Fast zeitgleich mit Nico Rosbergs Rücktritts-Verkündung begannen die Spekulationen um seine Nachfolge. Im Spaß bot sich so gut wie jeder für das Mercedes-Cockpit an der Seite Lewis Hamiltons an. Tatsächlich stellt sich der Mercedes-Führung mit der Rosberg-Nachfolge eine für die Zukunft und den Erfolg des Teams essentielle Frage. Zwar gäbe es wohl kaum einen Piloten, der nicht gerne für die Silberpfeile fahren würde - doch längst nicht jeder Fahrer ist mit dem Team und Platzhirsch Hamilton kompatibel. Selbst eine Verpflichtung vom hauseigenen Junior Pascal Wehrlein könnte ein Risiko mit sich bringen.

"Pascal und Lewis ist eine explosive Mischung", so die Befürchtungen von Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Denn mit explosiv sind nicht etwa die fahrerischen Fähigkeiten gemeint, über die beide Fahrer zweifelsohne verfügen. Es geht um etwas anderes: Während Wehrlein ein junges und ehrgeiziges Talent ist, das sich erst noch im Formel-1-Zirkus beweisen will, steht Hamilton als dreimaliger Weltmeister schon kurz vor dem Legenden-Status.

Die Kombination zweier Fahrer, die sich in solch unterschiedlichen Karriere-Phasen befinden, hat es in der Vergangenheit schon einmal gegeben. Und Wolff kann sich offenbar gut daran erinnern, dass sie für das betroffene Team nicht das beste Ende nahm. "Was ich auf jeden Fall vermeiden will, und die Entscheidung für Pascal ist ja auch noch nicht gefallen, ist ein Alonso/Hamilton-Szenario, wie es das 2007 gab. Das ist ein Territorium, das ich wirklich nicht betreten möchte", lässt Wolff seine Angst vor einem teaminternen Krieg der Stallgefährten durchklingen.

Hamilton gab 2007 bei McLaren sein Formel-1-Debüt, während Fernando Alonso als zweifacher Weltmeister von Renault zum britischen Traditionsrennstall gewechselt waren. Nachdem die Beiden sich völlig unerwartet im Duell um den Titel wiederfanden, begann ein Psycho-Krieg sondergleichen. Er endete damit, dass Kimi Räikkönen im Ferrari die Weltmeisterschaft beim Finale mit einem Punkt Vorsprung auf das McLaren-Duo gewann und Alonso das Team nach nur einem Jahr wieder verließ. Eine Horror-Vorstellung für jeden Teamchef.

Hamilton und Alonso schenkten sich 2007 bei McLaren nichts und verloren die WM, Foto: Sutton
Hamilton und Alonso schenkten sich 2007 bei McLaren nichts und verloren die WM, Foto: Sutton

Persönlichkeit muss mit Mannschaftsgeist kompatibel sein

Für Wolff lautet das Hauptkriterium aber keineswegs, dass die Persönlichkeit des zweiten Fahrers mit dem etablierten Platzhirsch kompatibel sein muss. "Wir werden Lewis mit Sicherheit anhören, wenn wir die Entscheidung getroffen haben. Aber erst danach", so Wolff gegenüber Motorsport-Magazin.com. Vielmehr wird vorausgesetzt, dass sich Rosbergs Nachfolger mit dem Teamgeist identifiziert: "Jedes einzelne Mitglied dieser Teamführung - und dazu zählen auch die Fahrer - ist Teil dieses Equilibriums, das wir hergestellt haben - Teil der Balance. Deswegen kannst du da jetzt nicht jemanden reinwerfen, der sein eigenes Ding durchziehen will und der diese Dynamik nicht versteht."

Andererseits war es bei Mercedes in der Vergangenheit der Wunsch, zwei gleichwertige Piloten in den Cockpits zu haben. Anders als bei manch anderem Rennstall, wo es eine klare Nummer eins und eine Nummer zwei gibt. Bei Mercedes' bisheriger Konstellation kam es dadurch zu Kollisionen und mieser Stimmung im Team. Etwas, das bei einer Wiederholung fast vorprogrammiert ist. "Du kannst nicht vermeiden, dass jemand schneller fährt. Wir wollen ja ihn dann auch nicht zurückhalten. Der Respekt vor Lewis und seiner Leistung muss einfach da sein. Gleichzeitig aber auch der Nicht-Respekt, um ihn schlagen zu wollen", so Wolff zur Wehrlein-Variante.

Egoismus schadet dem Team-Erfolg

Trotz aller Rivalität und allem Ehrgeiz, erwartet Wolff auch von seiner zukünftigen Fahrerpaarung, dass sie im Sinne des Teams handelt und dazu in der Lage ist, die Erfolge des Hamilton-Rosberg-Gespanns zu wiederholen. Zwei zu eigensinnige Persönlichkeiten würden diesem Ziel im Weg stehen. "Wir wollen sie aufeinander loslassen. Du kannst aber auch nicht jedes Wochenende Feuer löschen. Es kostet Kraft und sie ziehen nicht mehr in die gleiche Richtung. Dann hast du im Team zwei Lager, die sich spalten. Die Konsequenz ist dann, dass das Auto langsamer wird", sagt Wolff.

Etwas, das wiederum nach einem Argument gegen Namen wie Alonso klingt. Schließlich ist der Spanier in Sachen Ehrgeiz ein ähnliches Kaliber wie Hamilton. Zwei Fahrer dieser Sorte könnten sich, selbst angesichts hoher Erfahrung, als ähnlich explosiv herausstellen, wie die Kombination eines Youngsters und eines Star-Piloten. Das weiß auch Wolff: "Es ist niemandem damit geholfen, weil ein Fahrer nur sein Ding durchziehen wollte. Wir haben in den letzten Jahren auch gewonnen, weil die Beiden in der Lage waren, dieses Equilibrium wert zu schätzen, weil es ihnen ein schnelles Auto gegeben hat."

Das Fahrer-Duo muss in erster Linie das Team voranbringen, Foto: Mercedes AMG
Das Fahrer-Duo muss in erster Linie das Team voranbringen, Foto: Mercedes AMG

Mercedes trotz Reifeprozess bei Alonso und Hamilton skeptisch

In der Vergangenheit wurde eine erneute Fahrerpaarung Alonso/Hamilton, wohl gerade wegen der damaligen Brisanz, mehrfach von Fans und Experten herbeigesehnt. Eine Wiederholung der damaligen Querelen muss allerdings nicht der Fall sein - glaubt zumindest Alonso. Er denkt, dass sich die einstigen Streithähne bei einer neuerlichen Partnerschaft anders verhalten würden. "Ich denke, es wäre anders, denn wir haben viel gelernt und wir sind heute andere Menschen. Wir haben nicht mehr diesen... sagen wir Stress, um jeden Preis gewinnen zu müssen. Ich denke, wir respektieren einander sehr", so der Spanier.

Für Alonso wäre das teaminterne Duell zwischen ihm und Hamilton eher ein Gewinn für den Sport: "Ich glaube, dass alle es lieben würden - aber nur, wenn wir für ein konkurrenzfähiges Team fahren. Jeder hat großen Respekt vor uns und wir würden natürlich immer noch so schnell fahren, wie wir können - aber mit einem anderen Level an Respekt." Vielversprechende Worte, die aber vor allem die Konzernführung bisher noch nicht überzeugen konnten. "Da gibt es ja eine Vorgeschichte", hält sich Wolff bedeckt und fügt an: "Wenn du den Oberchef nicht abholst, tust du dir selbst keinen gefallen. Das ist grundsätzlich so im Leben."