Eine der Streitfragen nach dem Großen Preis von Mexiko: Warum wurde Lewis Hamilton für seine Abkürzungs-Aktion kurz nach dem Rennstart nicht bestraft? In jener Schikane, die Max Verstappen später das Podest kostete. Zwei sehr ähnliche Manöver, doch Hamilton kam ungeschoren davon. Für den Noch-Weltmeister war die Sache eindeutig: "Ich war ziemlich weit vor den anderen Autos, als ich in Kurve eins gefahren bin. Ich habe ja niemanden aufgehalten oder so."

Vorteil oder nicht? Die Meinungen darüber gingen im Fahrerlager weit auseinander. Hamilton unterlief mit seinem Verbremser schließlich ein Fehler in der oftmals entscheidenden Startphase. Wegen einer wenig später folgenden Safety-Car-Phase war jeglicher potenzieller Vorteil zwar dahin, doch die Rennleitung sah sich den Fall nicht einmal näher an. Anders bei Verstappen, der in Folge seines Abkürzens eine 5-Sekunden-Zeitstrafe aufgebrummt bekam.

Vorteil wieder hergegeben

"Lewis hat den Vorsprung, den er durch das Abkürzen gewonnen hat, ja wieder hergegeben", sagte Christian Danner zu Motorsport-Magazin.com. "Während dem virtuellen Safety Car hat er den Vorsprung losgelassen. Aber natürlich hat er sich einen Vorteil verschafft, da er sich verbremst hat." Wäre die Sache womöglich anders behandelt worden, wenn Verfolger Nico Rosberg am Ausgang der Schikane etwas dichter dran gewesen wäre an Hamilton?

Der WM-Spitzenreiter hatte sich zumindest kurzzeitig Hoffnungen gemacht, von Hamiltons Verbremser zu profitieren. "Ich war zu diesem Zeitpunkt begeistert, weil ich dachte: 'Okay, das hab ich gewonnen', sagte er mit einem Grinsen in Gesicht. "Das war ja schon ziemlich spät gebremst..." Stattdessen musste sich Rosberg aber zunächst mit Verstappen auseinandersetzen, anstatt Hamilton anzugreifen. Damit war seine wohl einzige Chance vertan, das Rennen zu gewinnen.

Das war nicht richtig

Die frühe Safety-Car-Phase rückte die Gegebenheiten zwar auf natürliche Weise wieder zurecht. Aber nicht wenige glaubten, dass Hamilton für seine Aktion eine Strafe verdient gehabt hätte. Etwa Daniel Ricciardo, der nach den Strafen von Verstappen und Sebastian Vettel den dritten Podestplatz erbte. "Ich denke, das mit Lewis in Kurve eins war nicht richtig", meinte der Red-Bull-Pilot. "Wenn du einen Fehler machst - und das beim Start, einem wichtigen Teil des Rennens - dann solltest du auch dafür bezahlen."

So wie Ricciardos Teamkollege. Verstappen habe sich mit seinem Abkürzen einen direkten Vorteil gegenüber Hintermann Vettel verschafft, urteilte die Rennleitung. Aber war der Ferrari-Pilot wirklich nah genug dran, um Verstappen zu kassieren? Auch hier herrschte Uneinigkeit - vor allem natürlich im Lager von Red Bull. "Verstappen war deutlich vorn - was war dann mit Rosberg oder Hamilton in Runde 1? Völlig unverständlich", polterte etwa Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Lewis Hamilton feiert seinen 51. Sieg in der Formel 1, Foto: Sutton
Lewis Hamilton feiert seinen 51. Sieg in der Formel 1, Foto: Sutton

Horner: Was war bei Verstappen anders?

Unterstützung erhielt Marko von Red-Bull-Kompagnon Christian Horner, der den möglichen Vorteil von Verstappen ebenfalls in Frage stellte und stattdessen mit Hamiltons Situation verglich. "Wir hatten nicht das Gefühl, dass Max dadurch einen Vorteil erlangt hat", sagte Horner. "Wenn Sebastian daneben gewesen wäre oder angegriffen hätte, hätten wir die Strafe mehr verstanden. Das war ja nicht anders als mit Lewis' Problemen beim Rennstart, als er am Ende weiter vorn war."

Auch ein eher neutraler Beobachter hegte Zweifel, ob Hamiltons Aktion in Ordnung war oder hätte bestraft werden müssen: Nico Hülkenberg, zu diesem Zeitpunkt auf Platz vier liegend und mit bester Aussicht auf das Geschehen vor ihm. Schon bei Hamiltons Bremspunkt habe er gesehen, dass der Brite den Kurveneingang niemals hätte erwischen können. Hülkenberg: "Der Start von Lewis war sehr komisch. Wenn das kein Vorteil verschaffen ist - was ist es dann? Wäre da eine Wand oder ein Kiesbett gewesen, hätte er große Probleme bekommen."

Hamilton erklärt die Gründe - Hülkenberg zweifelt

Hamilton versuchte derweil, die Angelegenheit herunterzuspielen. Von einem Fahrfehler wollte er gar nicht sprechen. Er habe beim Rennstart Probleme mit den Bremsen gehabt. Seine rechte Vorderbremse sei während der Installationsrunde verglast gewesen, hätte also nicht ihre Wirkung entfalten können. Die rechte Seite sei 150 bis 200 Grad kühler gewesen als die linke Bremse an der Vorderachse.

"Ich bin in Kurve eins gefahren, dann ist die Bremse aufgewacht und ich verbremste mich", erklärte Hamilton. "Ich hatte so viel Speed drauf. Zum Glück bin ich nicht in die Mauer rein." Ab der sechsten Kurve hätten sich die Bremsprobleme gelöst, sagte Hamilton. Hülkenberg zweifelte: "Wenn seine Bremse verglast gewesen wäre, wäre sie das für den Rest des Rennens. Dann bin ich überrascht, wie er überhaupt gewinnen konnte."

Letztendlich also keine Strafe für Hamilton, der sich ohnehin gestraft genug fühlte. "Ich hatte einen riesigen Bremsplatten, das war sicherlich kein Vorteil", verteidigte er sich. "Ehrlich gesagt, dachte ich, dass ich in die Box muss. Als ich aus der Schikane kam, war ich sicher, dass ich den Reifen wechseln muss und dachte, dass mein Rennen damit ziemlich erledigt sei. Aber das Team sagte, dass ich draußen bleiben kann. Die Vibrationen waren heftig und ich konnte kaum was sehen. Ich war echt froh, als ich neue Reifen bekam."