Arrogant, frech, respekt- und rücksichtslos. Attribute, die sich ein Max Verstappen alle paar Wochen in Interviews anhören und auf diversen Websites und in Zeitungen durchlesen muss. So er sie denn überhaupt konsultiert. Hintergrund: kompromisslose Fahrweise auf der Strecke, ungezügelte Zunge daneben.

Aktuelles Beispiel: Mexiko GP. "Verstappens Talent ist so groß wie seine Arroganz", schreibt Italiens Tuttosport am Montag nach dem Rennen. La Stampa bringt die folgenden Zeilen zu Papier: "Verstappen hat nur einen Grundsatz: "Immer schneller zu sein, auch wenn die Regeln, die Teamrichtlinien und die Vernunft ihm davon abraten."

Damit zielt das Blatt erstens auf Verstappens Missachtung der Red-Bull-Ansage, es im Duell mit WM-Aspirant Nico Rosberg sauber zu halten - schon in Kurve eins kollidierten die Piloten, ehe Verstappen in Kurve vier des 49. Umlaufs eine weitere heikle Attacke auf den Mercedes-Fahrer lancierte. Zweitens auf seine Weigerung, nach Abkürzen der Strecke Sebastian Vettels Ferrari passieren zu lassen - was Verstappen nach Rennende eine Zeitstrafe von fünf Sekunden einbrockte, die ihn das Podium kostete. Drittens auf den folgenden Verbal-Clinch im Interview-Fernduell mit Vettel.

Villeneuve zu Verstappen: Aggressiv wunderbar, aber bitte mit Hirn

Für den Moment hat Verstappen aufgrund seiner schon immer umstrittenen Herangehensweise also eingesteckt. Ein Novum, kam der Niederländer bislang ungesühnt davon. "Endlich! Ich meine, ernsthaft", jubelt deshalb Verstappens Chefkritiker Jacques Villeneuve im Interview mit Motorsport-Magazin.com über die Bestrafung. "Aggressives Racing ist wunderbar, aber nur in Kombination mit etwas Hirn, mit Kontrolle, mit Respekt", sagt der Kanadier. Etwa wie es Daniel Ricciardo praktiziere. "Aber für Verstappen ist es nur ein Videospiel, er geht einfach in die Mitte wie eine Bowlingkugel und schaut ob es sich ausgeht."

Das sei selbst dann noch der Fall wenn es gegen einen Piloten im WM-Kampf gehe, poltert Villeneuve weiter. Noch dazu beachte er nicht einmal die Vorgaben seines Teams: "Da läuft etwas gewaltig schief. Und das beginnt langsam aber sicher viele Leute zu stören. Sein Team, die anderen Teams, die Piloten, das ist wirklich nicht förderlich für sein Image."

Auch in Belgien setzte Verstappen kontrovers diskutierte Manöver, Foto: Sutton
Auch in Belgien setzte Verstappen kontrovers diskutierte Manöver, Foto: Sutton

Verstappen: Frech wie ein Teenie, Talent eines Meisters

Liegt Villeneuve richtig? Zumindest auf Verstappens Team treffen die Äußerungen des Kanadiers wenig zu. Red Bull, allen voran Motorsportberater Helmut Marko, stellen sich seit Anbeginn demonstrativ vor Verstappen. Auch in Mexiko absoluter Rückhalt der Teamführung für den Red-Bull-Youngster. "Mein Gott, das muss man probieren. Wir sind wir froh, dass man sowas versucht. Um ein Haar hätte es ja geklappt. Super Racing", lobt Marko Verstappens Racing gegen Rosberg im Interview mit Motorsport-Magazin.com sogar. "Er hat eine Lücke gesehen und dann versucht er es. Das macht ihn zu so einem aufregenden Fahrer", bestätigt Red Bulls Teamchef Christian Horner.

Zumindest solange es nicht um die WM geht, lässt Red Bull dem potentiellen Serienmeister der Zukunft also nahezu alles durchgehen. Bei den anderen ist es ein zweischneidiges Schwert. Nicht alle kritisieren Verstappen und geraten fast schon regelmäßig mit ihm aneinander wie etwa Ferrari. "Es ist sehr erfrischend, wie er fährt. Sein Stil ist rücksichtslos, ich mag das", sagt etwa Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Und das trotz des beinahe dramatischen Endes für Rosberg in Mexiko - oder für Hamilton in Japan. Eine Strafe für die Rosberg-Aktion hätte Verstappen in Mexiko nach Ansicht Wolffs allerdings schon bekommen müssen.

Doch selbst die eingangs zitierte italienische Presse drischt nicht nur ein auf den gefühlten Neo-Intimfeind Ferraris. "Verstappen verbindet die Frechheit eines Teenagers mit dem Talent eines Meisters", gesteht die Corriere della Sera. "Er sorgt für hohe Wellen in einer Formel 1 der Langeweile. Doch einige Grundregeln sollte auch er respektieren", heißt es weiter. Genau hier wird es spannend.

Ayrton Senna und Alain Prost wurden auch nicht im Schwiegermutter-Style zu mehrfachen Weltmeistern, Foto: Sutton
Ayrton Senna und Alain Prost wurden auch nicht im Schwiegermutter-Style zu mehrfachen Weltmeistern, Foto: Sutton

Helden der F1-Geschichte nicht Typ Schwiegersohn

Wie viel Respekt braucht es, um in der Formel 1 erfolgreich zu sein? Macht eine gewisse Dosis Rücksichtslosigkeit gepaart mit einer Spur Arroganz, dem 'Arschloch-Gen' und einem Hauch von Frech- und Dreistigkeit nicht erst das Geheimrezept eines (künftigen) Weltmeisters? Die Geschichte der Königsklasse deutet darauf hin. So gelten die größten der Historie nicht gerade als Schwiegermutters Lieblinge.

Ein Niki Lauda wäre im Leben nicht dreimaliger Champion geworden, wäre da nicht seine knallharte, direkte Art gewesen. Seine Rücksichtslosigkeit, ja schon Majestätsbeleidung, die damals schwachen Ferrari-Boliden vor Enzo Ferrari höchstpersönlich harsch niederzumachen. Nur so gelang der Weckruf, etwas Grundlegendes bewegen zu müssen.

Genauso ein Ayrton Senna und ein Alain Prost. Erst durch ihr erbittertes Duell, mehrfach unzählige Grenzen von Anstand und Regeln überschreitend, wurden sie nicht nur zu Legenden des Sports, sondern zu mehrfachen Weltmeistern, Legenden, Vorbildern.

Schumacher. Villeneuve. Jerez. Rest bekannt., Foto: Sutton
Schumacher. Villeneuve. Jerez. Rest bekannt., Foto: Sutton

Oder Michael Schumacher, die fahrende Kontroverse auf vier Reifen. Ignorierte schwarze Flaggen, Rascasse-Eklat, Villeneuve-Rammstoß und Hill-Kollision. Allein diese vier Themen überragen in Sachen Brisanz, Rücksichtslosigkeit oder Kompromisslosigkeit alles, was Verstappen bislang gebracht hat, um Längen. Und hat es geschadet? Vielleicht. Vielleicht wäre Schumacher ohne diese Manöver mit einer zweistelligen Titelsammlung in die Rennrente gegangen. Zum Rekordmeister und Nummer-eins-Status in allen wichtigen Ranglisten hat es trotzdem gereicht. Weil er sich durch solche Aktionen einen Namen gemacht hat. Weil er sich damit Respekt verschafft hat und allem voran einfach abnormal schnell war.

Sonderfall Formel 1: Respektlos & Co. Gegenteil von Beleidigung

An alldem arbeitet nun Max Verstappen. Genau deshalb sind die eingangs fast schon beleidigend wirkenden Attribute alles andere als das. Eher Lob, Antrieb, Motivation, Aussicht auf eine Zukunft in Glanz und Glorie. Nicht umsonst, hatte Helmut Marko bereits beim ähnlich kontroversen Belgien GP den Schumacher-Vergleich aufgemacht.

Ähnlich sieht es Christian Danner. "Ich finde es völlig in Ordnung und sogar großartig, wenn ein junger Fahrer respektlos zu Werke geht. Ich finde es großartig, in welch kurzer Zeit Verstappen sich in der Formel 1 zu einem Top-Mann entwickelt hat", stellt der Motorsport-Magazin.com-Experte klar.

Danner: Verstappen braucht ein bisschen Hilfe für das richtige Maß

Immerhin sei das aus dieser Herangehensweise resultierende Racing für den Zuschauer ja klasse anzusehen und werde nicht zuletzt deshalb auch von Red Bull goutiert. Deshalb sieht Danner - trotz "grenzwertigen" Einmischens in den WM-Kampf durch die Aktionen gegen Rosberg - Verstappen weiter in einem positiven Licht, sieht jedoch auch einen drohenden Schatten. "Ich fände es sehr schade, wenn er als ein furchtbar unfairer Fahrer in die Geschichte eingehen würde. Das hat er nicht verdient, da er eigentlich viel besser ist", ergänzt Danner. Daher sei nun die Sportbehörde gefragt, Verstappen ein wenig den rechten Weg aufzuzeigen, das richtige Gleichgewicht zu finden.

Idealerweise würde Verstappen diesen Weg selbst finden. "Er tut sich ja nichts Gutes. Er ist gut genug", sagt Danner. "Ich bin von holländischen Fans kritisiert worden, dass ich etwas gegen Verstappen hätte. Ganz im Gegenteil: Ich bewundere und schätze diese Respektlosigkeit sehr. Das ist Bestandteil eines zukünftigen Weltmeisters. Aber er braucht nicht immer die fiesen Tricks auszupacken." Einzig, dass Verstappen den Weg ganz allein findet, zweifelt Danner. Ein bisschen Hilfe brauche er dabei schon. Rennfahrer-Egos bewegen sich eben nicht von allein auch nur um einen Deut. Genauso wenig durch Fünf-Sekunden-Strafen wie in Mexiko. Lernen auf die harte Art, wie Helmut Marko sagt, ist das nicht. Darüber lacht Verstappen höchstens. Wenn überhaupt.