Nico Rosberg hat es nicht geschafft, die Formel-1-Weltmeisterschaft 2016 beim Grand Prix von Brasilien vorzeitig zu gewinnen. Damit ist klar: Uns erwartet beim letzten der 21. Saisonrennen ein Showdown der Superlative. Wie schon 2014 heißen die Titelanwärter beim Finale in Abu Dhabi Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Damals konnte Hamilton seinen ersten WM-Titel für Mercedes einfahren, nachdem er mit einem 17-Punkte-Vorsprung angereist war. Dieses Jahr sind die Vorzeichen jedoch andere.

Die Ausgangslage vor Abu Dhabi

Rosberg kommt als WM-Leader an den Yas Marina Circuit. Zwölf Punkte beträgt sein Vorsprung auf den Titelverteidiger. In der Theorie ist die Aufgabenstellung für ihn damit relativ einfach: Ihm reicht schon ein dritter Platz zum Weltmeistertitel - selbst, wenn Hamilton gewinnt. Der Brite konnte mit seinen Siegen in den vergangenen drei Rennen zwar 21 Punkte aufholen, doch in Abu Dhabi wird er auch mit einem weiteren Triumph nichts mehr am WM-Stand ändern können- jedenfalls nicht, solange es sich Rosberg auf einem der beiden Podestplätze hinter ihm gemütlich macht. Selbstverständlich ist dies aber nicht das einzige Modell für eine WM-Entscheidung.

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist angesichts des bisherigen Saisonverlaufs zwar groß, doch rein rechnerisch gibt es für beide WM-Rivalen eine gute Handvoll unterschiedlicher Szenarien. Allerdings wird wohl ein Zutun der Konkurrenz oder des Defekt-Teufels notwendig sein, um eines davon herbeizuführen. Der Faktor Wetter darf in Abu Dhabi getrost außer Acht gelassen werden, denn einen verregneten Chaos-Grand-Prix á la Interlagos wird es kaum geben. Das Safety Car rückt allerdings auch ohne Nass von oben hin und wieder mal aus, und in Abu Dhabi sind auch die Mauern an der einen oder anderen Stelle nicht so weit von der Ideallinie entfernt.

Die Szenarien für die WM-Entscheidung

Nico Rosberg wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... mindestens Dritter wird.
  • ... Vierter, Fünfter oder Sechster und Hamilton maximal Zweiter wird.
  • ... Siebter oder Achter und Hamilton maximal Dritter wird.
  • ... als Neunter oder schlechter abschneidet und Hamilton maximal Vierter wird.
  • ... und Hamilton beide ausfallen oder außerhalb der Punkteränge ins Ziel kommen.

Lewis Hamilton wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... gewinnt und Rosberg maximal Vierter wird.
  • ... Zweiter und Rosberg maximal Siebter wird.
  • ... Dritter und Rosberg maximal Neunter wird.

Yas Marina Circuit: Wer hat die bessere Statistik?

Wie immer stellt sich angesichts des kommenden Rennwochenendes folgende Frage: Ist Abu Dhabi eine Hamilton-Strecke, oder ist der 2009 in den Formel-1-Kalender aufgenommene Kurs Rosberg-Land? Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Hamilton in den sieben bisher auf dem Yas Marina Circuit ausgetragenen Grands Prix etwas erfolgreicher war. Jedoch konnte er in den ersten Jahren mit dem McLaren noch auf das etwas konkurrenzfähigere Auto zurückgreifen.

Ein Vergleich ab 2013, sprich des Zeitpunkts, seitdem Hamilton und Rosberg als Teamkollegen für Mercedes starten, zeichnet ein relevanteres Bild. In den vergangenen drei Jahren konnten beide jeweils einen Sieg erringen. Hamilton bei der WM-Entscheidung 2014, Rosberg in der vergangenen Saison. Bei den Pole Positions wiederum hat Rosberg mit 2:0 die Nase vorne. Sowohl 2014 als auch 2015 ging er vom ersten Startplatz aus ins Rennen. Dabei hatte er beide Male knapp vier Zehntel Vorsprung auf Hamilton, was durchaus als Hausnummer bezeichnet werden kann.

Dafür liegt Hamilton mit einer schnellsten Rennrunden vor Rosberg, der in dieser Statistik noch nicht erfolgreich war. Ausfälle hatte bisher noch keiner der Beiden in der gemeinsamen Mercedes-Zeit zu verzeichnen. Bei Rosberg streikte 2014 allerdings das Hybrid-System, weshalb er die Jagd nach Hamilton und dem WM-Titel aufgeben musste, und nur 14. wurde. Unter dem Strich scheint sich Rosberg in Abu Dhabi, vor allem wegen des großen Vorsprungs im Zeittraining, etwas wohler zu fühlen. Dass er darauf im Duell gegen Hamilton jedoch nicht unbedingt bauen kann, haben die Rennen in Brasilien und Mexiko bewiesen.

Lewis HamiltonNico Rosberg
Starts 7 7
Siege2 1
Podestplätze4 2
Top-5-Resultate4 3
Top-10-Resultate5 6
Punkte92 60
Schnellste Runden2 0
Führungsrunden 138 44
Ausfälle2 1
Pole Positions 2 2
Erste Startreihe6 2

*doppelte Punkte aus 2014 wurden nur einfach gewertet

Qualifying-Statistik 2016: Wer ist der Favorit auf die Abu-Dhabi-Pole?

In Sachen Pole Positions steht es momentan 11:8 für Hamilton. Dieses Statistik scheint auf den ersten Blick zwar relativ ausgeglichen zu sein, doch wer sich das Ganze genauer anschaut, wird etwas anderes feststellen. Rosberg holte fünf seiner acht Poles in der ersten Saisonhälfte - als Hamilton aufgrund von Motor-Defekten an zwei Zeittrainings gar nicht erst teilnahm. In der zweiten Saisonhälfte fuhr Rosberg bisher lediglich zwei Qualifying-Bestzeiten heraus - eine in Belgien, wo Hamilton aufgrund eines Motorwechsels nicht teilnahm, und eine in Japan.

Hamilton auf der anderen Seite fuhr sechs Mal vor, und fünf Mal nach der Sommerpause auf den ersten Startplatz. Alleine an den vergangenen drei Rennwochenenden ging der amtierende Weltmeister jeweils von der Pole ins Rennen, während Rosbergs letztes Erfolgserlebnis bereits zwei Monate zurückliegt. Der WM-Leader hat in Abu Dhabi zwar die bessere Pole-Statistik hat, doch Hamiltons Form und auch die Zahlen von 2016 sprechen nicht für ihn.

Mercedes Pole-Duell 2016

Grand PrixLewis HamiltonNico RosbergSieger / Position anderer Fahrer
Australien X Rosberg / HAM P2
Bahrain X Rosberg / HAM P3
China X Rosberg / HAM P7
Russland X Rosberg / HAM P2
Spanien X Verstappen / 2x DNF
Monaco Hamilton / ROS P7
Kanada X Hamilton / ROS P5
Europa/Baku X Rosberg / HAM P5
Österreich X Hamilton / ROS P4
Großbritannien X Hamilton / ROS P3
Ungarn X Hamilton / ROS P2
Deutschland X Hamilton / ROS P4
Belgien X Rosberg / HAM P3
Italien X Rosberg / HAM P2
SingapurX Rosberg / HAM P3
MalaysiaX Ricciardo/ HAM DNF ROS P3
Japan X Rosberg / HAM P3
USA X Hamilton / ROS P2
Mexiko X Hamilton / ROS P2
Brasilien X Hamilton / ROS P2

Sieg-Statistik 2016: Wer hat das vielzitierte Momentum?

In der Saison 2016 sprach beim Duell Rosberg vs. Hamilton vor allem Mercedes-Teamchef Toto Wolff immer wieder vom Momentum, dass zwischen den beiden Teamkollegen hin- und herschwingt. Tatsächlich hatten beide Fahrer in diesem Jahr regelrechte Siegesserien. Rosberg gewann die ersten vier Saisonrennen in Australien, Bahrain, China und Russland. Hamilton legte dafür vor der Sommerpause vier Siege am Stück hin. Die Rennen in Österreich, England, Ungarn und Deutschland gehörten dem Weltmeister.

Auch in der zweiten Saisonhälfte zeichnete sich dieses Muster ab. Rosberg triumphierte in Belgien, Italien und Singapur. Diese Sieges-Serie liegt mittlerweile jedoch zwei Monate zurück. Stattdessen konterte Hamilton und siegte zuletzt in den USA, Mexiko und Brasilien. Beide Rivalen hatten demnach jeweils zwei Sieges-Serien - je eine pro Saisonhälfte. Die Saisonstatistik weist unter dem Strich für beide Piloten jeweils neun Siege aus. An den nackten Zahlen gemessen, gibt es hier keinen klaren Favoriten. Da jedoch Hamilton zurzeit einen Lauf hat, kann ihm zweifelsohne die stärkere Form zugesprochen werden.

Motorsport-Magazin.com meint:

Zwar hat Nico Rosberg mit zwölf Punkten einen relativ beruhigenden Vorsprung auf Lewis Hamilton, dennoch steht uns in Abu Dhabi alles andere als ein lahmes WM-Finale ins Haus. Hamilton muss, wie schon in den vergangenen Wochen, um jeden Preis gewinnen. Sollte Rosberg ihm auf dem Yas Marina Circuit wieder die Stirn bieten können, erwartet uns der wohl härteste Kampf des Jahres. Doch auch wenn Hamilton wieder dominieren sollte, könnte es richtig knistern. In diesem Fall wird er darauf hoffen müssen, dass Rosberg vom Defekt-Teufel eingeholt wird. Oder darauf, dass der Rivale es mit Red Bull und Ferrari zu tun bekommt - etwas, worauf er unter gewissen Umständen sogar selbst Einfluss nehmen kann.

Gewinnen und zusehen, wie Rosberg seelenruhig als Zweiter ins Ziel gondelt, wird dem Weltmeister seinen Traum von der Titelverteidigung jedenfalls nicht erfüllen. Rosberg auf der anderen Seite wird wie immer versuchen, Hamilton auf der Strecke zu bezwingen. Erstens, um dem Konkurrenten gar nicht erst die Möglichkeit für taktische Spielchen zu geben, und zweitens, um den WM-Titel 'In Style' und mit einem Rennsieg zu feiern. Der Titel kann Rosberg zwar auch als Zweiter oder Dritter nicht genommen werden, jedoch würde die vierte Niederlage am Stück sicherlich in den Köpfen der Leute hängenbleiben - und möglicherweise auch in seinem. (Florian Becker)