"Es war die Verstappen-Show", sagte Mercedes Motorsportchef Toto Wolff nach dem Großen Preis von Brasilien. Max Verstappen hatte der Motorsport-Welt soeben aufgezeigt, dass man mit einem modernen Formel-1-Auto eben doch im Regen fahren kann - wobei Lewis Hamilton das natürlich auch zeigte, nur eben mangels Gegner nicht ganz so spektakulär.

Hätte Red Bull nicht bei der Reifenstrategie danebengelegen, wäre Verstappen mindestens auf Platz zwei ins Ziel gefahren. "Wenn die Strategie richtig gewesen wäre, hätten wir das Rennen gewonnen", ist sich Dr. Helmut Marko sicher. "Wir hätten es aber, glaube ich, auch gewonnen, wenn wir auf den Regenreifen geblieben wären." Ob Verstappen aber tatsächlich eine Chance gegen Hamilton gehabt hätte, ist fraglich.

Nicht in Frage steht allerdings, dass Verstappen ein überragendes Rennen zeigte. Bevor die Strategie in die Hose ging, überholte er Nico Rosberg außen in Kurve drei. Das Manöver ist nominiert für die FIA Action of the Year. Im vergangenen Jahr gewann Verstappen den Award für sein Überholmanöver gegen Felipe Nasr in Blanchimont.

Was ist Verstappens Regen-Geheimnis?

Es war aber nicht Verstappens einziges spektakuläres Überholmanöver in Sao Paulo. Zurückgeworfen durch die falsche Reifenstrategie musste der Red-Bull-Pilot Platz um Platz gut machen. Von Platz 14 ging es auf Rang drei nach vorne, während Teamkollege Daniel Ricciardo mit einem beschlagenen Visier zu kämpfen hatte und sich von Platz 13 nur auf P8 verbessern konnte.

Was aber war Verstappens Geheimnis? Warum konnte er scheinbar über Wasser gehen, während - abgesehen von Lewis Hamilton - alle anderen zu kämpfen hatten? Viele sahen Verstappens Linie als Grund für den Erfolg. Im Gegensatz zu den 20 anderen Piloten fuhr der Niederländer nicht auf der eigentlichen Ideallinie, sondern nutzte in bestimmten Kurven die Außenlinie.

Für einige klar: Verstappen hatte die Kart-Regenlinie auf die Formel 1 adaptiert. Verstappen selbst relativiert: "Ich bin eine andere Linie gefahren, weil man nichts sehen kann, wenn man einfach hinterherfährt - deshalb versucht man etwas anderes und es scheint, funktioniert zu haben."

Danner: Das war keine Kart-Linie

"Das war keine Kart-Linie, das war eine klassische Regenlinie", erklärt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. "Im Regen ist manchmal nicht die Ideallinie die schnellste Linie, sondern eine andere. Genau das hat Max Verstappen ausgenutzt und dafür gebe ich ihm 10 von 10 Punkten - ich frage mich nur, warum das kein anderer gemacht hat."

Tatsächlich funkten einige Teams ihren Fahrern, dass Verstappen eine andere Linie fährt. Mercedes warnte Hamilton vor, nachdem Verstappen Rosberg überholt hatte. Red Bull funkte auch Ricciardo an und erzählte ihm von Verstappens Linienwahl.

Doch warum funktioniert im Regen auch eine andere Linie? Weil die Ideallinie im Trockenen deutlich stärker befahren wird, wird der Asphalt hier leicht abgeschliffen. Bei trockenen Bedingungen ist das gut, weil die Kontaktfläche zwischen Reifen und Asphalt größer ist. Im Regen allerdings wird die Linie deshalb etwas rutschiger. Außen, auf den weniger befahrenen Stellen, ist der Asphalt etwas rauer. Die sogenannte Mikrorauheit der Asphaltoberfläche - man spricht hier von Unebenheiten in der Größenordnung von deutlich weniger als einem Millimeter - ist maßgeblich für die Nassreibung. Auch der gelegte Gummi-Film kann die Reibung vermindern.

Natürlich spiel auch die Linie an sich eine Rolle. Auch in Kurve 10 fuhr Verstappen weiter außen als die Konkurrenz, zeigte auch hier spektakuläre Überholmanöver - vor allem gegen Sergio Perez. Durch das Nutzen der Außenlinie vergrößert sich der Kurvenradius. Der Geschwindigkeitsverlauf in der Kurve ist gleichmäßiger, das Geschwindigkeitsminimum liegt höher als beim spitzen Anfahren der Kurve. Dadurch ergeben sich Vorteile bei der Traktion aus der Spitzkehre heraus.

"Max hat schon hinter dem Safety-Car verschiedene Linien ausprobiert, welche Linie am meisten Grip bietet und wo er das Risiko am besten einschätzen kann", lobt Danner. In der letzten Safety-Car-Phase hätte er dabei fast Rosberg überholt. "Max, du darfst den Merc' nicht überholen", funkte sein Renningenieur. "Wir haben gesehen, dass er sehr aggressiv gebremst hat, aber stell sicher, dass du dahinter bleibst."

Red Bull muss in Pause nicht umbauen

Gleichzeitig hatte Verstappen natürlich auch Vorteile. Der Red Bull war von Anfang an auf Regen getrimmt. Ruft die Rennleitung 'changes in climatic conditions' aus, darf an den Autos trotz eigentlicher Parc-ferme-Bedingungen noch gearbeitet werden. Allerdings dürfen nur Bremsbelüftungen und Kühlzufuhr geändert werden, damit Bremsen und Antriebsstrang im richtigen Temperaturfenster arbeiten.

Hat die Formel 1 mit Max Verstappen einen neuen Regengott?, Foto: Sutton
Hat die Formel 1 mit Max Verstappen einen neuen Regengott?, Foto: Sutton

Die Bodenfreiheit wird durch den größeren Durchmesser der Intermediate- und Regenreifen ohnehin angehoben, so dass die Autos nicht mit der Bodenplatte auf dem Wasser aufsetzen. Das Fahrwerk darf demnach nicht nachjustiert werden.

Offenbar setzte Red Bull hier ohnehin schon vor der Qualifikation auf Regen: Während Ferrari und Mercedes in der Rennunterbrechung - hier gelten die Parc-ferme-Regeln nicht mehr - Stabilisatoren tauschten, um die Fahrzeuge weicher abzustimmen, herrschte bei Red Bull keine Hektik.

"Das Auto hat sehr gut funktioniert und das hat natürlich auch geholfen", gesteht Verstappen. Der Red Bull ist traditionell im Regen stark. Durch die höhere Bodenfreiheit verändert sich die Aerodynamik unter dem Auto. Der Red Bull scheint das besser zu verkraften, als andere Autos. Generell hilft Abtrieb im Regen mehr als im Trockenen, Luftwiderstand und resultierende Höchstgeschwindigkeit sind nicht so wichtig. Die Stärken des Red Bull kommen stärker zu tragen, die Schwächen weniger. "Klar ist der Red Bull im Regen stärker als andere Autos, aber ich hätte die Regenlinie auch von anderen Fahrern erwartet", meint Danner.