Personal für 2017 nachgelegt. Auf der technischen Seite hat Sauber allerdings einen Nachteil, der nur schwer wettzumachen sein wird: Von Ferrari werden lediglich die Power Units aus 2016 geliefert. Die Sauber-Ingenieure werden zaubern müssen, damit Wehrlein unter diesen Voraussetzungen der angepeilte Sprung ins Mittelfeld gelingt.