In den letzten Jahren habe ich mir im Kampf um Kiesbetten den Mund fusselig geredet und die Finger wund getippt. Fehlende Kiesbetten sind mit Abstand das größte Problem des modernen Motorsports. Der Mexiko GP am vergangenen Wochenende war ein eindrucksvolles Plädoyer für die grauen Träume aus Kieselsteinchen.

Der Mischmasch aus Gras und Asphalt konnte Lewis Hamilton und Max Verstappen nicht davon abhalten, ihre eigene Ideallinie durch Kurve eins zu finden. Ob des geringen Geschwindigkeitsverlustes fühlte sich der eine oder andere bei der diagonalen Abkürzung an einen Beschleunigungsstreifen aus Mario Kart erinnert. Verstappen und Hamilton kamen mit höherem Speed zurück auf die eigentliche Strecke, als die Piloten, die den regulären Weg wählten.

Max Verstappen wurde für seine Abkürzung bestraft, Lewis Hamilton nicht. Darüber gab es nach dem Rennen zahlreiche Diskussionen. Diskussionen über Rennszenen sind gut, aber doch bitte nicht darüber, ob man beim Verlassen der Strecke Zeit gewinnt. Wer die Streckenbegrenzung nicht einhält, muss bestraft werden.

Manchmal sind Asphaltflächen auch hübsch anzusehen, Foto: Sutton
Manchmal sind Asphaltflächen auch hübsch anzusehen, Foto: Sutton

Wäre ein ordentliches Kiesbett hinter T1 gewesen, hätte Lewis Hamilton möglicherweise den ein oder anderen Platz verloren, sich sein Auto beschädigt oder wäre sogar im Kies stecken geblieben. Plötzlich stellt sich die Frage über 'Vorteil oder nicht' gar nicht mehr.

Warum gibt es überhaupt asphaltierte Auslaufzonen? Die Antwortet lautet meist: Der Sicherheit wegen. In Kiesbetten können sich Autos mit hoher Geschwindigkeit eingraben und sich dann überschlagen. Außerdem bremsen die Autos im Kiesbett nicht so gut wie auf Asphalt, sie schlittern dahin.

Doch sind die Kiesbetten dadurch lebensgefährlich? Überschläge sehen spektakulär aus, sind aber meist nicht besonders dramatisch, solange das Auto nicht mit dem Cockpit auf einem Gegenstand landet. Man kann auch entgegenhalten, dass Kiesbetten im Falle eines Bremsversagens sogar mehr Sicherheit bieten, weil sie durch die Reibung auch bremsen, wenn die Räder nicht verzögert werden.

Kiesbetten sind das Salz in der Suppe, Foto: Sutton
Kiesbetten sind das Salz in der Suppe, Foto: Sutton

Durch die immer exzessivere Nutzung der Auslaufzonen tun sich außerdem weitere Probleme auf: Die Kerbs werden von allen Seiten befahren, die Seitenwände der Reifen werden über das normale Maß hinaus belastet. Reifenschäden drohen! Jolyon Palmer hat sich beim Überfahren der Kerbs sogar das Chassis gebrochen. Soll man deshalb noch die Kerbs niedriger gestalten? Ja bitte, damit bei der Linienwahl komplette Anarchie herrscht...

Es mag sein, dass Kiesbetten in der Summe der Risikoabwägung noch immer etwas gefährlicher sind als Asphalt. Aber dieses Risiko sind die meisten Rennfahrer bereit einzugehen. Das sollten sie auch. Solange sich Autos mit mehr als 300 Stundenkilometer bewegen, gibt es immer ein gewisses Restrisiko. Und wer das ausschließen will, der soll zum Sim-Racing gehen. Wenn es 0,0 Prozent Risiko gibt, was unterscheidet den echten Motorsport dann noch vom Spiel?

Lewis verlor einen Weltmeistertitel im Kiesbett, Foto: Sutton
Lewis verlor einen Weltmeistertitel im Kiesbett, Foto: Sutton

Ich plädiere nicht für Kiesbetten, weil ich spektakuläre Unfälle sehen will. Aber ich will sehen, wie die besten Piloten der Welt auf Strecken fahren, die keine Fehler verzeihen. Was passiert heute bei einem Fahrfehler? Meist kostet es wenige Sekunden - das war es. Das ist aber noch längst nicht genug, damit ein Manor einen Williams überholen kann. Bleibt der Williams aber stecken, ist der Manor vorbei.

Ein guter Fahrer in einem schlechten Auto könnte wieder einen größeren Unterschied machen. Entweder, weil der weniger gute stecken bleibt, oder weil der weniger gute generell weiter unter dem Limit fahren muss.

Oder denken wir an Regenrennen: Heute nutzen die Fahrer fast beliebig oft die Auslaufzonen, um sich an das Limit heranzutasten. Mit Kiesbetten konnte man das genau einmal machen - und dann ist man im Kiesbett gesteckt. Dann musste David Coulthard seine Schuhe ausziehen und auf Socken zurück in die Box oder Mika Häkkinen in Monza sein Ausscheiden weinend neben einem Busch verdauen. Solche Dramen braucht die Formel 1.

Das Kuriose an der Sache ist: Fast alle Fahrer sind für Kiesbetten. Es muss ein Umdenken bei der FIA geben. Solange die FIA diese Sicherheitsmerkmale fordert, werden die Strecken so gebaut und alte Strecken kastriert. Für die Betreiber hat das noch einen Vorteil: Bei Trackdays passiert weniger. Die Formel 1 ist aber kein Trackday.