39 Sekunden. Nicht einmal eine Minute. Und gleichzeitig eine absolute Ewigkeit. Aufregung, berstende Freude, Tränen des Glücks, Begeisterung und schließlich pure Ernüchterung und unvorstellbare Fassungslosigkeit. Das alles in nur 39 Sekunden. In weniger als einer Minute durchlebten Felipe Massa und seine zigtausenden Anhänger weltweit ein Wechselbad der Gefühle, das so wohl noch nie dagewesen ist. Am Schluss wurde Lewis Hamilton Weltmeister und die Ferraristi und ganz Brasilien trauerten gemeinsam mit Felipe Massa dem Titel 2008 hinterher.

"Ich habe um die Weltmeisterschaft gekämpft und ich glaube, ich bin der Fahrer, der dem Titel am nächsten gekommen ist. Unglücklicherweise änderte sich einiges auf den letzten Metern. Aber ich habe das Rennen gewonnen, bin von der Pole gestartet. Ich habe die Meisterschaft definitiv nicht dort verloren. Ich habe die WM in jedem anderen Rennen verloren, wo ich einen Punkt verpasst habe", erinnert sich der Brasilianer im Interview mit Motorsport-Magazin.com an diesen einschneidenden Tag seiner Karriere zurück.

Es war Felipe Massas elfter Sieg in der Formel 1. Ein denkwürdiger Erfolg vor mehr als acht Jahren. Er wird als der letzte Triumph des Brasilianers in die Historie der Königsklasse eingehen. Dieser eine Tag ist allerdings nur eine von vielen besonderen Erinnerungen, die Massa nach 14 Jahren Formel 1 in den Köpfen der Menschen und den Herzen seiner Fans hinterlässt.

Mit seinem Lehrmeister und Freund Michael Schumacher bei Ferrari

Felipe Massa und Michael Schumacher verbindet eine tiefe Freundschaft weit über das Rennfahren hinaus, Foto: Sutton
Felipe Massa und Michael Schumacher verbindet eine tiefe Freundschaft weit über das Rennfahren hinaus, Foto: Sutton

2006 ging für den damals 24-Jährigen ein Lebenstraum in Erfüllung. An der Seite des siebenfachen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher durfte er für Ferrari angreifen. Bis heute wird Massa nicht müde zu betonen, wie wichtig der Rekordweltmeister für seine Karriere war und wie viel er von ihm gelernt hat. "Er ist mein Meister, mein Professor, mein Lehrer. Er war mein Lehrer und er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben als Freund, Bruder und insbesondere als Lehrmeister."

Das Privileg, sein Teamkollege gewesen zu sein, macht Massa auch Jahre nach der gemeinsamen Zeit bei Ferrari noch stolz. Obwohl die Bindung zu Schumacher zu Beginn nicht wirklich eng war. "Für mich war er immer der große Michael", verrät Massa. "Er hat für ein Team getestet und ich für ein anderes. Ich habe ihn gesehen und ihm gesagt: 'Schön, dich kennenzulernen.' Aber eine richtige Beziehung hatten wir da noch nicht. Das entwickelte sich immer mehr, als ich dann Ferrari-Testfahrer wurde."

Der erste Sieg

Felipe Massa bei seinem ersten Formel-1-Sieg 2006 in der Türkei, Foto: Sutton
Felipe Massa bei seinem ersten Formel-1-Sieg 2006 in der Türkei, Foto: Sutton

Sein Lehrmeister Schumacher war es auch, der bei allen besonderen Momenten an Massas Seite war. Im fünften Rennen für Ferrari war das Glück perfekt. Auf dem Nürburgring 2006 stieg er neben Schumacher und Fernando Alonso als Dritter zum ersten Mal auf das Podium. Neun Rennen später folgte in der Türkei der absolute Durchbruch: Sein erster Karriere-Sieg in der Formel 1.

"Es war für mich ein unglaublicher Moment, mein erstes F1-Rennen zu gewinnen. Das war ein fantastisches Rennen, das ich von der Pole angegangen bin", erinnert sich der Brasilianer. "Ich konnte nicht glauben, dass ich das Rennen gewonnen hatte. Das war einer der größten Momente in meiner Karriere und ich weiß ihn wirklich sehr zu schätzen und habe es sehr genossen. Ich habe es geschafft und darauf bin ich ziemlich stolz."

Die verpassten Siege

Felipe Massa beim Singapur 2008, Foto: Sutton
Felipe Massa beim Singapur 2008, Foto: Sutton

Neben Jubelmomenten gab es für Massa aber auch zahlreiche Situationen, in denen er zu schlucken hatte. 2008 fuhr er in Ungarn einem ungefährdeten Sieg entgegen, als drei Runden vor der karierten Flagge sein Ferrari-Motor in Flammen aufging - und damit auch im Nachhinein betrachtet einer seiner Matchbälle auf den Titel.

Der zweite und wohl größere Matchball in dieser Saison glitt Massa allerdings in Singapur durch die Finger - oder eher in Form von Nelson Piquet in die Mauer. "Das ist mit Sicherheit das Schlimmste, was ich in der F1 erlebt habe. Für mich und auch für die ganze Politik. Ein Fahrer, der einen Unfall verursacht, um seinem Teamkollegen zu helfen, das Rennen zu gewinnen", spielt auf auf den Sieg von Fernando Alonso in Singapur an, der ihm durch den absichtlich verursachten Unfall von Teamkollege Piquet ermöglicht wurde. Massa, der zu dieser Zeit geführt hatte, kam während der Safety-Car-Phase an die Box - und mit einem zusätzlichen Tankschlauch am Ferrari wieder heraus. Statt Platz 1 stand am Ende Platz 13. "An dieses Rennen erinnere ich mich ziemlich oft. Ich dachte damals, es wäre ein normaler Rennunfall gewesen. Danach haben mir Leute erzählt, dass der Unfall absichtlich herbeigeführt wurde und ich konnte ihnen nicht glauben. Ich dachte, das sei komplett verrückt. Aber das war es nicht."

Ein weiterer Sieg, der eigentlich schon auf dem Konto von Massa vorgraviert war, ging am Ende an Fernando Alonso. 2010 kam Massa in Hockenheim einem Erfolg wohl so nach wie niemals wieder danach. Bis schließlich über Funk die Anweisung von Ferrari kam: "Felipe, Fernando is faster than you." Kurz nach der Haarnadel-Kurve bremste der Führende Massa schließlich ab und ließ seinen spanischen Teamkollegen widerwillig passieren. "Ich war dabei, das Rennen zu gewinnen. Aber ich durfte es nicht, weil mein Team es mir nicht erlaubt hat", blickt Massa zurück, unterstreicht aber, nie ein Problem mit Alonso persönlich gehabt zu haben. "Es war nicht Fernando, der darum gebeten hat, sondern das Team. Sie haben mich gebeten, das zu tun - und ich war professionell wie immer."

Der Tag, der alles veränderte

Felipe Massas schwerer Unfall in Ungarn 2009, Foto: Sutton
Felipe Massas schwerer Unfall in Ungarn 2009, Foto: Sutton

Doch alle Professionalität und Fahrkunst nutzte Massa nichts an jenem verhängnisvollen Tag in Ungarn. Es lief Q2 des Qualifyings 2009, als der Ferrari der Brasilianers plötzlich ungebremst in die Reifenstapel krachte. Regungslos blieb er in seinem Cockpit sitzen und sofort wuchs die Sorge. Was war mit Massa passiert und wieso hatte er nicht gebremst? Die Aufklärung brachte eine Zeitlupenaufnahme von Rubens Barrichellos Auto, von dem sich eine Feder gelöst hatte. Sie war auf dem Boden aufgesprungen und hatte schließlich Massa am Helm getroffen - nur Zentimeter von seinem Visier und damit dem wohl sicheren Tod entfernt.

"Die Leute sagen, ich hätte wirklich Glück gehabt. Und das glaube ich auch. Das war ein schlimmer Unfall, aber ich hatte Glück, dass es nicht mein Tag war, dass meine Zeit nicht gekommen war und ich immer noch hier bin, mein Leben genießen und meinen Job erledigen kann", resümiert Massa heute. Die Saison war für den Brasilianer dennoch vorbei und laut Meinung vieler auch seine Formel-1-Karriere auf Top-Niveau. "Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, könnte man glauben, dass es mich verändert hat. Ich habe nach dem Unfall kein einziges Rennen mehr gewonnen. Aber möglicherweise hatte ich auch nicht mehr das Auto, um zu gewinnen und um die WM zu kämpfen."

Der zweite Frühling bei Williams

Felipe Massa fuhr von 2014 - 2016 bei Williams, Foto: Sutton
Felipe Massa fuhr von 2014 - 2016 bei Williams, Foto: Sutton

Tatsächlich kämpfte Massa nach diesem Tag niemals mehr um den Titel. 14 Podien waren die Ausbeute seiner letzten sechs Jahre in der Formel 1. Dennoch hatte er die Chance, seine Karriereende nochmals zu genießen und etwas druckbefreiter anzugehen. Mit Williams. "Ich war frei, bereit für den Kampf. Ich war zu 100 Prozent in einem guten Team, ohne irgendwelchen Druck. Es war die richtige Entscheidung", erzählt der Brasilianer zu seinen drei Jahren im britischen Team. Nach Zeiten des Kampfes mit, bei und teilweise auch gegen Ferrari ein schöner Ausklang einer langen und erfolgreichen Karriere in der Königsklasse. Und egal, was die Zukunft bringt: Für 39 Sekunden konnte er spüren, was vielen anderen Rennfahrern für immer verwehrt bleiben wird. Er war Formel-1-Weltmeister.

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