Eigentlich war es ein ganz normaler Freitagabend. Noch kurz vor Start ins Wochenende flatterte an diesem Tag Ende November 2014 in Form einer Presseaussendung eine wichtige Nachricht in die Motorsport-Redaktionen: Carlos Sainz junior, Sohn der Rallye-Legende Carlos Sainz, fährt 2015 in der Formel 1. Mit Toro Rosso, an der Seite des einige Wochen zuvor verkündeten Youngsters Max Verstappen.

Doch trotz seines berühmten Ahnen, trotz seiner ebenfalls extremen Jugend - Sainz war gerade erst 20 geworden - verhallte die Botschaft dramatisch schneller als im Fall des Teamkollegen. Bei Verstappen hatte die F1-Szene Kopf gestanden, sofort rollte eine gewaltige Diskussionswelle um das vermeintliche Jahrhunderttalent und den angeblichen Jugendwahn in der Formel 1 los. Bei Sainz allenfalls leichte Wogen, keine Spur eines solchen Hypes.

Sainz von Start weg in Verstappens Schatten

Dieser zwar unerheblich anmutende Vergleich lässt sich jedoch auf die gesamten, noch kurzen Karrieren, des Spaniers und des Niederländers in der F1 ausrollen. Stand Sainz bei den Reaktionen auf die Vertragsbekanntgabe bereits hinten an, so wuchs der große Schatten des hochgejubelten Teamkollegen gefühlt mit jedem Tag in der Königsklasse, gipfelte schließlich im brisanten, vorzeitigen Verstappen-Wechsel zum Mutterteam Red Bull Racing nach vier Rennwochenenden 2016.

Sainz und Verstappen lieferten sich bei Toro Rosso einige enge Duelle., Foto: Sutton
Sainz und Verstappen lieferten sich bei Toro Rosso einige enge Duelle., Foto: Sutton

Und Sainz? Blieb bei Toro Rosso, hat dort immerhin noch Vertrag für 2017. Es wird sein drittes Jahr im Nachwuchsrennstall von Teamchef Franz Tost. Länger hat das Team noch keinen seiner Zöglinge beschäftigt - entweder gelang bis dahin der Augstieg zu Red Bull oder es drohte in der Regel das komplette F1-Aus.

Für Sainz jedoch keine Drohkulisse. "Ich bin jetzt 22 Jahre alt und habe schon einen Vertrag für die nächste Saison - ich kann mich über meine Situation nicht beklagen", sagt der Spanier nun in einem Interview mit Motorsport-Magazin.com. Er habe es in seinen nun fast zwei Jahren Königsklasse geschafft, einen guten Eindruck zu hinterlassen und sei auf dem besten Wege dahin, endlich ein für alle Mal das ungeliebte 'junior' hinter seinem Namen abzuschütteln.

In Monaco 2015 machte Sainz Platz für Verstappen., Foto: Sutton
In Monaco 2015 machte Sainz Platz für Verstappen., Foto: Sutton

Fehlt Sainz das Arschloch-Gen?

Guter Eindruck trifft es zweifellos. Carlos Sainz ist der Gentleman im Grid. Immer freundlich, immer zuvorkommend, kein Bad Boy wie Ex-Teamkollege Max Verstappen. Fehlt ihm der Killer-Instinkt, das für Rennfahrer schon oft bemühte 'Arschloch-Gen'?

Nein, sagt Sainz. "Ich zeige dieses Arschloch-Gen Stück für Stück", versichert er auf Nachfrage mit einem breiten Lachen im Gesicht. Das impliziert jedoch eine zumindest partielle Abwesenheit dieses Faktors in der Vergangenheit. Beste Beispiele: Malaysia und Monaco 2015, wo Sainz der Stallorder Toro Rossos ohne Widerspruch nachkam, Verstappen wegen besserer Reifen für einen Angriff nach vorne überholen zu lassen während Verstappen, in Singapur in einer identen Situation ausgesetzt, nicht mitspielte.

Daraus will Sainz gelernt haben. "Ich bin meiner Meinung nach ein zu guter Mensch gewesen", gesteht er. Das ändere sich nun jedoch nach und nach. "Ein Rennfahrer sollte auf jeden Fall eher ein bisschen Arschloch sein, als ein bisschen zu nett", sagt Sainz. Seine Erfahrungen und einige harte Zeiten in den beiden vergangenen Saisons hätten ihn reifen lassen und zu einem stärkeren Charakter gemacht.

Sainz im Pech: Konnte wahres Potential nicht zeigen

Damit spielt Sainz jedoch nicht nur auf Situationen wie oben an, sondern den generellen Eindruck von Außen, Verstappen sei bei Toro Rosso einfach immer der klar bessere Mann gewesen. Tatsächlich entschied Verstappen das Teamduell auf dem Papier auch deutlich für sich. 49 WM-Punkte und WM-Rang 12 für Verstappen standen 2015 deren 18 für Rang 15 von Sainz gegenüber. Auch in den vier gemeinsamen Rennen 2016 hatte Verstappen nach Punkten die Nase vorne.

Das wahre Bild spiegele das jedoch nicht, meint Sainz. "Der Speed war immer da, aber vielleicht hatte ich nicht immer die Möglichkeit, mein Potential zu zeigen. Wegen Zuverlässigkeitsproblemen und vielen kleinen Dingen. Ich konnte nicht ganz zeigen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin und was ich in der Formel 1 schaffen kann", erklärt der Spanier. Zurecht: Acht Ausfälle hatte Sainz, deren vier Verstappen in der gemeinsamen Zeit zu beklagen. Noch dazu entschied Verstappen 2015 die Quali-Duell nur hauchdünn, mit 10:9 für sich.

In Anbetracht der puren Pace habe er also gezeigt, dass er kommen sei, um zu bleiben, sagt Sainz. Dennoch habe er mit Situation, das immer Verstappen, nicht er, im Rampenlicht stand, erst einmal klar kommen müssen. "Das war nicht einfach, weil ich sehr ähnliche Dinge auf der Strecke gemacht habe, nicht aber die Aufmerksamkeit bekommen habe. Aber ich habe mich nicht davon runterziehen lassen. Es hat mich stärker gemacht, es hat aus mir einen noch besseren Fahrer gemacht", sagt Sainz.

Das entscheidende Quantum Glück sei jedoch erst seit dem Spanien GP in diesem Jahr eingekehrt. "Diese kleinen Dinge haben aufgehört, gegen mich zu sein. Und plötzlich hört es auf. Dann konnte ich allen zeigen, wozu ich fähig bin", sagt Sainz. Doch ausgerechnet erst seit genau jenem GP, bei dem Max Verstappen zum ersten Mal für Red Bull fuhr, gleich gewann und somit die Außen- und Red-Bull-Innenwirkung Sainz' beginnenden Laufs überstrahlte.

Zu oft konnte Sainz seine Pace nicht in Resultate ummünzen, Foto: Sutton
Zu oft konnte Sainz seine Pace nicht in Resultate ummünzen, Foto: Sutton

Verstappen-Glorie überstrahlt starke Sainz-Serie

Mit weiteren starken, aber auch kontroversen, Rennen mit Red Bull blieb Verstappen daraufhin im Licht, Sainz' Punkteserie im Mittelfeld-Auto, sein klarer Sieg über Neo-Teamkollege Daniil Kvyat dagegen eher weniger auffällig. Sainz jedoch hofft, dass seine Performances der Szene nicht gänzlich unbemerkt bleiben. "Ich habe es endlich geschafft, konstant in den Punkten zu sein. In fast jedem Rennen, das ich beendet habe. Darüber kann ich sehr, sehr glücklich sein. Es macht mich glücklich, jedem zeigen zu können, wozu ich imstande bin", sagt der Spanier in dem Interview mit Motorsport-Magazin.com.

Damit aus dieser Hoffnung jedoch eine Garantie wird, braucht es dringend ein Top-Cockpit. "Das ist kein Geheimnis. Ich fühle mich auch bereit dafür. Im nächsten Jahr wird mit den neuen Regeln viel durcheinandergewürfelt. Ich habe es sehr klar gemacht, dass ich sobald wie möglich bei Red Bull sein will. Das ist mein Hauptziel. Ich werde mich selbst ans Limit pushen, um sicherzustellen, dass ich so schnell wie möglich dort bin", sagt Sainz.

Sainz sicher: Es kommt noch eine Chance

Problem: Mit Daniel Ricciardo und Max Verstappen sitzen dort aktuell gleich zwei hochgeschätzte Piloten entsprechend fest im Sattel. Hat Sainz den entscheidenden Moment also bereits verpasst, als er das Absprung-Duell gegen Verstappen früher in diesem Jahr verlor?

"Sie haben sich dazu entschieden, Max mir vorzuziehen. Da musst du Red Bull fragen, warum sie ihn vorgezogen haben. Aber es bedeutet nicht, dass ich nicht auch noch in naher Zukunft aufsteigen könnte", sagt Sainz. "Es sind nur zwei Cockpits verfügbar, aber ich muss sicherstellen, dass wenn sich die Chance ergibt, ich derjenige bin, der das Upgrade bekommt."

Sainz will Verstappen zu Red Bull folgen, Foto: Sutton
Sainz will Verstappen zu Red Bull folgen, Foto: Sutton

Darum freut Sainz Verstappens Erfolg

Für ihn sei es zurzeit sogar ein Genuss Verstappen auf dem Podium oder siegen zu sehen. "Ich weiß, was ich gegen Max ausrichten kann. Ich habe euch allen gezeigt, was ich gegen ihn ausrichten kann. Das zeigt mir, dass ich - sobald ich in einem Top-Team bin - ähnliche Sachen machen kann", erklärt der Europapokal-Sieger-Besieger der Formel 1.

Ein ausführliches Interview mit Carlos Sainz über Vergleiche und Rivalität mit Max Verstappen, seine Gegenwart und Zukunft in der Formel 1, seine Stellung in der Red-Bull-Familie und seine Meinung zum "Arschloch-Gen" von Rennfahrern lesen Sie in der neuen Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin.com, die am 13. Oktober erschienen ist.