Es war der große Diskussionspunkt nach dem Großen Preis von Kanada: Hat Ferrari mit einer falschen Strategie den Sieg von Sebastian Vettel verzockt? Kurz nach Rennende war die Angelegenheit selbst für Teamchef Maurizio Arrivabene klar. Die Strategen hätten den Verschleiß der Reifen überschätzt, die Entscheidung zu einer Zweistopp-Taktik falsch gewesen. Offene Worte des Ferrari-Chefs. Dass er sein Strategie-Team allerdings öffentlich kritisierte, überraschte doch ein wenig.

Mit etwas Abstand ruderte Arrivabene nun jedoch zurück. Statt auf seine Angestellten einzuhacken, übernahm er selbst die Verantwortung für die Strategie, die Vettel möglicherweise den Sieg in Montreal gekostet hat. Mehr noch: Arrivabene ist inzwischen sicher, dass die gewählte Strategie keineswegs falsch gewesen sei. Bei seinen ersten Aussagen kurz nach dem Fallen der Zielflagge habe er sich schlichtweg von den TV-Kameras überrumpelt gefühlt.

Nach Vettels Mega-Start war Ferrari auf Siegeskurs, Foto: Sutton
Nach Vettels Mega-Start war Ferrari auf Siegeskurs, Foto: Sutton

Arrivabene entschuldigt sich

"Ich muss mich beim Team entschuldigen", so Arrivabene. "Direkt nach dem Rennen kam Sky UK zu mir und sagte: ‚Wer war der Kerl, der den Fehler mit der Strategie begangen hat?´. Zunächst einmal muss ich in meiner Rolle auf nichts hinweisen. Und, falls wirklich mal ein Fehler passiert, dann lastet dieser auf meinen Schultern statt auf denen meines Teams."

So habe er seine Aussagen wohl etwas unreflektiert getroffen: "Wenn du am Sieg riechen kannst, dann bist du direkt nach dem Rennen etwas nervös oder enttäuscht. So war es bei mir. Das Team hat großartige Arbeit geleistet an diesem Wochenende. Damit bin ich glücklich." Unklar, ob sich Arrivabene damit abschließend vor sein Team stellte, oder intern weiter einen anderen Ton an den Tag legte. Denn Fakt ist: Ferrari wartet noch immer auf den ersten Sieg, obwohl es durchaus Möglichkeiten gab.

Vettel redet auf Medien ein

Jedenfalls fuhr Arrivabene am Ende die gleiche Schiene wie Vettel, der nicht im Ansatz die Leistung des Kommandostandes kritisieren wollte. Stattdessen forderte er aktiv eine positivere Berichterstattung der heimischen Medien. Wohl auch vor dem Hintergrund, dass Ferrari in der Tat ein weiterer Fortschritt mit dem Auto gelungen ist, wie das Wochenende in Montreal deutlich gezeigt hat. "Manchmal scheint es, als ob die italienische Presse unser größter Gegner sei", soll er einem italienischen Journalisten gesagt haben. "Vielleicht könnt ihr jetzt mal was Positives schreiben."

Die Bitte wirkte nur zum Teil. So titelte Tuttosport nach Kanada: ‚Vettel zahlt einen hohen Preis für Ferraris Entscheidung, auf zwei Boxenstopps zu setzen. Sein zweiter Platz schmerzt.´ Der Corriere dello Sport schrieb am Montag immerhin: ‚Allein Vettels Start wiegt wie ein Sieg´.

Dieses Bild wünscht sich Ferrari beim Fallen der Zielflagge, Foto: Sutton
Dieses Bild wünscht sich Ferrari beim Fallen der Zielflagge, Foto: Sutton

Ferrari unter Wert?

Ferrari scheint in Sorge, dass der neuerliche Aufschwung nicht ausreichend wahrgenommen oder gewürdigt wird. Nach den Problemen der vergangenen Rennen war die Scuderia in Kanada immerhin so nahe an Mercedes dran wie schon lange nicht mehr. Im Qualifying hatte sich Vettel gar die Pole Position ausgemalt und war am Ende relativ knapp gescheitert. "Die Arbeit, mit der wir direkt nach Monaco begonnen haben, zahlt sich aus", war Arrivabene überzeugt.

Vor allem der neue Turbolader im Ferrari-Boliden stand in Kanada im Fokus - an dem Ort, an dem sich das Team laut Technikchef James Allison den größtmöglichen Performance-Gewinn erhoffte. Zudem gab es Überarbeitungen am Heck des Autos. Arrivabene: "Wir verstehen das Auto besser. Am Rennwochenende arbeiten wir so, dass wir die richtige Balance finden können. Das wird sich auszahlen, denn jetzt hatten wir ein interessantes Rennen."

Für Podestplätze ist Ferrari seit dem Saisonstart ein Garant, doch das allein wird den hohen Ansprüchen - und ähnlich hohen Investitionen - nicht gerecht. Panik brach erstmals aus, als sich plötzlich Red Bull anschickte, Ferrari den Platz hinter Mercedes streitig zu machen. Dieses Szenario konnte Maranello zumindest in Montreal abwenden.

Die Zielscheibe muss Mercedes bleiben, machte auch Arrivabene deutlich: "Wir haben das Auto verbessert. Das reicht aber nicht, weil Mercedes vor uns steht. Der Rückstand ist klein. Aber um zu gewinnen, müssen wir noch mehr arbeiten."