Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg. Darf sich Motorsport-Deutschland ab Sonntagabend über diesen weltmeisterlichen Dreiklang freuen? Möglich, kann Rosberg mit einem Sieg beim Brasilien GP in Interlagos den Formel-1-Weltmeistertitel 2016 bereits aus eigener Kraft klarmachen und als dritter Champion deutscher Herkunft in die F1-Geschichte eingehen.

Doch braucht es für Rosbergs Karriere-Krönung nicht einmal zwingend den Sieg am Zuckerhut. Auch andere Konstellationen sorgen für einen Rosberg-Titel in São Paulo. Motorsport-Magazin.com hat durchgerechnet, wann Mercedes-Mann Rosberg in Brasilien Weltmeister wird und wann Hamilton die Entscheidung auf das Finale in Abu Dhabi vertagt.

Nico Rosberg wird in Brasilien Weltmeister wenn er ...

... gewinnt.
... Zweiter wird und Hamilton nicht auf das Podium kommt.
... Dritter und Hamilton maximal Sechster wird.
... Vierter und Hamilton maximal Achter wird.
... Fünfter und Hamilton maximal Neunter wird.
... Sechster und Hamilton maximal Zehnter wird.
... mindestens Sechster wird und Hamilton keine Punkte macht.

Lewis Hamilton vertagt in Brasilien die Entscheidung wenn er ...

... gewinnt.
... Zweiter oder Dritter wird und Rosberg nicht gewinnt.
... Vierter oder Fünfter wird und Rosberg maximal Dritter wird.
... Sechster oder Siebter wird und Rosberg das Podium verpasst.
... Achter und Rosberg maximal Fünfter wird.
... Neunter und Rosberg maximal Sechster wird.
... Zehnter und Rosberg maximal Siebter wird.
... punktlos bleibt und Rosberg maximal Siebter wird.

Insgesamt wird Rosberg in 29,7 Prozent aller möglichen Konstellationen in Brasilien Weltmeister. Analog führen mehr als 70 Prozent der Fälle zu einer WM-Vertagung auf Abu Dhabi. Rosberg-Party an der Copacabana erscheint vor diesen Werten unwahrscheinlich.

Das ändert sich auch nicht, zieht man nur realistischere Konstellationen, nämlich die mit doppelter Mercedes-Beteiligung auf dem Podium, heran: Dies erhöht die Quote für den Interlagos-Titel auf gerade einmal ein Drittel, die Vertagung fällt auf zwei Drittel.

In Brasilien konnte Lewis Hamilton in seinen beiden WM-Jahren 14/15 Nico Rosberg nie bezwingen, Foto: Sutton
In Brasilien konnte Lewis Hamilton in seinen beiden WM-Jahren 14/15 Nico Rosberg nie bezwingen, Foto: Sutton

Wie stehen Nico Rosbergs WM-Chancen in Brasilien?

Doch selbst diese sechs möglichen Rennausgänge sind in Brasilien eher nicht zu erwarten. Das wahrscheinlichste Ergebnis in Zeiten von hybrider Silberpfeil-Dominanz ist auch in Interlagos ein Mercedes-Doppelsieg. Oder besser gesagt: gerade in São Paulo. In beiden Vorjahren setzte es dort perfekte Ausbeute für die Silbernen. Kommt es erneut so, reduzieren sich die möglichen Konstellationen erneut massiv - auf genau zwei. 50:50 also. Liegt Hamilton vorne, vertagt sich die Entscheidung. Führt Rosberg den Doppelsieg an, ist er Weltmeister.

Für letztgenannte Variante spricht insbesondere die Statistik. Während Rosberg in beiden Vorjahren sowohl Pole Position als auch Sieg markierte, ist Hamilton beim Brasilien GP noch komplett ohne Karrieresieg - aber nicht ohne Erfolg. Immerhin machte der Brite im irren Herzschlag-Finale von Interlagos 2008 seinen ersten WM-Titel in der Formel 1 klar.

Doppelter Trend: Darauf setzt jetzt Lewis Hamilton

Doch nicht nur das macht Hamilton Hoffnung. Der amtierende Weltmeister meint, sich den Trend in seine Richtung entwickeln zu sehen. Und das gleich aus zwei Gründen. Nummer eins ist sein aktueller Lauf. Zuletzt gewann Hamilton zwei Grands Prix am Stück. "Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man so eine Pace zeigen kann, wie ich sie in den vergangenen beiden Rennen hatte", schwärmt er.

Nummer zwei ist seine seiner Ansicht nach trügerische Brasilien-Bilanz, insbesondere der beiden Vorjahre. "Ich weiß, dass ich nie in Brasilien gewonnen habe, aber es gibt dafür keinen besonderen Grund", sagt Hamilton, schiebt damit allen Ansagen, ihm liege der Kurs schlicht nicht, einen Riegel vor. "Mit McLaren hatte ich es in einem Jahr geschafft, aber ich wurde von Hülkenberg aus dem Rennen genommen", erinnert Hamilton an die Kollision 2012. "Und im vergangenen und vorvergangenen Jahr war Nico herausragend schnell. Aber vergangenes Jahr war ich auch herausragend nah dran, da fehlten nur sieben Hundertstel. Die habe ich beim Schalten den Hügel hoch verloren", beschreibt Hamilton das Qualifying 2015.

São Paulo und Demut: Darauf setzt jetzt Nico Rosberg

Wie wichtig die Pole in Interlagos sein kann, zeigte der super enge Sprint bis Kurve eins im Vorjahr - da hilft jeder Meter. Entsprechend hofft Hamilton im Scherz sogar auf sprichwörtlichen Beistand: "Wer weiß? Alle guten Dinge sind drei dieses Jahr vielleicht."

Genau diesen Ansatz kann sich Rosberg allerdings genauso auf die Fahne schreiben. Alle guten Dinge sind drei - drei Brasilien-Siege hintereinander. Das wäre der Titel. Und Rosberg weiß um seine Stärke in Interlagos. "Ich habe eine gute Form in São Paulo", stellt der Deutsche klar. Ohnehin fahre er volle Attacke in Brasilien - auch wenn Toto Wolff zuletzt noch sagte, Rosberg könne es jetzt etwas entspannter angehen, weil er zur Not eine zweite Chance in Abu Dhabi bekomme während Hamilton sich darauf nicht verlassen könne. "Ich werde meine Herangehensweise nicht verändern", winkt Rosberg ab. "Ich muss weiter das machen, was mir dabei hilft, meine Bestleistung zu bringen - und das bedeutet, jedes Mal auf Sieg zu fahren."

Hamilton vs. Rosberg: Wer hat jetzt mehr Druck?

Es seien zwar nur zwei Rennen, dennoch könne viel passieren. "Deshalb muss ich mich auf die Dinge konzentrieren, die ich beeinflussen kann", sagt Rosberg. Und das ist seine Pace. So sieht es inzwischen auch Toto Wolff. "Für Nico ist das Gerede vorbei, dass er nur Zweiter werden muss, um es zu schaffen. Er hat es selbst in der Hand", sagt der Mercedes-Motorsportchef.

Sollte es dabei zu einem 2016 so seltenen direkten Schlagabtausch mit Hamilton kommen, umso besser. Über einen harten Kampf würde sich Rosberg nur noch mehr freuen. Druck? Mitnichten. "Wir haben viele Rennen gesehen, in denen er sich unter Druck sehr gut geschlagen hat, besonders in der zweiten Saisonhälfte", versichert Wolff.

Doch auch Hamilton würde ein hartes Duell begrüßen, einen Schlagabtausch um den Sieg. Allerdings hat er auch keine Wahl. Anders als Rosberg es könnte, kann Hamilton nicht einfach auf P2 fahren. Hamilton muss zwangsläufig gewinnen, will er das fast Aussichtslose möglich machen. Also eher Druck für Hamilton? Nein - er denke gerade gar nicht mehr an den Titel, müsse einfach Vollgas geben.

Doch so unwahrscheinlich die Dinge auch scheinen: So lange rechnerisch nichts entscheiden ist, sei am Ende dennoch noch immer alles möglich. "Ich werde weiter angreifen. Seit dem Beginn meiner Formel 1-Karriere habe ich gesehen, dass sich das Blatt selbst im allerletzten Moment noch wenden kann. Deshalb musst du bis zum bitteren Ende kämpfen", erklärt der dreimalige Weltmeister. "Lewis weiß, was er tun muss, um seine Titelchancen am Leben zu erhalten. Er wird niemals aufgeben, deshalb gehört er zu den Besten", bestätigt Wolff.

Brasilien lieferte bereits spektakuläre WM-Entscheidungen. Die ewige Dramen-Nr.1: Massa verliert 2008 im letzten Moment gegen Hamilton, Foto: Sutton
Brasilien lieferte bereits spektakuläre WM-Entscheidungen. Die ewige Dramen-Nr.1: Massa verliert 2008 im letzten Moment gegen Hamilton, Foto: Sutton

Brasilien: Fast schon eine Garantie für Drama ohne Ende

Wie prädestiniert für derartige Dramen zum Saisonfinish ist ausgerechnet das Autodromo Jose Carlos Pace wie Hamilton gleich doppelt - und aus beiden Perspektiven - zu berichten weiß: 2007 verlor er den Titel, 2008 gewann er ihn - jeweils in Interlagos, jeweils im letzten Lauf der Saison. "Diese Strecke hat über die Jahre schon so viele dramatische Momente gesehen, darunter einige WM-Entscheidungen", bestätigt Paddy Lowe, Technikchef bei Mercedes.

Er und sein Team würden jedenfalls alles investieren, um den beiden Titel-Kontrahenten dieselben Chancen zu bieten. "Wir werden wie immer unser Bestes geben, um dieses Rennwochenende wie ein normales Rennen zu behandeln. Wir werden versuchen, das Wochenende mit der bestmöglichen Disziplin anzugehen und unser oberstes Ziel ist es, beiden Fahrern das bestmögliche Material für einen fairen Zweikampf zu geben", verspricht Lowe.