Der absolute Höhepunkt der Formel-1-Saison 2016 ist endlich da! Exakt 255 Tage, nachdem in Australien das erste Training stattfand, geht die Saison in Abu Dhabi zu Ende. Und das mit der Titelentscheidung, denn nach 55 Runden auf dem Yas Marina Circuit steht fest, ob es Nico Rosberg schafft, sich zum ersten Mal zum Weltmeister zu krönen, oder Lewis Hamilton den Spieß in allerletzter Minute doch noch umdreht.

Die Ausgangslage vor dem Finale

Nico Rosberg geht als haushoher Favorit in den letzten Saisonlauf. Zwar ist der Vorsprung des Deutschen in den letzten Rennen sukzessive geschmolzen, beträgt aber noch immer beruhigende zwölf Punkte. Das bedeutet, Hamilton kann nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden, da Rosberg selbst im Falle eines Sieges seines Teamkollegens ein dritter Platz genügt, um die Führung zu behaupten. Hamilton muss also nicht nur gewinnen, sondern auch hoffen, dass sich zwei andere Piloten zwischen ihm und Rosberg platzieren.

Nico Rosberg wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... mindestens Dritter wird.
  • ... Vierter, Fünfter oder Sechster und Hamilton maximal Zweiter wird.
  • ... Siebter oder Achter und Hamilton maximal Dritter wird.
  • ... als Neunter oder schlechter abschneidet und Hamilton maximal Vierter wird.
  • ... und Hamilton beide ausfallen oder außerhalb der Punkteränge ins Ziel kommen.

Lewis Hamilton wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... gewinnt und Rosberg maximal Vierter wird.
  • ... Zweiter und Rosberg maximal Siebter wird.
  • ... Dritter und Rosberg maximal Neunter wird.

Den Grundstein dazu, um sich nach dem Rennen nicht über seine eigene Leistung ärgern zu müssen, hat Hamilton am Samstag gelegt. Der Brite sicherte sich in eindrucksvoller Manier die Pole Position und geht am Sonntag zum vierten in Folge vom ersten Startplatz ins Rennen. Die letzten drei Grands Prix entschied Hamilton komfortabel für sich, und seine Form spricht dafür, dass er dies auch in Abu Dhabi tun wird.

"Ich kann nicht kontrollieren, was hinter mir geschieht. Ich kann mich nur auf mein eigenes Rennen konzentrieren. Aber du weißt nie, was vielleicht passiert. Mir bleibt nur die Hoffnung darauf, dass mein Auto morgen genauso wunderbar ist wie das gesamte Wochenende bislang. Dann werde ich nach dem Sieg greifen", will Hamilton jedenfalls alles in seiner Macht stehende tun, um nach 2011 und 2014 zum dritten Mal in Abu Dhabi zu gewinnen.

Das Problem des dreifachen Weltmeisters: Rosberg startet wie in den vergangenen drei Rennen als Zweiter. Bringt er diese Position ins Ziel, tritt er in die Fußstapfen seines Vaters Keke, der 1982 mit nur einem Sieg Weltmeister wurde, sowie in jene von Michael Schumacher und Sebastian Vettel, den beiden bisherigen deutschen Champions.

"Ich befinde mich in einer guten Position, um das Rennen zu gewinnen. Denn ich möchte die Saison positiv abschließen. Morgen gibt es einige Gelegenheiten und ich freue mich auf einen spannenden Kampf", hat Rosberg durchaus Ambitionen, Hamilton auf der Strecke zu schlagen, wird aber wie zuletzt freilich nicht das letzte Risiko eingehen.

Klammert man einen möglichen technischen Defekt - von einem solchen blieb Rosberg in dieser Saison bislang verschont - sowie einen Unfall aus, liegt Hamiltons Schicksal, sofern er gewinnt, in den Händen der Konkurrenz. Nur wenn es zwei Piloten anderer Teams gelingt, Rosberg vom Podest zu stoßen, hat er eine Titelchance. Andernfalls kann der Brite das beste Rennen seiner Karriere fahren, steht Rosberg nach knapp zwei Stunden auf dem Treppchen, gebührt ihm der WM-Pokal.

Red Bull: Schwach am Start, stark im Rennen?

Schützenhilfe darf sich Hamilton von den Red-Bull- und Ferrari-Piloten erwarten, die sich im bisherigen Verlauf des Rennwochenendes durchaus als konkurrenzfähig erwiesen. Daniel Ricciardo startet von der dritten Position und ist damit auf dem Papier der erste Pilot, der sich zwischen Hamilton und Rosberg schieben könnte. Und das hat der Australier auch vor.

"Wenn der Sieg möglich ist, werde ich danach trachten, da gibt es keine Zurückhaltung", kündigt Ricciardo an. "Man hat immer einen gewissen Respekt, weil sie um den Titel kämpfen, aber wenn sie die Türe offen lassen und ich denke, ich kann sie überholen, dann werde ich es ihnen nicht einfach machen und sie in den Sonnenuntergang segeln lassen."

Aus Sicht von Hamilton wäre es freilich optimal, würde sich gleich nach dem Start jemand zwischen ihn und Rosberg schieben. Gegen ein Überholmanöver Ricciardos unmittelbar nach dem Erlöschen der Ampeln spricht jedoch der Umstand, dass Red Bull auf Supersoft startet, wohingegen die Mercedes-Piloten für den Startstint die ultraweichen Reifen gewählt haben, die mehr Grip bieten.

Verstappen will Rosberg wieder das Leben schwer machen, Foto: Red Bull
Verstappen will Rosberg wieder das Leben schwer machen, Foto: Red Bull

Dafür könnte Red Bull im weiteren Rennverlauf strategisch im Vorteil sein. Das sieht auch Ricciardo so. "Wir wissen, dass sie unter denselben Bedingungen vermutlich schneller sein werden, deshalb glauben wir, dass wir zu Beginn etwas länger fahren sollten, und dann können wir am Ende, wenn wir auf anderen Reifenmischungen unterwegs sind, das Rennen vielleicht in unsere Richtung drehen", wagt der Australier einen Ausblick.

Ricciardos Teamkollege Max Verstappen, der Rosberg das Leben in der jüngeren Vergangenheit mit seinem beherztem Fahrstil ausgesprochen schwer machte und vor dem Rennwochenende gemeinhin als die größte Gefahr für den WM-Leader galt, kam nach einem verpatzten Qualifying nicht über den sechsten Startplatz hinaus. Wie Ricciardo startet auch der Niederländer auf den superweichen Reifen.

"Für mich ist das Wichtigste, die Position am Start zu halten, und dann nach vorne zu kommen", weiß auch Verstappen, dass Red Bulls Stunde eher später denn früher im Grand Prix schlagen wird. "Ich starte auf den anderen Reifen, hoffentlich kann ich im ersten Stint zusammen mit Daniel etwas länger fahren. Und dann sehen wir, was passiert."

Für Red Bull sprechen die ausgesprochen starken Longruns, die Ricciardo und Verstappen am Freitag im Zuge der Volltanktests fuhren. Hier lag man zumindest auf Mercedes-Niveau, tendenziell waren die Bullen sogar schneller als die Silberpfeile, auch wenn diese Vergleiche aufgrund Unbekannter wie der Spritmenge und der freigegebener Power stets mit Vorsicht zu genießen sind.

Ein wenig gegen Red Bull spricht hingegen der Top-Speed. Im Qualifying waren Ricciardo und Verstappen mit 335 km/h nur am Ende des Feldes zu finden, wohingegen Sebastian Vettel mit 343 km/h geblitzt wurde. Zwar waren die Mercedes-Piloten nur unwesentlich schneller als Red Bull, dennoch könnte das Power-Defizit auf den langen Geraden einen entscheidenden Nachteil darstellen, wenn es darum geht, Überholmanöver zu setzen.

Longruns in Abu Dhabi:

Fahrer Stint-Länge Reifen-Alter Schnitt
Ultrasoft
Verstappen 3 8 1:45.697
Ricciardo 6 11 1:46.249
Rosberg 8 12 1:47.019
Hamilton 8 12 1:47.086
Soft
Hamilton 9 18 1:45.628
Verstappen 5 12 1:45.896
Ricciardo 10 19 1:46.007
Rosberg 12 21 1:46.048
Vettel 15 21 1:47.108

Ferrari wittert Chance am Start

Gesplittet werden die Red-Bull-Piloten in der Startaufstellung von den beiden Ferraris, die ebenso wie Mercedes auf Ultrasoft starten. Kimi Räikkönen sicherte sich den vierten Startplatz und entschied damit das Qualifyingduell gegen Sebastian Vettel für sich. Aufgrund von Ricciardos Reifenwahl könnte der Finne am Start die größte Gefahr für Mercedes darstellen.

In Kanada überrumpelte Ferrari Mercedes am Start, Foto: Sutton
In Kanada überrumpelte Ferrari Mercedes am Start, Foto: Sutton

Zudem gilt Räikkönen in dieser Saison ohnehin als guter Starter, was von den Silberpfeilen nun nicht unbedingt behauptet werden kann. So machte der Finne in den letzten sechs Rennen in der Anfangsphase stets Positionen gut, und bei Mercedes erinnert man sich wohl noch immer mit Schaudern an den Kanada GP zurück, als man von Ferrari völlig düpiert wurde.

"Es ist immer wichtig, einen guten Start zu haben. Aber die Distanz zu Kurve eins ist sehr kurz, also versuche ich einfach gut zu starten", gibt Räikkönen die Marschroute vor. Dass Ferrari gegenüber Red Bull im Vorteil ist, sieht auch der Iceman so. "Es gibt einen wahnsinnig großen Unterschied zwischen den beiden Reifenmischungen", weiß er. Widerspruch aus dem Bullen-Lager bleibt da aus. "Die Ferraris werden wohl vorne bleiben, denn sie sind ziemlich gut am Start", fürchtet Verstappen.

Der vierte Fahrer im Bunde, auf den Hamilton baut und den Rosberg scheut wie das Weihwasser, ist Sebastian Vettel. Dieser verkaufte sich im Qualifying als Fünfter etwas unter Wert, richtet den Fokus aber ohnehin auf das Rennen und die letzte Chance, eine sieglose Ferrari-Saison doch noch zu verhindern. Es wäre nach 2014 die zweite binnen kürzester Zeit.

"Wir denken, dass wir auf dem richtigen Reifen für den Start sind und da etwas stärker sein sollten. Der Weg zu Kurve eins ist leider nicht lang, aber es sollte ein Vorteil sein", hofft Vettel, früh im Rennen Boden gutmachen zu können. Ferrari und Red Bull sieht der vierfache Weltmeister auf Augenhöhe, aber auch Mercedes nicht außer Reichweite.

"Sie sind stärker. Aber wir wissen, dass sie im Qualifying aufdrehen und im Rennen wieder runterdrehen müssen. Ich denke, wir können gut in Form sein. Es wird interessant, aber ich denke, es wird ein gutes Rennen", lautet sein Ausblick auf das Rennen an jenem Ort, wo er 2010 aus einer ähnlichen Ausgangsposition, in der sich nun Hamilton befindet, zum ersten Mal Weltmeister wurde.

Mercedes: Kopfschmerzen und Fairplay

Was die Strategie für das Rennen betrifft, geht Pirelli unabhängig davon, ob auf Ultrasoft oder Supersoft gestartet wird, von zwei Boxenstopps aus, wobei nach dem ersten Reifenwechsel bis zum Fallen der Zielflagge die Soft-Pneus zum Einsatz kommen. Das ist allerdings nur die Herangehensweise auf dem Papier, zuletzt wichen die Teams mehrfach teils deutlich von den Erwartungen des italienischen Fabrikanten ab.

Vor allem Red Bull ist ein Kandidat dafür, etwas Ausgefallenes zu probieren und mehr Risiko zu gehen, hat man den zweiten Platz in der Konstrukteurs-Wertung doch sicher in der Tasche und somit nichts mehr zu verlieren. Das macht auch Mercedes Sorgen. "Die Offset-Strategie von Red Bull bereitet und Kopfschmerzen und die Performance von Ferrari auch", gesteht Motorsportchef Toto Wolff.

Gelingt es Rosberg, die zweite Position zu halten, bleibt Hamilton als letzter Ausweg wohl nur noch, das Tempo zu drosseln, sodass die Konkurrenz aufschließen kann und Rosberg in Zweikämpfe verwickelt wird. Bei Mercedes will man diese Taktik jedenfalls nicht verbieten. "Wir wollen im letzten Rennen der Saison nicht eingreifen", betont Wolff, fügt jedoch hinzu: "Alles ist möglich, solange es den Sportsgeist nicht verletzt." Eine teaminterne Kollision wie in Barcelona und Spielberg soll beim WM-Finale tunlichst vermieden werden.