Die Formel 1 ist eine verrückte Welt: Vor ein paar Wochen saß Pascal Wehrlein beim Brasilien GP noch geknickt in der Manor-Hospitality und musste den Medienvertretern erklären, warum nicht er, sondern Teamkollege Esteban Ocon das Force-India-Cockpit für 2017 bekommt. Dabei wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal selbst warum. Zwei Wochen später wusste er das 'Warum', dafür aber nicht, wie es weitergehen würde.

Es gab nur noch zwei Optionen: Manor oder Sauber. Beides lag nicht in Wehrleins Händen. Der Deutsche musste auf Mercedes vertrauen. Mercedes hat - verglichen mit anderen Bewerbern auf dem Markt - neben Wehrlein nur ein geringfügiges Mitgift zu bieten. Deshalb war die Formel-1-Karriere des DTM-Champions von 2015 nicht sicher - trotz starker Leistungen in der abgelaufenen Saison.

Eine Woche nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi sieht Wehrleins Welt ganz anders aus. Plötzlich hat er Chancen, 2017 um den Weltmeistertitel in der Formel 1 zu fahren. Nico Rosbergs für alle überraschender Rücktritt hat die Wehrlein-Welt um 180 Grad gedreht.

Warum soll ein Fahrer, dessen Formel-1-Zukunft vor zwei Wochen noch ungewiss war, der den Kampf um das Force-India-Cockpit gegen den anderen Mercedes-Junior verlor, plötzlich Anwärter Nummer eins für das womöglich beste Fahrzeug sein? Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Bei Mercedes spricht Geld nicht gegen Wehrlein

Darüber, ob Wehrlein eine Zukunft in der Formel 1 verdient hat, gibt es keinen Zweifel. Die Ungewissheit lag nicht an seiner Leistung, sondern am Markt. Bei Manor und Sauber entscheidet nicht allein das Talent. Bei Mercedes ist es genau umgekehrt: Bei den Silberpfeilen verdienen die Piloten das, was sie woanders mitbringen müssen. Kurzum: Das Geld ist bei Mercedes kein Faktor, das gegen Wehrlein spricht. Es spricht eher für ihn.

Wehrlein schielt schon länger auf das Mercedes-Cockpit, Foto: Mercedes AMG
Wehrlein schielt schon länger auf das Mercedes-Cockpit, Foto: Mercedes AMG

Mercedes stellt sich die Frage, ob ein erfahrener Pilot aus seinem Vertrag geholt werden soll oder ob es ein Junior richtet. Rosbergs späte Entscheidung hat es Toto Wolff nicht unbedingt leicht gemacht, auf dem Fahrermarkt zu wildern. Die Top-Player sind unter Vertrag: Daniel Ricciardo und Max Verstappen sind bei Red Bull wasserdicht, Sebastian Vettel bei Ferrari ebenfalls.

Einzig und allein Fernando Alonso wäre von den großen Namen theoretisch möglich, Mercedes aber will die Konfrontation mit Anwälten meiden - zumal es mit Fernando Alonso auch eine Vorgeschichte bei Mercedes gibt. Wolff will den Daimler-Vorstand auf jeden Fall mit im Boot haben. Und die kennen 100 Millionen Gründe gegen Alonso...

Die Big Player sind also keine Möglichkeit. Mit Valtteri Bottas gibt es noch eine Mittel-Lösung. Bottas wird von Toto Wolff gemanagt. Williams aber braucht Bottas an der Seite von Lance Stroll und dürfte auch um den Finnen kämpfen - was auf gut Deutsch heißt: erheblich Ablöse verlangen.

Junior-Programm kein Argument für Wehrlein & Ocon

Wählt Mercedes diese Alternative, stellt man selbst das Junior-Programm in Frage, das erst 2015 richtig ins Leben gerufen wurde. Will Mercedes das Nachwuchs-Programm nicht einstampfen, sollte ein Junior befördert werden. Allerdings steht dieser Grund hintenan: Mercedes geht es letztlich nur um die bestmögliche Lösung für 2017. Wer so viel Geld für das Formel-1-Engagement ausgibt, kann es sich nicht erlauben, auf derlei Dinge Rücksicht zu nehmen. Und das weiß keiner besser als Toto Wolff.

Aber Wehrlein und Ocon sind nicht umsonst Mercedes-Junioren. Wolff glaubt an beide. Warum aber sollte man Wehrlein dann Ocon vorziehen, wenn Force India anders entschied? Force Indias Entscheidung war menschlicher Natur. Man nahm Wehrlein eine Äußerung bei Testfahrten übel, die ehrlich, aber etwas undiplomatisch ausgedrückt war. Bei Mercedes gibt es keine menschlichen Probleme mit Wehrlein.

Dass Wehrlein bei Mercedes nicht zweite Wahl ist, zeigen die Testfahrten. Immer, wenn es möglich war, saß der Deutsche im Cockpit. Die Reifentests für 2017 hat er fast im Alleingang abgespult. Vorteil Wehrlein? "Ein großes Ja", meint Wolff.

Praktische Gründe für Wehrlein

Und Wehrlein hat noch einen weiteren großen Vorteil gegenüber Ocon: Die DTM mag nicht die beste Rennserie der Welt und sie mag auch als Vorbereitung auf die Formel 1 nicht ideal sein, aber in einer Hinsicht ist sie die denkbar beste Schule: beim Druck. Mercedes setzte 2015 alles auf Wehrlein, sieben Piloten wurden auf ihn angesetzt. Wehrlein hielt dem Druck stand und wurde Meister. Auch Ocons Karriere war kein Spaziergang, aber der DTM-Titel ist da eine andere Hausnummer.

Und dann gibt es noch die praktischen Gründe, die für Wehrlein sprechen: Mercedes kennt ihn schon eine ganze Zeit lang. Man weiß, was man hat. Das gilt übrigens auch für seinen Körper: Mercedes hat 3D-Bodyscans von Hamilton, Rosberg, Wehrlein und Ocon. Die Autos wurden so designt, dass alle darin Platz haben würden. Bei einem neuen Fahrer könnte das Probleme geben. Bei Ocon könnte der ein oder andere Ingenieur aber noch Kopfschmerzen bekommen.