Beim Wort "Doping" denkt man zuerst an Leichtathletik, Radfahren oder Gewichtheben. In diesen Sportarten leistet der menschliche Körper die Hauptarbeit. Aber die Formel 1? Schließlich bewegen sich die Boliden dort mit kraftstoffgetriebenen Motoren voran. Derjenige, der die beste - von Ingenieuren gebaute - Technik hat, ist im Vorteil, nicht derjenige mit dem stärksten Body. "Ich denke, Doping würde uns in der Formel 1 nur wenig helfen", sagte Toro-Rosso-Pilot Daniil Kvyat im April dieses Jahres der Nachrichtenagentur TASS. "Um ehrlich zu sein kenne ich im Moment nichts, was einem Rennfahrer helfen würde", beteuerte auch Jenson Button kürzlich gegenüber der Boulevardzeitung Sun.

Doch es gibt einige renommierte Experten, die glauben, dass man sich auch im Motorsport mit Hilfe verbotener Substanzen durchaus einen Vorteil verschaffen kann und dass dies entsprechend auch praktiziert wird. "Selbstverständlich dürfte auch in der Formel 1 Doping ein Thema sein. Ich bin überzeugt, dass es in diesem millionenschweren Business - wie überall im Sport - Leute gibt, die Etliches probieren, was einen Vorteil bringt. Warum sollte auch gerade die Formel 1 eine Oase der sportlichen Fairness sein?", fragt Hajo Seppelt im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Der Doping-Experte der ARD hat unter anderem mit seinen Recherchen dazu beigetragen, dass russische Leichtathleten nicht an den Olympischen Spielen in Rio teilnehmen durften.

Auch auf wissenschaftlicher Seite hält man die Einnahme illegaler Mittel offenbar zumindest für realistisch. Professor Wilhelm Schänzer, Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln, sagt zwar: "Bislang ist das Thema 'Doping im Motorsport' wenig auffällig geworden." Doch er fügt gegenüber Motorsport-Magazin.com an: "Es wird immer behauptet, Doping gebe es in einer bestimmten Sportart nicht, bis man dann eines Besseren belehrt wird."

Bislang fehlte dem Thema 'Doping in der F1' die Aufmerksamkeit

Vielleicht fehlt es der Königsklasse noch an Sensibilität für das Thema. Wäre der Beweis für eine verbreitete Einnahme verbotener Substanzen durch Rennfahrer vielleicht längst erbracht, wenn sich die Öffentlichkeit mehr mit der Problematik befassen würde? Seppelt fordert genau das: "Wie in fast jedem Bereich des Sports wird auch in der Formel 1 das Thema Doping zu wenig beleuchtet. Die Journalisten in der Königsklasse haben sich bislang eher wenig bis gar nicht damit beschäftigt." Nun denn, dem soll zumindest entgegengewirkt werden!

Hajo Seppelt ist für seine journalistische Arbeit zum Thema Doping vielfach ausgezeichnet worden, Foto: Hajo Seppelt
Hajo Seppelt ist für seine journalistische Arbeit zum Thema Doping vielfach ausgezeichnet worden, Foto: Hajo Seppelt

Inwiefern also könnten einem Formel-1-Fahrer verbotene Substanzen einen Vorteil verschaffen? Welche Mittel würden ihm helfen? Prof. Schänzer: "Für den Motorsport interessant sind sicher Substanzen, die dafür sorgen, dass man risikobereiter ist. Cannabis ist deshalb zum Beispiel seit einigen Jahren in allen Sportarten verboten." Professor Mario Thevis vom Zentrum für präventive Dopingforschung in Köln verweist ebenfalls auf die Vorschriften der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). "Betablocker wirken dem Adrenalin entgegen. So kann man zum Beispiel Händezittern reduzieren. Sie stehen auf der aktuellen WADA-Liste verbotener Mittel und sind nur in einigen Sportarten verboten, darunter alle Wettbewerbe der FIA", so Thevis zu Motorsport-Magazin.com.

Schänzer stimmt zu: "Beruhigungsmittel könnten Motorsportlern prinzipiell Vorteile verschaffen, allerdings dürften sie dann natürlich die Reaktionszeit nicht verlangsamen." Er hat aber noch andere Substanzen im Blick, zum Beispiel Stimulanzien wie das in der Techno-Szene immer wieder auftauchende Amphetamin oder Methamphetamin, das mit der Droge Crystal Meth identisch ist. "Stimulanzien einzunehmen ist immer dann sinnvoll, wenn man sich stark körperlich belastet, die Leistung aber lange aufrecht erhalten will", erklärt Schänzer. Bislang habe er jedoch keine Hinweise darauf, dass sie im Motorsport eine Rolle spielen.

Prof. Wilhelm Schänzer ist einer der renommiertesten deutschen Dopingforscher, Foto: Deutsche Sporthochschule Köln
Prof. Wilhelm Schänzer ist einer der renommiertesten deutschen Dopingforscher, Foto: Deutsche Sporthochschule Köln

Für Formel-1-, WEC- oder Rallye-Piloten wäre das insbesondere dann interessant, wenn es bei einem Rennen darum geht, bis zuletzt hellwach und fit zu bleiben. Schließlich kann bei Spitzen-Geschwindigkeiten oder technisch anspruchsvollen Strecken nach zwei oder mehr Stunden höchster Konzentration schon der kleinste Fahrfehler einen Ausfall oder einen Positionsverlust bedeuten.

Dies gilt speziell dann, wenn auch die äußeren Bedingungen einer Rennstrecke eine besondere physische Belastung darstellen - zusätzlich zum ohnehin bereits schweißtreibenden Racing. Im Zusammenhang mit dem Singapur und dem Malaysia GP weisen die Fahrer der Königsklasse zum Beispiel stets auf die besonders hohe körperliche Anstrengung durch die große Hitze und Luftfeuchtigkeit hin. "Ich würde diese beiden Events aus physischer Sicht als die härtesten Rennen der Saison einordnen. Deine Fitness muss wirklich spitzenmäßig sein, wenn Du hier gut sein willst", sagte Nico Hülkenberg 2016 zwischen den entsprechenden Rennwochenenden. Fast alle Piloten der Königsklasse haben daher persönliche Physiotherapeuten, mit denen sie regelmäßig trainieren. Dennoch stoßen sie mitunter an ihre Grenzen.

Haas-Pilot Esteban Gutierrez beschrieb im gleichen Kontext, wie die Erschöpfung den Geist - und damit Reaktions- und Einschätzungsvermögen - der Fahrer beeinträchtigt: "Das Körperliche und das Mentale spielen hier zusammen. Der Kopf ist das Wichtigste, aber irgendwann spielt der Körper dem Gehirn Streiche", schilderte er kürzlich vor dem Rennen in Sepang. Auch wenn natürlich für alle Motorsportler, innerhalb und außerhalb der Formel 1, die Unschuldsvermutung gilt: Ganz so unrealistisch ist es nicht, dass jemand in dieser Situation zu illegalen Mitteln greift, die ihm einen Vorteil verschaffen.

Unter anderem beim Singapur GP der Formel 1 sind die Piloten stets einer besonders hohen körperlichen Belastung ausgesetzt, Foto: Sutton
Unter anderem beim Singapur GP der Formel 1 sind die Piloten stets einer besonders hohen körperlichen Belastung ausgesetzt, Foto: Sutton

"Hohe Erfolgserwartungen von Medien, Zuschauern, Geldgebern und Trainern erhöhen den Druck auf die Leistungssportler - das kann ein Auslöser für Doping sein", meint Lars Mortsiefer, Vorstandsmitglied der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschlands (NADA). Manche Formel-1-Piloten können nicht einmal zu 100 Prozent davon ausgehen, ihr Cockpit für eine komplette Saison zu behalten. Ganz sicher wird jedoch am Jahresende - vor allem bei auslaufenden Verträgen - die Frage gestellt, ob die Leistung gereicht hat, um eine weitere Beschäftigung als Stammfahrer zu rechtfertigen.

Abgesehen von Ruhm und Anerkennung geht es dabei um Millionengehälter sowie lukrative Werbeverträge. Jedes gute Ergebnis, jeder Sieg, jede Podiumsplatzierung, jeder WM-Punkt und jeder Erfolg über den Teamkollegen helfen. Oft entscheiden Kleinigkeiten, kleine begangene - oder eben nicht begangene - Fahrfehler, die mit Hilfe von Doping-Mitteln möglicherweise vermieden werden könnten. Auch der Rennstall dürfte ein Interesse daran haben, seinen sündhaft teuer entwickelten Boliden an einem Stück wiederzubekommen und mehr Preis- oder Sponsorengeld einzustreichen. Insofern ist denkbar, dass ein Teamchef oder -Besitzer die Einnahme empfehlen, anordnen oder gar erzwingen könnte.

Im Motorsport zielt das Verbot bestimmter Substanzen, anders als etwa in der Leichtathletik, aber nicht nur auf jene, die ihre Leistung fördern wollen. Vielmehr sollen auch Piloten aus dem Verkehr gezogen werden, die durch Alkohol, Drogen oder Medikamente ein Sicherheitsrisiko für sich und andere auf der Rennstrecke darstellen.

Die bisherigen Dopingfälle im Motorsport

Schaut man sich bislang bekannt gewordene Dopingfälle von Fahrern auf vier Rädern an, dann erhält man den Eindruck, dass die ertappten Piloten wohl mehrheitlich zu letzterer Gruppe zählen: Genuss und/oder Frust schienen eher der Auslöser für die Einnahme verbotener Mittel gewesen zu sein als die Hoffnung auf bessere Leistungen, auch wenn sich die Performance wohlmöglich durch die entsprechenden Substanzen verbesserte.

Ex-F1-Pilot Franck Montagny wurde bei einem Formel-E-Rennen des Kokain-Konsums überführt. Der Tscheche Tomas Enge, der 2001 bei drei Rennen der Königsklasse angetreten war, erhielt im Jahr darauf eine 18-monatige Sperre, weil man in seiner Dopingprobe Cannabis gefunden hatte. Bei NASCAR-Pilot A. J. Allmendinger waren es Amphetamine. Kaum jemand unterstellte diesen Männern, sie hätten sich einen Vorteil auf der Strecke verschafft. Allein Tarso Marques, früher für Minardi in der Formel 1 aktiv, wurde 2009 in der brasilianischen Stock-Car-Serie die Einnahme eines klassischen Doping-Mittels nachgewiesen. Es handelte sich um Steroide, die gewöhnlich zum Muskelaufbau genutzt werden.

Button kritisiert: Zu wenige Doping-Kontrollen

Wie sieht es nun mit Doping-Kontrollen in der Formel 1 aus? Nimmt man das Thema beim zuständigen Weltverband FIA wirklich ernst? Werden die Piloten flächendeckend getestet? Lewis Hamilton hatte sich vor einigen Wochen zur Häufigkeit der Kontrollen geäußert: "Manchmal drei- oder viermal im Jahr, in anderen Jahren wiederum gar nicht. Es ist recht zufällig, seit Anfang des Jahres wurde ich nicht mehr getestet. Ich glaube, es war in Bahrain." Jenson Button kritisierte jüngst, es gebe zu wenige Doping-Proben. "Ich wurde in diesem Jahr nicht getestet, und ich weiß nicht, ob es bei einem meiner Kollegen in letzter Zeit der Fall war", sagte er. "Seit drei oder vier Jahren" habe er keine Zufallskontrolle mehr absolvieren müssen. "Es gab mal Urinproben nach den Rennen, aber das wird jetzt auch nicht mehr gemacht", so Button.

Matteo Bonciani, Kommunikations-Chef der FIA, teilt auf Anfrage von Motorsport-Magazin.com mit, dass "mehrere Male im Jahr" Fahrer der Königsklasse bei Wettkämpfen und auch außerhalb davon in Sachen Doping kontrolliert werden. Er glaubt allerdings im Gegensatz zu den oben zitierten Experten, dass "Doping glücklicherweise keinen direkten Performance-Vorteil in unserem Sport" verschafft. Dennoch müsse das Testen forciert werden, damit keine Produkte entwickelt würden, die mehr direkten Einfluss auf die Leistung haben.

Sie ist auf jeden Fall Sauber, er glaubt, dass Doping in der F1 keinen Vorteil brächte: Monisha Kaltenborn im Gespräch mit FIA-Kommunikations-Chef Matteo Bonciani, Foto: Sutton
Sie ist auf jeden Fall Sauber, er glaubt, dass Doping in der F1 keinen Vorteil brächte: Monisha Kaltenborn im Gespräch mit FIA-Kommunikations-Chef Matteo Bonciani, Foto: Sutton

Die FIA hat sich erst 2010 dem Anti-Doping-Code der WADA angeschlossen, der die Methoden und Regeln im Kampf gegen illegale Substanzen im Sport festlegt. Alle unterzeichnenden Verbände sind demnach für die Planung und Ausführung eines Testsystems verantwortlich, das dem jeweiligen Doping-Risiko ihrer Disziplin gerecht wird.

Sämtliche Formel-1-Piloten nehmen am sogenannten "Anti-Doping Administration and Management System" (ADAMS) der WADA teil. Das bedeutet, sie müssen dort jeden Tag im Jahr ihren aktuellen Aufenthaltsort inklusive Zimmernummer im Hotel mitteilen, um theoretisch für Kontrollen erreichbar zu sein. "Das ist ziemlich aufdringlich", findet Hamilton. Hinzu kommt, dass jeder Fahrer vor der Einnahme von Medikamenten oder unbekannten Nahrungsmitteln stets einen Mediziner konsultieren muss. Andernfalls könnte versehentlich eine auf der WADA-Liste verbotener Mittel stehende Substanz in den Körper gelangen.

Button meint, dass die Zahl der Dopingproben gemessen an diesem Aufwand zu gering ist. Wenn die Piloten schon dauernd sagen müssten, wo sie sind, "dann sollte man uns auch testen. Sonst ist es Geld- und Zeitverschwendung", schimpfte er. Die WADA ließ gegenüber Motorsport-Magazin.com wissen, dass man keinerlei Bedenken bezüglich des Anti-Doping-Programms der FIA habe.

Kritisiert, dass es zu wenige Doping-Kontrollen in der Formel 1 gibt: McLaren-Pilot Jenson Button, Foto: Sutton
Kritisiert, dass es zu wenige Doping-Kontrollen in der Formel 1 gibt: McLaren-Pilot Jenson Button, Foto: Sutton

"2014 wurden laut WADA Statistiken 110 Dopingproben in Wettkampf und Training durch die FIA ausgeführt. Vier davon waren positiv", berichtet Dopingforscher Mario Thevis. Dies bezieht sich wohlgemerkt auf alle FIA-Rennserien, nicht nur auf die Formel 1. Insofern sind 110 Tests in einer Motorsport-Saison nicht sehr viel. Zum Vergleich: In den Weltverbänden UCI (Radsport) und IAAF (Leichtathletik) wurden im gleichen Zeitraum 9483 respektive 3841 Kontrollen durchgeführt. Allerdings hatten diese in den letzten Jahren auch deutlich mehr unter Dopingfällen in ihren Reihen zu leiden als die FIA. Zudem ist die Zahl der Aktiven im Motorsport geringer als bei Radfahrern oder Leichtathleten.

Doping-Experte Seppelt kritisiert gegenüber Motorsport-Magazin.com die direkte Einbindung des Automobil-Weltverbands in die Tests. "Doping-Kontrollen in der Formel 1 sollten definitiv durch unabhängige Instanzen erfolgen, nicht durch oder mit Beteiligung der FIA. Denn ein Dopingskandal würde sich schließlich negativ auf die Rennserie auswirken und das will der beteiligte Verband sicher nicht", meint der Journalist. Über einen langen Zeitraum habe es gar keine Kontrollen gegeben. Dies sei ein Einfallstor für alle potenziellen Dopingbetrüger gewesen, so Seppelt.

Die Nationale Anti Doping Agentur führt laut eigenen Angaben bei internationalen Rennveranstaltungen, die in Deutschland stattfinden, für die FIA Dopingkontrollen durch. Heißt: Sie könnte also auch Formel-1-Fahrer testen, wenn diese am Hockenheimring unterwegs sind. "Durchschnittlich werden während Wettkämpfen in den Motosportrennserien circa vier bis sechs Kontrollen durchgeführt. Die Auswahl der zu kontrollierenden Athleten kann sowohl nach Platzierung, nach Namen - Zielkontrolle - als auch per Los erfolgen", so NADA-Vorstandsmitglied Mortsiefer zu Motorsport-Magazin.com.

Die Wissenschaft wünscht sich Insider-Tipps

Mit welcher Entwicklung ist bei der Frage, ob in der Formel 1 gedopt wird, zu rechnen? Werden wir zukünftig mehr davon hören? Stehen wir erst am Beginn einer Entwicklung - entweder des Missbrauchs von Substanzen oder der Enthüllung ebensolcher? Doping-Experte Seppelt fordert, dass sich unter anderem die Wissenschaft verstärkt mit dem Thema befasst. "Dazu wird leider bisher zu wenig nachgeforscht, weil kaum jemand wirkliches Interesse daran hat", meint er.

Doch Professor Schänzer weist darauf hin, dass es dazu auch eines neuen Problembewusstseins innerhalb der Formel 1 bedürfe. Denn die Forscher seien auf Hilfe von Insidern angewiesen, um tätig zu werden: "Dazu bräuchten wir Hinweise über entsprechende Praktiken aus der Szene selbst. Ohne Vorabinformationen ist das nicht realistisch." Vielleicht erhält das Thema in der kommenden Saison neuen Schwung. Jenson Button erinnert daran, dass die körperliche Belastung für die Fahrer 2017 durch die neuen Aerodynamik-Regeln steigt. Dann hätten Doping-Mittel einen noch größeren Effekt. "Nächstes Jahr sollten sie daraufhin testen, welche Fahrer sich ein bisschen mehr Muskeln zulegen wollen", sagt der McLaren-Pilot.