Wer vorne an der Spitze Spannung haben will, der sollte sich lieber noch einmal die Analyse des Monaco-Donnerstags durchlesen. Denn Spannung ganz vorne können wir in Kanada leider nicht versprechen. Red Bull muss ernüchtert feststellen, dass der Sprung, den Renault mit dem Motor gemacht hat, noch nicht ausreicht, um auch auf Power-Strecken Mercedes Paroli bieten zu können. Montreal ist eben nicht Monaco.

Ein Blick auf die Topspeeds zeigt, warum Red Bull fast eine Sekunde auf Mercedes fehlt: Max Verstappen liegt mit 328,2 Stundekilometer auf Rang 20, nur die beiden McLarens waren langsamer. Auf den Topwert von Nico Rosberg fehlen somit 14,0 km/h, die wohl nur teilweise durch Windschatten zu erklären sind.

Das Motoren-Update, das Renault in Monaco brachte, scheint doch nicht der ganze große Schritt zu sein. Daniel Ricciardo mahnt aber noch: "Wir sind heute noch nicht im Qualifikations-Modus gefahren, wir haben noch etwas in petto für morgen." Ob es allerdings zehn Stundenkilometer sein werden, ist eher fraglich.

Button in Sektor 1 schneller als Rosberg

Doch nicht nur der Rückstand von Red Bull ist ausgesprochen groß, auch Nico Rosberg musste sich eine halbe Sekunde aufbrummen lassen. Ein Blick auf die Sektorzeiten ist aufschlussreich: Im ersten Sektor verliert der Deutsche knapp drei Zehntelsekunden. Hamilton, Vettel, Button, Räikkönen und Verstappen sind in Sektor 1 schneller. "Das müssen wir uns heute Abend noch genauer ansehen", fordert Rosberg und mutmaßt: "Das lag wahrscheinlich an der Reifentemperatur."

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Hamilton 20.666 Hamilton 23.936 Rosberg 29.585
Vettel 20.799 Vettel 24.035 Hamilton 29.610
Button 20.907 Rosberg 24.146 Vettel 29.635
Räikkönen 20.928 Verstappen 24.158 Kvyat 29.804
Verstappen 20.932 Ricciardo 24.232 Bottas 29.823
Rosberg 20.938 Hülkenberg 24.236 Sainz 29.854

Obwohl die Temperaturen am Freitag verhältnismäßig hoch waren und so über das Wochenende nicht mehr zu erwarten sind, hatten viele Piloten Probleme damit, die Pneus auf die richtige Betriebstemperatur zu bringen. Mangels schneller Kurven ist es schwierig, die Reifen strukturell zu erhitzen.

Soft-Reifen braucht 100 Grad Celsius

Die Reifentemperaturen könnten an diesem Wochenende das Zünglein an der Waage sein. Besonders interessant sind hierbei die Arbeitsfenster der verschiedenen Mischungen. In Kanada kommen Soft, Supersoft und Ultrasoft zum Einsatz. Der Unterschied zwischen Ultra- und Supersoft ist eher gering. Die Reifen sind sich strukturell sehr ähnlich. Beide arbeiten im niedrigen Temperaturfenster zwischen 85 und 115 Grad Celsius optimal.

Reifenmischung Temperaturfenster Minium Maximum
Hard Hoch 105 135
Medium Niedrig 90 120
Soft Hoch 100 125
Supersoft Niedrig 85 115
Ultrasoft Niedrig 85 115

Der Soft-Reifen allerdings braucht höhere Temperaturen. Pirellis Daten zufolge funktionieren die gelb markierten Gummis zwischen 100 und 125 Grad optimal. Bei den niedrigeren Temperaturen, die über das Wochenende erwartet werden, könnten am Sonntag viele Piloten Probleme haben, den Soft-Reifen auf Temperatur zu bringen. Vorausgesetzt es bleibt trocken. Der Soft-Reifen ist allerdings Pflicht - die Teams haben erstmals in dieser Saison nicht die Wahl zwischen zwei vorgeschriebenen Reifen.

Und so könnte es der Soft-Reifen sein, der am Sonntag über Erfolg oder Misserfolg entscheidet und nicht der Ultrasoft, wie einige vor dem Wochenenden meinten. Renault und Haas wählten beide keinen einzigen Satz der Supersofts und konzentrieren sich voll und ganz auf die Ultrasofts.

Rosberg fährt 29 Runden mit Ultrasoft

Nach dem Freitag scheint das kein Thema mehr zu sein. Nico Rosberg fuhr 29 Runden auf den Ultrasofts. Das reicht für ein Einstopp-Rennen, wie es der Kanada GP auch im vergangenen Jahr war. Rosberg fuhr bei seinem 17 Runden langen Stint durchschnittlich in 1:19,0 Minuten um den Kurs. Am Ende waren seine Reifen besagte 29 Runden alt. Damit ist sein Mega-Stint noch immer schneller als der von Daniel Ricciardo, der nur elf Runden fuhr und im Schnitt sieben Zehntel langsamer war.

Den besten Longrun aber zeigte Lewis Hamilton. In zwölf Umläufen kam er auf eine Durchschnittszeit von 1:18.5 Minuten. Kimi Räikkönen kam ihm nahe, fuhr allerdings nur sechs Runden. Eindrucksvoll ist aber auch der Longrun von Sebastian Vettel: Der Ferrari-Pilot kam nach 15 Runden auf 1:18,8.

Leider gibt es keine besonders repräsentativen Longrun-Vergleiche auf den Soft-Reifen. Red Bull fuhr am Vormittag mit den gelben Reifen, Ferrari und Mercedes am Nachmittag. Während Kimi Räikkönen einen Mega-Longrun zu Beginn der zweiten Session hinlegte, fuhr Vettel den Soft für einen Mini-Longrun in der Mitte der Session, die Mercedes-Piloten jeweils am Ende.

Spanien GP: Longrun auf den Soft-Reifen

Fahrer Stint-Länge Reifen-Alter Durchschnittl. Rundenzeit
Rosberg 8 19 1:18.0
Hamilton 7 20 1:18.1
Räikkönen 22 24 1:18.7
Ricciardo 12 27 1:18.8
Verstappen 9 21 1:18.9
Vettel 5 20 1:19.1

Aber auch diese Daten spiegeln das Kräfteverhältnis wieder: Mit wenigen repräsentativen Runden kommen Rosberg und Hamilton auf einen Schnitt von 1:18.0 Minuten, respektive 1:18.1. Räikkönen kommt in seinem Monster-Run auf 1:18.7 Minuten, Vettel im Mercedes-ähnlichen Run auf 1:19.1 Minuten. Ferrari scheint auf dem Soft-Reifen weiter weg zu sein als auf dem Ultrasoft.

Das passt ins Bild: Mercedes tut sich leichter, die Reifen in das hohe Betriebsfenster zu bekommen. Und das könnte die Chance von Red Bull sein: Die Vormittags-Zeiten von Daniel Ricciardo und Max Verstappen waren ordentlich und sehr nah an den Zeiten von Ferrari am Nachmittag. Auch wenn sich die Zeiten nur schwer miteinander vergleichen lassen, Red Bull tut sich ebenfalls leichter damit, die härteren Reifen auf höhere Temperaturen zu bekommen.

Kommt Red Bull doch noch an Ferrari vorbei?

Die Spitzenpositionen scheinen somit eindeutig bezogen: Mercedes vor Ferrari vor Red Bull. Allerdings muss Rosberg wieder zurück in die Spur finden, sonst könnte er Probleme von Vettel bekommen. Schlecht für Rosberg: Weil der Freitag in Montreal noch im normalen Rhythmus gefahren wurde, der Samstag allerdings eine Stunde früher startet, beginnt auch die Sperrstunde am Freitagabend eine Stunde früher. Somit bleibt weniger Zeit, am Auto zu arbeiten.

Bei Red Bull wird es aber nicht nur teamintern spannend. Auf den Soft-Reifen scheinen sie eine Chance gegen Ferrari zu haben. Zudem zeigt Red Bull am Freitag traditionell weniger als Ferrari. Schon in Spanien war Motorsportberater Dr. Helmut Marko nach dem Qualifying über die Ferrari-Pace überrascht: "Die müssen mit dem Benzin geblufft haben."