Es war ein komischer Samstag in China. Rosberg auf Pole, die Ferraris auf den Plätzen drei und vier - das hört sich eigentlich normal an. War es aber nicht. Auf Platz zwei steht nämlich nicht, wie man eigentlich erwarten würde, Lewis Hamilton, sondern Daniel Ricciardo. Ein Kandidat, der da nicht hingehört, aber von Ferraris Patzern profitierte.

Nach dem Freitag machte sich Ferrari berechtigte Hoffnungen, Mercedes ernsthaft unter Druck setzen zu können. Doch am Ende fehlten Kimi Räikkönen fünf Zehntel auf die Pole-Zeit von Nico Rosberg. Die fünf Zehntel hat sich Räikkönen aber selbst zuzuschreiben: Der Finne verlor sechs Zehntelsekunden im letzten Sektor. Gleiches gilt für Sebastian Vettel.

China Qualifying: Entscheidende Q3-Runs

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3 Runde
Nico Rosberg 25,181 29,004 41,217 1:35,402
Kimi Räikkönen 25,117 29,031 41,829 1:35,977
Diff. - 0,064 + 0,027 + 0,612 + 0,575

Mercedes hat im letzten Sektor zwar einen - vor allem im Qualifying - nicht unerheblichen Power-Vorteil, doch fünf Zehntel beträgt der sicher nicht. Räikkönen und Vettel verbremsten sich jeweils auf ihren schnellen Runden, Rosberg hingegen bekam seine Runde zusammen. Deshalb steht Rosberg nicht nur wegen dem überlegenen Mercedes auf Pole, sondern vor allem, weil er seine entscheidende Runde hinbekam.

Bei der Ausgangslage könnte man eigentlich ein langweiliges Rennen erwarten. Zumal Rosberg auch noch als einziger der Top-10 auf den Soft-Reifen startet, alle anderen müssen auf gebrauchten Supersofts ins Rennen gehen. Dabei hätte Ferrari wie Mercedes auch einen ersten Run in Q2 auf Soft riskieren können, Performance-technisch hätte es wohl gereicht. Aber Mercedes überrumpelte Ferrari. Die Strategie wurde schon vor dem Qualifying gewählt, weil man entscheiden musste, welche Reifensätze nach dem Regen-FP3 zurückgegeben werden. Mercedes nahm deshalb einen Satz Soft mehr mit, opferte dafür einen Satz Supersoft.

Aber ganz so aussichtslos ist die Chance auf ein spannendes Rennen nicht. Toto Wolff ist sich der Ferrari-Gefahr durchaus bewusst: "Wir haben im Q3 definitiv noch nicht die volle Pace der Ferrari-Fahrer gesehen. An der Spitze wird es verschiedene Reifenstrategien geben. Nico wird es vorne nicht leicht haben, die Ferrari hatten eine unglaublich gute Longrun-Pace."

Die erste Chance für Ferrari ist der Start. Die neuen Startregeln zahlen sich bislang aus, die Unterschiede zwischen den Piloten sind in diesem Jahr größer. Lewis Hamilton konnte zweimal seine Pole Position nicht bis in die erste Kurve verteidigen. Dem entgegen legte Rosberg in Bahrain den besten Start aller Piloten hin.

Ferraris Vorteil: Die Starts sind konstanter. Offenbar verfügt die Kupplung der Roten über ein breiteres Arbeitsfenster. Im vergangenen Jahr startete Mercedes im Durchschnitt am besten, allerdings waren die Regeln noch nicht so restriktiv, mehr Automatismen waren erlaubt. Außerdem ist der Supersoft-Reifen ein Vorteil beim Beschleunigen.

Longrun-Daten vom Freitag

Räikkönen Vettel Rosberg Hamilton
Supersoft
Runden9 77 5
Schnitt1:43,496 1:43,6911:43,174 1:43,273
Schnitt auf 7 Runden1:43,303 1:43,6911:43,174 -
Soft
Runden15 -14 -
Schnitt1:43,539 -1:44,053 -
Schnitt auf 12 Runden1:43,893 -1:43,852 -
Medium
Runden- 12- 13
Schnitt- 1:43,569- 1:44,058
Schnitt auf 9 Runden - 1:43,794- 1:43,610

Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Rosberg ist weiterhin vorne, oder Rosberg ist hinter einem Ferrari - Daniel Ricciardo muss realistischerweise ausgeklammert werden. Überholen auf der Strecke wird schwierig. Im Verkehr hat der Mercedes Probleme, das hat Melbourne gezeigt. Auch wenn Shanghai kein Stadtkurs ist und zudem über die längste Gerade im Rennkalender verfügt, ist überholen kein Kinderspiel.

In den langgezogenen Kurven leidet man in verwirbelter Luft doppelt. Die Vorderreifen überhitzen mehr, das Folgen wird schwieriger. Dann kommt es darauf an, was Rosberg die Soft-Reifen bringen. Am Freitag konnte Rosberg auf angeschubbten Softs noch 14 Runden drehen. Räikkönen schaffte auf gleich alten Supersofts neun Runden. Beide Reifensätze hatten etwa einen Quali-Run auf dem Buckel.

Aber auch hier ist es nicht ganz so einfach: Länger fahren muss nicht unbedingt ein großer Vorteil sein. Wenn Ferrari nach dem ersten Stopp die frischen Reifen mit freier Fahrt nutzen kann, fällt Rosberg zunächst weiter zurück. Dann wird es über die Renndistanz eine wahre Reifenschlacht, wer mit seinen Pneus besser haushalten kann.

Rosberg hat den Joker hinten raus, weil er kürzere Stints fahren muss. Laut Pirelli führt die schnellste Dreistopp-Strategie immer über drei Sätze Soft und einem Satz Supersoft. Diese Strategie geht sich nur mehr für Mercedes auf, weil Rosberg als einziger Pilot in den Top-10 noch insgesamt drei Sätze Soft fürs Rennen hat.

Doch was passiert, wenn Rosberg den Start gewinnt und vorne bleibt? Droht ein langweiliges Rennen an der Spitze wie in Bahrain? Glaubt man den Pirelli-Strategen, lautet die Antwort ja. Rosberg ist der einzige Pilot in den Top-10, der Reifen-technisch die optimale Strategie fahren könnte. Allen anderen fehlt ein Satz Soft-Reifen. Darauf, dass ein Ferrari einen Mercedes auf der Stecke überholt, braucht man eher nicht zu hoffen.

Theoretisch schnellste Rennstrategien

Reifen Start 1. Stopp Reifen 2. Stopp Reifen 3. Stopp Reifen
Supersoft 11 Soft 26 Soft 41 Soft
Soft 16 Soft 31 Soft 46 Supersoft
Soft 15 Soft 28 Soft 42 Medium

Die einzige Chance ist ein aggressiver Undercut im ersten Stint. Dann kann Rosberg seinen Soft-Vorteil im ersten Stint nicht nutzen, will er seine Track-Position verteidigen. Und dann sind alle Piloten vorne an der Spitze wieder gleichauf bei den Reifen.

Bei allen Theorien spielt Daniel Ricciardo Nico Rosberg in die Karten: Ferrari muss zuerst am Red-Bull-Piloten vorbei. Gelingt das nicht am Start, sieht es schlecht aus. Dann droht ein langweiliges Rennen, weil Ferrari schon viel Zeit hinter Ricciardo verlieren wird. Dann funktioniert auch ein Undercut im ersten Stint nicht.

Bestenfalls müssen beide Ferraris am Start an Ricciardo vorbei. Dann hat Ferrari einen Joker: Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel können Strategien splitten. Zudem hat Sebastian Vettel einen frischen Satz Supersofts in der Hinterhand, weil er im Q3 auf einen zweiten Run verzichtete. Mit Lewis Hamilton auf Startplatz 22 kann Mercedes nicht auf ein Splitten der Strategien hoffen.

Fazit: Nico Rosberg ist und bleibt natürlich Favorit, aber ganz aussichtslos ist die Situation nicht. Ganz einfach, weil Ferrari Performance-technisch viel näher an Mercedes dran ist als an den letzten Wochenenden. Für Rosberg war der Samstag ein wahrer Glückstag: Hauptkonkurrent Hamilton noch weiter weg als durch den Getriebewechsel ohnehin schon, beide Ferrari erleichtern ihm die Qualifikation durch Fehler und stehen dadurch auch noch hinter Daniel Ricciardo. Dazu kommt der geschickte Schachzug bei der Strategie. Mercedes hat aus dem bisher schwierigsten Wochenende für Rosberg bislang das absolute Maximum herausgeholt.