Schadensbegrenzung wird bei Lewis Hamilton langsam zum geflügelten Wort. Dabei hat geflügelt in diesem Fall nichts mit abgefallenen oder beschädigten Frontflügel zu tun. Schadensbegrenzung - genau davon wollte Lewis Hamilton zu Beginn des China-Wochenendes nach seinem Getriebe-Wechsel eigentlich nicht sprechen.

Die Ingenieure hatten am Renngetriebe des Weltmeisters eine Beschädigung erkannt. Wahrscheinlich hätte das Getriebe gehalten, aber sicherheitshalber hat man sich dazu entschieden, die Getriebe-Strafe in Kauf zu nehmen. Schließlich muss ein Getriebe sechs aufeinanderfolgende Rennwochenenden halten, die nächsten Rennstrecken bieten schlechtere Überholmöglichkeiten als der Shanghai International Circuit.

Hamilton am Donnerstag: Angriff statt Schadensbegrenzung

Also ging Lewis Hamilton schon mit einem Handicap von fünf Startplätzen ins China-Wochenende. "Für mich ist eine Herausforderung eine Möglichkeit hervorzuragen, deshalb reizt mich diese Möglichkeit, von der hoffentlich mit Strafe bestmöglichen Position ins Rennen zu gehen", sagte Hamilton noch am Donnerstag. "Es bedeutet nicht, dass ich das Rennen nicht auch noch gewinnen kann. Ich denke eher so, als an Schadensbegrenzung."

Auch Hamilton selbst war nicht in Topform, Foto: Sutton
Auch Hamilton selbst war nicht in Topform, Foto: Sutton

Sportlich lief es dann am Freitag auch nicht einhundertprozentig rund. Zwei Dreher, zudem langsamer als Teamkollege Nico Rosberg. Am Samstag dann der ganz große Schock: Wegen einer defekten MGU-H konnte Hamilton keine schnelle Runde setzen. Startplatz 22.

Als wäre das nicht schon Strafe genug, musste auch noch fast die gesamte Power Unit gewechselt werden. Nach dem Qualifying wurden am Fahrzeug mit der Startnummer 44 noch Verbrennungsmotor, MGU-K, MGU-H und Turbolader gewechselt. Für eine genaue Fehleranalyse reichte die Zeit nicht, Mercedes ging lieber auf Nummer sicher und tauschte die mechanischen Komponenten. Welche Teile Hamilton aus seiner ersten Power-Unit-Charge für den Rest der Saison noch verwenden kann, soll in der kommenden Woche in Brixworth analysiert werden.

Mercedes: Start aus Boxengasse wäre besser gewesen

Damit aber noch immer nicht genug. Am Samstagnachmittag diskutierte Mercedes noch über die Möglichkeit, aus der Box zu starten. Dann hätte man noch mehr am Fahrzeug verändern dürfen, wäre allerdings mit Rückstand ins Rennen gegangen. "Rückblickend wäre das eine bessere Entscheidung gewesen, wenn man bedenkt, was dann in der ersten Kurve passiert ist", meint Paddy Lowe.

Wenige Augenblicke nach der Startkollision zwischen Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen war Lewis Hamilton ohne Frontflügel im Weltbild zu sehen. "Ich hatte einen guten Start, aber es ist stets schwierig, am Ende des Feldes zu starten und zu versuchen, dem Domino-Effekt einer Berührung in der ersten Kurve zu entgehen", erklärt Hamilton die Situation aus seiner Sicht.

"Kimi ist weit rausgekommen, dann haben sich womöglich einige Autos berührt, ich habe versucht ihnen auszuweichen, aber dann kam Kimi nach innen und ein Sauber hat versucht, Kimi auszuweichen und ist in mich reingefahren."

Guter Start bitter für Hamilton

"Lewis hatte seinen mit Abstand besten Start der Saison, was ironischerweise wiederum dazu beitrug, dass er in die Kettenreaktion vor ihm verwickelt wurde", bedauert Lowe. Der Lohn für den besten Start: Ein defekter Frontflügel, der sich unter dem Chassis verging. Am Ende von Runde eins musste Hamilton an die Box kommen.

Glück für Hamilton: Weil Karbonsplitter auf der Strecke lagen, schickte die Rennleitung das Safety-Car auf die Strecke. Somit hatte der Brite wieder Anschluss ans Feld. Und Mercedes versuchte mit Hamilton das Safety-Car gleich doppelt zu nutzen: Hamilton kam schon in Runde fünf zu seinem zweiten Stopp und holte sich die Supersofts - allerdings nur für eine Runde. In Runde sechs kam er nämlich gleich noch einmal und ging wieder auf Soft zurück.

Reifenstrategie der Top-10

Start 2. Stint 3. Stint 4. Stint 5. Stint 5. Stint
Rosberg Su Sn (20) Mn (36)
Vettel SSu SSn (4) Sn (17) Sn (35)
Kvyat SSu Sn (4) Sn (19) Mn (35)
Ricciardo SSu Sn (3) Sn (19) Mn (37)
Räikkönen SSu Sn (1) Mn (14) Sn (37)
Massa Sn Sn (19) Mn (31)
Hamilton Sn Sn (19) SSn (5) Sn (6) Su (21) Mn (30)
Verstappen SSu Sn (4) Mn (20) Sn (39)
Sainz SSu Sn (4) Sn (19) Mn (33)
Bottas SSu Sn (4) Sn (21) Mn (30)

SS - Supersoft
S - Soft
M - Medium
n - new, neu
u - used, gebraucht
(XX) - Runde des Reifenwechsels

Ein Taktik-Clou, der am Ende aber nicht aufging. Mit einer Runde Superspoft hinter dem Safety-Car hatte Hamilton die zweite, verpflichtende Reifenmischung im Rennen gefahren. Somit hätte er bis zum Ende des Rennens nur noch mit den favorisierten Soft-Reifen fahren können. Allerdings stellte Mercedes fest, dass beim Zwischenfall in Kurve eins ein Pneu Schaden genommen hatte. Somit blieben nicht mehr genügend Soft-Sätze für die gesamte Renndistanz. "Das zwang uns dazu, zum Rennende den Medium-Reifen einzusetzen. Dies machte unsere Supersoft-Taktik obsolet", trauert Paddy Lowe.

Hamilton konnte nach dem Restart zwar zunächst zur furiosen Aufholjagd ansetzen, allerdings hatte der Mercedes-Pilot mit weiteren Problemen zu kämpfen. Der beim Zwischenfall abgefallene Frontflügel beschädigte den Unterboden. Somit musste sich Hamilton nach Bahrain erneut mit einem lädierten Fahrzeug durchs Feld kämpfen.

Wie viel der Schaden in Rundenzeit ausgedrückt genau gekostet hat, konnte Mercedes nicht ausmachen. "Es hat sich ähnlich wie in Bahrain angefühlt", schildert Hamilton. "Ich glaube, es sah nicht so schlimm aus, aber es hat sich so angefühlt."

Speziell gegen Rennende wurden die Probleme sichtbar. "Wenn man neue Reifen aufzieht, können die frischen Reifen den Verlust an Abtrieb abfangen", vermutet Toto Wolff. "Wenn der Reifen ein paar Runden so stark wegen des verringerten Abtriebs rangenommen wurde, dann geht er viel schneller in die Knie."

Im letzten Stint auf den Medium-Reifen musste sich Hamilton deshalb sogar überholen lassen. Daniel Ricciardo hatte auf etwas frischeren Medium-Pneus keine Probleme mit Hamilton. Am eigentlich deutlich langsameren Felipe Massa im Williams fand Hamilton keinen Weg vorbei.

Deshalb stand am Ende trotz insgesamt 18 Überholmanövern nur Rang sieben für Hamilton. Ohne Beschädigung am Fahrzeug hätte es laut Mercedes-Analysen noch Rang vier oder fünf werden können. "Das Rennen war wie eine Achterbahnfahrt", resümierte er. "Aber es gab auch einige gute Sachen wie ein paar Überholmanöver. Ich liebe es, das zu machen, Leute zu überholen, wo sie es nicht erwarten."