In der Winterpause in der Fabrik, während der Testfahrten, an den Rennwochenenden: Die Formel-1-Teams werden nimmermüde, einen Boxenstopp nach dem anderen zu üben. Jeder Handgriff muss sitzen. Jedes Detail zählt. Aber wie erlebt der Fahrer die entscheidenden Sekunden vor, während und nach einem Boxenstopp in seinem Cockpit? Was nimmt er wahr? Wie kann er sich darauf vorbereiten? Genau diese Frage stellten wir Valtteri Bottas. Die Williams-Crew des Finnen dominierte in diesem Jahr die Boxengasse beinahe nach Belieben. Bis zur Sommerpause absolvierte das Team bei zehn der zwölf Rennen den schnellsten Boxenstopp - einmal sogar in 1,92 Sekunden. Damit stellte Williams den bislang bestehenden Rekord von Red Bull ein. Wie ist das der Truppe von Sir Frank Williams gelungen? Einsatz Valtteri Bottas...

Williams-Pilot Valtteri Bottas im Gespräch mit Motorsport-Magazin, Foto: Sutton
Williams-Pilot Valtteri Bottas im Gespräch mit Motorsport-Magazin, Foto: Sutton

Die Vorbereitung:
"Wir üben Boxenstopps bei den Testfahrten im Winter und natürlich auch an jedem Rennwochenende, wenn wir an die Box kommen. So kann ich als Fahrer einen Referenzpunkt zum Bremsen finden. Dann legen wir auch Gummi vor unserer Garage, weil die Boxengasse normalerweise sehr viel rutschiger ist als die Strecke selbst. Sie ist schmutzig, aber wenn du Gummi legst, hast du mehr Grip bei deinen Boxenstopps. Dabei versuchen wir immer das Maximum herauszuholen und so viel Gummi wie möglich zu legen. Vielleicht kann man sich mit Mentaltraining etwas beschäftigen, aber für mich ist das Fahren selbst das beste Training. Wenn du im Auto sitzt, bist du zu 110% konzentriert. Der Rest kommt dann ganz normal."

Die In-Lap:
"Wenn du die Nachricht erhältst, dass du an die Box kommen sollst, versucht du alles aus den Reifen herauszuholen, was noch übrig ist. Du kannst ein bisschen mit den Motor-Einstellungen spielen, die Batterie etwas mehr entleeren. Ansonsten gilt es, einfach hart zu pushen und eine perfekte Runde hinzulegen. Bei der Ausfahrt aus der Box musst du, abhängig von der Situation, auch versuchen, die Reifen so schnell wie möglich auf Betriebstemperatur zu bringen. Ich genieße es sehr, wenn ich nicht mehr auf die Reifen achten und mit Vollgas fahren darf. Das ist ein schönes Gefühl. Sehr schön. Natürlich ist es schwierig, weil die Reifen zu diesem Zeitpunkt schon abgefahren sind. Dadurch rutscht du viel. Das macht es wiederum schwierig."

Die Boxeneinfahrt:
"Als Fahrer kommt es beim Boxenstopp zunächst einmal auf die Boxeneinfahrt an. Du musst so spät wie möglich bremsen. Auf einer Strecke wie Baku ist es wegen der Kurve zum Beispiel sehr schwierig, Zeit gutzumachen. In der Boxengasse muss man schnell, aber präzise sein. Du musst so spät wie möglich bremsen, aber auch perfekt an den Markierungen anhalten. Wenn du 20 oder sogar nur 10 Zentimeter zu weit fährst, muss die ganze Boxencrew nachrücken. Das kostet Zeit."

Die Standzeit:
"Wenn du im Auto sitzt und stehst, gibt es nicht so viel, das du als Fahrer machen kannst. Du kommst an die Box, ziehst die Kupplung und stehst auf der Bremse. Wichtig ist, das Lenkrad gerade zu halten, damit die Mechaniker die Schlagschrauber richtig ansetzen und die Räder wechseln können. Du nimmst es wahr, wenn es an einer Ecke etwas langsamer geht. Du starrst auf die Ampel, aber du merkst schon, wenn einer der Jungs heute langsamer war. Ich bin dann aber niemand, der hinterher hingeht und ihm sagt, dass er nun das nächste Bier bezahlen muss! Ich selbst kann mich erinnern, dass ich einmal zu weit gefahren bin - sogar ziemlich weit. Damals haben die Räder blockiert, aber sonst ist mir nichts Dramatisches im Gedächtnis geblieben."

Das Losfahren:
"Sobald du das grüne Licht siehst, legst du einen Rennstart hin. Beim Losfahren kommt es vor allem auf die Reaktionsfähigkeit an. Genauso bei der Boxenausfahrt. Du musst den Pitlane-Limiter so früh wie möglich ausschalten, ohne dabei zu schnell zu fahren. Das sind die Hauptpunkte für einen Fahrer."

Das Gesamtkunstwerk Boxenstopp:
"Die Formel 1 ist absolut eine Mannschaftssportart. Kein Fahrer kann ohne sein Team Weltmeister werden. Umgekehrt wird das Team auch nicht Champion, wenn es keinen guten Fahrer hat. Ich versuche immer, so viel wie möglich mit ihnen zusammenzuarbeiten, schon bei der Entwicklung des Autos. Der Boxenstopp ist das beste Beispiel dafür."

1,92 Sekunden. Der schnellste Boxenstopp der Saison geht auf das Konto der Williams-Crew. Dabei zeichnete sich die Mannschaft aus Grove in den vergangenen Saisons nicht unbedingt durch die schnellsten Stopps der Boxengasse aus. Das hat sich geändert. "Die Grundlage war harte Arbeit, sehr viel harte Arbeit", verrät Chefingenieur Rob Smedley. Zunächst ging es darum, die Schwachstellen auszumachen. Dabei handelte es sich nicht um die Mechaniker, sondern um klitzekleine Details. "Wir haben nichts Grundlegendes verändert. Aber wir haben definitiv etliche kleine Detailänderungen vorgenommen, um unsere Achillesferse der letzten beiden Jahren zu umgehen."

Das Problem ist kein Geheimnis: Williams bekam die Räder nicht problemlos ab. Es dauerte eineinhalb bis zweieinhalb Sekunden länger als bei der Konkurrenz. Die Lösung fand unter anderem die Designgruppe für die Aufhängung. "Jetzt hält es uns nicht mehr auf und lässt uns mehr Strategien offen." Das war in der Vergangenheit nicht so. "Viele Leute wissen nicht, dass ein Zeitverlust von einer Sekunde beim Boxenstopp einen riesigen Einfluss auf deine Strategie und Taktik hat."

Die schnellsten Boxenstopps 2016

Grand PrixTeamFahrerSekunden
AustralienWilliamsBottas2,35
BahrainWilliamsMassa2,27
ChinaWilliamsMassa2,10
RusslandWilliamsMassa2,23
SpanienWilliamsMassa2,12
MonacoWilliamsBottas2,43
KanadaWilliamsBottas2,11
EuropaWilliamsMassa1,92
ÖsterreichWilliamsMassa2,16
GroßbritannienMercedesHamilton2,33
UngarnMercedesRosberg2,15
DeutschlandWilliamsMassa2,00
BelgienWilliamsBottas2,14
ItalienRed BullRicciardo1,98
SingapurMercedesHamilton2,14
MalaysiaWilliamsMassa2,00
JapanWilliamsMassa2,05
USARed BullVerstappen2,10
MexikoWilliamsMassa2,06
BrasilienRenaultPalmer2,35
Abu DhabiRed BullVerstappen2,11

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