Performance-technisch sehen wir zurzeit das stärkste Toro Rosso, das wir je in der Formel 1 gesehen haben. Sehen Sie das auch so?
Franz Tost: Es kommt darauf an, wie man das betrachtet. Die Geschichte von Toro Rosso muss man ja in zwei Teilen sehen. Der erste Teil von 2006 bis 2009 als wir sehr eng mit Red Bull Technology zusammenarbeiteten, und wir von ihnen eigentlich das gesamte Aero-Paket bekommen haben. Der zweite Teil ist dann von 2010 bis jetzt. Im ersten Teil hatten wir auch eine sehr erfolgreiche Zeit, vor allem 2008. Das hat dann auch den Ausschlag für die Reglement-Änderung gegeben, mit den sogenannten 'Listed Parts'.

Wenn man jetzt Toro Rosso nur von der zweiten Hälfte her betrachtet, sprich von 2010 bis 2016, dann sind wir momentan sicherlich mit dem stärksten Paket unterwegs. Warum? Wir mussten 2009 erst die Infrastruktur aufbauen, um eben nach dem heutigen Reglement, nach der Struktur des Reglements, als Konstrukteur gewertet zu werden. Das heißt, wir mussten das Design-Office und die Aerodynamik-Abteilung aufbauen - mit Windkanal und CFD. Des Weiteren mussten wir den Einkauf erweitern und die Produktion logischerweise ebenso - und das nimmt Zeit in Anspruch. Die letzten drei, vier Jahre haben wir uns dann eigentlich immer stetig weiterentwickelt und verbessert. Ich würde jetzt sagen, dass das gegenwärtige Auto die Summe all der Erfahrungswerte der vergangenen Jahre bündelt und dass wir momentan eigentlich ein von der Performance her sehr gutes Paket zusammen haben. Das zeigen wir meines Erachtens auch diese Saison. Womit ich nicht zufrieden bin, ist natürlich die Punkteausbeute. Das könnten wesentlich mehr sein. Aber das wird wahrscheinlich jeder sagen.

Ist man da als Team jetzt komplett fertig gewachsen? Oder kommt da immer noch mehr?
Franz Tost: Für unseren gegenwärtigen Standard bleibt das so. Denn das ist immer auch eine Frage des finanziellen Aufwands. Aber mit dem Budget, mit dem wir momentan unterwegs sind, steht diese Struktur. Da gibt es keine große Änderung mehr. Damit meine ich jetzt, dass nicht sehr viele neue Leute dazukommen werden. Nein. Ein paar Leute gehen, dafür kommen wieder ein paar neue Leute rein. Aber im Großen und Ganzen steht die Zahl um die Hundert im Windkanal und 250 in Faenza. Die wird sich auch für nächstes Jahr nicht ändern.

Die Phase der großen Umstrukturierung bei Toro Rosso ist abgeschlossen, Foto: Sutton
Die Phase der großen Umstrukturierung bei Toro Rosso ist abgeschlossen, Foto: Sutton

Inwiefern hat sich das Budget schlagartig geändert, als die Regel-Änderungen kamen und Toro Rosso plötzlich viel mehr Teile selbst entwickeln musste?
Franz Tost: Man muss da aufpassen. Man darf das nicht unterschätzen. Auch als wir die Teile von Red Bull Technology bezogen haben, wurde verhältnismäßig viel Geld ausgegeben. Die Teile müssen ja schlussendlich auch produziert werden. Aber es ist klar, dass man zum Beispiel, wie ich vorher erwähnt habe, nicht so viele Leute im Design-Office, im Einkauf oder in der Produktion braucht. Man kann mit wesentlich weniger Personal arbeiten und dadurch natürlich Kosten sparen.

Mit Haas gibt es ein anderes Team, das diese Philosophie, die Toro Rosso anfangs verfolgte, zur DNS gemacht hat. Bei Toro Rosso musste man umrüsten. Aber zurückgehen kann man jetzt auch nicht mehr so einfach, oder? Auch wenn es das Reglement ja erlauben würde...
Franz Tost: Es ist so: Haas arbeitet mit Dallara zusammen, sie arbeiten aber auch mit Ferrari zusammen. Inwiefern jetzt Ferrari in diesem ganzen Projekt involviert ist, kann ich von außen nicht beurteilen. Ich nehme an, dass alles regelkonform abläuft. Entscheidend ist dann immer, was im zweiten, dritten und vierten Jahr folgt. In die Formel 1 einzusteigen, ein Auto vom letzten Jahr mehr oder weniger zu übernehmen, ist eine Geschichte. Aber das Auto weiterzuentwickeln und dann - so wie es das Reglement für 2017 vorsieht - ein komplett neues Auto zu bauen, ist eine andere Geschichte. Um das vollständig zu bewerkstelligen, braucht man - so wie das Reglement jetzt definiert ist - auf jeden Fall die entsprechende Infrastruktur. Was Toro Rosso und Red Bull Technology betrifft: Es gibt weiterhin eine Zusammenarbeit. Wir beziehen die gesamten Getriebe-Innereien samt Hydraulik von Red Bull Technology.

Auch in dieser Saison, in der Sie einen anderen Motor fahren?
Franz Tost: Ja, auch jetzt haben wir das von ihnen. Das Getriebegehäuse ist etwas anders. Das ist durch den Motor bedingt und hat auch aerodynamische Gründe. Aber wir haben mit Red Bull Technology eine enge Zusammenarbeit und da gibt es nach wie vor Synergien, die von beiden Teams genutzt werden. [ab 2017 startet Toro Rosso dann ohnehin wieder mit dem gleichen Renault-Antrieb wie Red Bull Racing, Anm. d. Red.]

Können Sie nach der Klarstellung, die es im vergangenen Jahr in Abu Dhabi gab, die Zusammenarbeit wieder ausweiten?
Franz Tost: In diesem Jahr ist es schwer. Vor allem mit unterschiedlichen Motoren. Weil diese neuen Power Units, vor allem was die Kühlung anbelangt, bei vielen Herstellern ganz andere Auslegungen erfordert. Und das beeinflusst wieder die Aerodynamik. Und dann gibt es ja nach wie vor die "Listed Parts". Das heißt, Frontflügel, Monocoque, Heckflügel, Diffusor, Seitenkästen und Motorabdeckung müssen nach wie vor vom Team designt werden. Aber nach wie vor gilt: Red Bull Technology und wir, Toro Rosso, sprechen miteinander und schauen, inwiefern wir für die Zukunft die Synergien noch besser ausnutzen können.

Blicken wir wieder auf die sportliche Seite: Sie haben ja schon gesagt, dass Performance und Resultate bei Toro Rosso gerade ein bisschen auseinander klaffen. Im vergangenen Jahr auch schon. Was ist Ihre Erklärung dafür, dass Sie die vorhandene Performance nicht so auf die Strecke bringen?
Franz Tost: Letztes Jahr kann man mit diesem Jahr nicht so richtig vergleichen. Letztes Jahr hatten wir sehr, sehr viele Ausfälle, die teilweise durch uns, teilweise durch unseren Partner bedingt waren. Dieses Jahr sind einfach ein paar, ich sage jetzt einmal Umstände, nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Da hat es von allen Seiten Fehler gegeben. Ich hoffe, dass wir diese Fehler bei den zukünftigen Rennen nicht mehr machen. John Booth ist ins Team geholt worden, damit er uns beratend zur Seite steht, was die Rennen und die Rennstrategie betrifft. Er ist ein erfahrener Mann und wird uns hier oder dort sicherlich hilfreich zur Seite stehen.

Nochmal zur Emanzipierung von Toro Rosso. Man versucht, sich dann in allen Bereichen zu verbessern, aber dann kommen externe Faktoren mit rein, die man nicht beeinflussen kann wie zum Beispiel der Motor. Wie geht es Ihnen dabei?
Franz Tost: Das liegt nicht in unserer Hand. Wir sind da momentan, was die ganze Power-Unit betrifft, als, ich nenne es jetzt mal Kundenteam natürlich immer ein bisschen in der Ecke. Durch die späte Entscheidung im letzten Jahr hat man uns gesagt, 'okay, ihr könnt einen Motor von uns nehmen, aber nur einen alten'. Uns blieb eigentlich nichts anderes übrig, als das zu akzeptieren. Aber so ist es halt. Die Werke haben ihren Vorteil und nutzen den auch aus. Man muss dann nichtsdestotrotz versuchen, das Beste und Optimale aus diesem Paket herauszuholen.

Ist es nicht irgendwie frustrierend, wenn man an allen Stellschrauben etwas ändert und über die Jahre versucht, alles zu perfektionieren und dann durch so einen externen Faktor aller Chancen beraubt wird?
Franz Tost: Nein, das macht es ja so interessant in der Formel 1. Hindernisse sind ja dazu da, überwunden zu werden. Ich sehe da kein Problem. Ich sehe das als Herausforderung.

Wie sieht es jetzt für das nächste Jahr aus? Das Reglement wurde ja ein bisschen verschärft. Die Hersteller sollen im nächsten Jahr die komplett gleiche Power Unit liefern, was ursprünglich ja sowieso mal gedacht war.
Franz Tost: Wir haben momentan eine Herstellermeisterschaft und die Hersteller bestimmen, wo es lang geht. Ganz klar. Dadurch, dass der Alternativmotor nicht kommt, wird das auch im nächsten Jahr so sein. Da wird sich über kurz oder lang nicht viel ändern. Ich sehe bis 2020 alles so ziemlich fixiert. Der Alternativmotor hätte, wenn, dann 2017 kommen müssen. Das ist jetzt vorbei. Das geht nicht mehr. Und für 2018 sehe ich auch keine Ansätze, das rentiert sich überhaupt nicht mehr. Das heißt, wir werden jetzt weiterhin mit diesem Reglement leben und ich erwarte mir, dass die Hersteller näher zusammen rücken. Ich hoffe, dass Ferrari, Renault, Honda auf Mercedes aufschließen. Nichtsdestotrotz ist Mercedes nach wie vor ziemlich weit vorne, weil sie sich einfach in den letzten Jahren eine derart fantastische Infrastruktur geschaffen haben - a) von den Maschinen her und b) auch von der Mannschaft her. Sie haben sehr, sehr gute Leute und deshalb wird es schwer sein, an Mercedes heranzurücken.

Sie sagen, es ist eine Herstellermeisterschaft, und es wird bis 2020 so bleiben. Wo sehen Sie aktuell das Schlupfloch, dass Sie als Toro Rosso nicht das gleiche Material kriegen wie die Hersteller?
Franz Tost: Ich erwarte, dass die Hersteller den Kundenteams doch zu einem sehr hohen Prozentsatz dasselbe Material geben. Zumindest von der Hardware. Die Software hast du nicht unter Kontrolle. Der Hersteller wird immer in der Lage sein, bei diesem komplizierten Power-Unit-Package - wir sprechen ja hier von einem Turbomotor, der MGU-H, der MGU-K und der Batterie -, einem Viererpaket, das vom Management her optimal zu koordinieren. Da ist sehr viel Spielraum von den Herstellern, wo sie sich immer noch ihren Vorteil rausholen. Da ist überhaupt nichts dabei, die Software so, dass zwei, drei, vier Zehntelsekunden Unterschied da sind. Aber so ist es nun mal.

Kein Groll wegen Verstappen-Kvyat-Tausch

Ganz anderes Thema, aber eine geschickte Überleitung, hoffe ich: Ein anderer Faktor, der jetzt extern entschieden wurde, wie es für uns aussieht, ist die Fahrerthematik. Sehen Sie das auch so?
Franz Tost: Ich sehe das als Thema, aber nicht als eine Negativ-Thematik. Red Bull hat sich entschieden, Minardi damals zu kaufen. Und Dietrich Mateschitz hat ganz klar gesagt, dass Toro Rosso die jungen Fahrer vom Red-Bull-Driver-Pool ausbilden muss. Das haben wir auch die ganzen Jahre praktiziert und ich glaube, dass es auch ganz erfolgreich erledigt wurde. Mit Sebastian Vettel, Daniel Ricciardo, und Max Verstappen, ich zähle auch Daniil Kvyat dazu. Jetzt hat Red Bull die Entscheidung getroffen, Max Verstappen vielleicht früher als geplant zu Red Bull Racing zu holen. Für mich ist das eine ganz logische, legitime Entscheidung, weil man in der glücklichen Lage ist, ein zweites Team zu haben, das die Fahrer ausbildet. Werden Defizite festgestellt, dann muss man handeln. Ich sehe das nur positiv.

Ich glaube, aber korrigieren Sie mich, Sie haben damals, als Daniil zu Red Bull geholt wurde, gesagt, die sollen ihn da ja nicht verheizen. Wurde er jetzt verheizt?
Franz Tost: Das kann ich so noch nicht sagen. Das wird die Zukunft zeigen. Fakt ist: Red Bull ist ein Team, das vier Mal die Fahrer- und die Konstruktionsweltmeisterschaft gewonnen hat. Red Bull Racing operiert natürlich auf einem ganz anderen Level als Toro Rosso. Wenn dann ein Fahrer nach einem Jahr von uns zu Red Bull Racing kommt, dann ist das natürlich eine ganz andere Erwartungshaltung. Das war ursprünglich auch nicht so geplant. Wenn Sebastian Vettel dort geblieben wäre, dann wäre auch Daniil Kvyat nicht dort hingegangen. Aber es ist jetzt so wie es ist und ich bin davon überzeugt, dass Daniil Kvyat auch gute Leistungen zeigen wird. Aber man muss abwarten, wie sich die Saison entwickelt.

Hat er das vielleicht auch Ihnen persönlich zu verdanken, dass er jetzt diese zweite Chance erhält, weil Ihnen der Abschied damals nicht so ganz leicht gefallen ist, es jetzt vielleicht sogar ein bisschen Freude gibt, ihn wieder im Team haben zu dürfen?
Franz Tost: Prinzipiell haben wir bei Toro Rosso eigentlich zu allen Fahrern ein gutes Verhältnis. Zumindest einmal zu denen, die jetzt noch bei Red Bull Racing aktiv sind [schmunzelt]. Ich freue mich, dass wir diese Möglichkeit haben. Wir werden ihn unterstützen und helfen und auf die Straße des Erfolgs zurückführen.

Kann es auch eine Chance sein, dass Toro Rosso jetzt mal einen erfahreneren Piloten im Cockpit hat?
Franz Tost: Ja, gut. Carlos ist ja jetzt auch schon in seiner zweiten Saison. Aber es schadet in der aktuellen Situation, in der sich die Formel 1 befindet, bestimmt nicht, da einen drin zu haben, der die Formel 1 eigentlich schon kennt, ja.

Max Verstappen hat eigentlich schon nach dem ersten Jahr den Eindruck gemacht, als wäre er dazu bereit, in ein Top-Team zu springen. War er vielleicht ein bisschen überreif?
Franz Tost: Überreif kannst du in der Formel 1 nie sein. Max hat einen super guten Job gemacht und sich wirklich stetig weiterentwickelt. Es ist ja auch so, dass Red Bull Racing momentan nicht gerade um die Weltmeisterschaft mitfährt. Das heißt, er hat auch da noch Zeit, zu lernen, um im nächsten Jahr, wenn hoffentlich alles hinhaut und sie das Paket zusammen haben, um Siege und die Meisterschaft mitzufahren.

Wie bewerten Sie persönlich Max Verstappen? Was ist er für ein Typ?
Franz Tost: Max Verstappen zeichnet sein außerordentlicher Grundspeed aus, dass er sich wirklich sehr professionell vorbereitet, er für den Motorsport lebt, und die nötige Leidenschaft mitbringt. Die Disziplin passt auch soweit. Und vor allen Dingen: er macht sich auch immer wieder Gedanken, was er besser machen kann und wie er sich weiter verbessert. Das sind ganz, ganz wichtige Faktoren. Ihm hilft sicherlich, dass Jos in jungen Jahren so viel Zeit verwendet hat, ihn aufzubauen. Ohne Jos Verstappen wäre er jetzt nicht in dieser Situation, glaube ich. Er hat Motoren vorbereitet, er hat ihn zu sämtlichen Rennen und Tests begleitet und er hat ihm sicherlich sehr, sehr viel an Erfahrungsschatz weitergegeben. Das merkt man schon. Davon profitiert er jetzt. Das ist auch nur gut so. Ich erwarte, dass er bald richtig da vorne mitfahren wird.

Menschlich ist er für sein junges Alter - sagen wir mal - sehr direkt. Er weiß, was er will, eckt damit vielleicht auch manchmal an. Muss das ein erfolgreicher Rennfahrer vielleicht auch?
Franz Tost: Natürlich, ein erfolgreicher Rennfahrer muss extrem egoistisch sein, muss auf seinen Vorteil bedacht sein. Alles andere darf ihn nicht interessieren. Diese Eigenschaften verkörpert er sehr wohl, deshalb wird er erfolgreich sein.

Manche meinen, man merkt das auch im Team...
Franz Tost: Ja klar, merkt man das auch im Team. Aber das ist ja nichts Negatives. Ich persönlich mag solche Fahrer lieber als Fahrer, die kaum einen eigenen Durchsetzungswillen haben. Diese Fahrer sind bevorzugt, auf alle Fälle.

Mit Max Verstappen ist jetzt auch Xevi Pujolar gegangen. Gibt es da irgendeinen Hintergrund? Er ist ja nicht mit zu Red Bull gegangen, sondern hat die Red-Bull-Familie ganz verlassen.
Franz Tost: Na gut, das sind ingenieursinterne Gründe. Wir möchten da jetzt auch nicht näher darauf eingehen. Das ist Toro-Rosso-betriebsintern. Es hat seitens der Ingenieure eben eine gewisse unterschiedliche Arbeitsmethodik, verschiedene Meinungen gegeben. Die technische Führung hat entschieden, in Zukunft einen anderen Weg zu gehen.

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