Nach der abgelaufenen WEC-Saison hast du dein Karriereende erklärt. Das letzte Jahr war nicht einfach, weil du mit Toyota überhaupt keine Chance hattest, Audi oder Porsche anzugreifen. In der Formel 1 gibt es ständig Kritik über die großen Abstände, Le Mans finden irgendwie alle toll...
Alex Wurz: Ja, aber es ist ein ganz anderer Sport. Das Zielpublikum ist ein ganz anderes. Die WEC und die Sportwagen gehen eher in Richtung des absoluten Hardcore-Fans, der ohnehin komplett fasziniert ist vom Motorsport. Wir haben teilweise extrem spannende Rennen. Aber es ist keiner da, der sagt: 'Ich wurde jetzt nicht wie in einem Hollywood-Thriller unterhalten für sechs oder 24 Stunden.' Da versucht die WEC, Sportwagen und Langstreckenrennen im Allgemeinen, nie in dieses Segment 'ich muss meinen Zuschauer um jeden Preis unterhalten" abzurutschen. Das ist es nicht. Es ist purer Motorsport. Und er wird von den Fans auch so aufgenommen. Deshalb fällt es weniger ins Gewicht, wenn man mal ein langweiliges Rennen hat.

Le Mans ist aber grundsätzlich immer was anderes. Das ist fast schon eine Art Lifestyle. Wenn du es als Fan zuhause verfolgst - die Zuschauerquoten sind weltweit enorm -, verwenden es die Leute als Wochenendattraktion. Du gehst zwar immer noch essen mit deinen Freunden und hast dein Programm mit den Kindern, aber zwischendurch schaust du geschwind auf das Handy und kriegst dann auch per Livestreaming gleich mit, wenn was passiert. Per App am Handy kannst du es anschauen, wo du bist. Du kannst dein Wochenende weiterleben, hast aber immer so ein sportliches Highlight, das dich nebenbei beschäftigt.

Und das ist eigentlich so ein bisschen die Zukunft, weil sich in der Menschheit durch das Smartphone, das die direkte Verbindung mit dem User bis in die Hosentasche - direkter wäre nur noch ein Gehirnimplantat - ist, immer mehr um die eigene Person dreht. Alles andere ist Entertainment für dein Leben. Dort müssen wir hin. Wir müssen auf den Screen, in das Leben des Menschen hineinkommen, ohne dass er sich um das Produkt kümmern muss.

Du hast gerade WEC als puren Rennsport bezeichnet. Rennsport ist heute anders als vor 20 Jahren. Wir haben in der WEC eine Technik, die genauso kompliziert, wenn nicht sogar komplizierter ist als in der F1 - und dort ebenfalls unfassbar viel Geld kostet.
Alex Wurz: Das bezeichne ich als puren Rennsport. Es geht darum, zu versuchen, die besten Akteure zu finden, die dein bestes technisches Produkt bewegen können. Da gibt es wie im sonstigen Leben und beim Kartenspielen Regeln, die man ausmacht. Und die sind in der WEC etwas freizügiger. Sie erlauben sehr viel Technologie. Sie erlauben dadurch aber auch exorbitante Kosten, die dahinterstecken. Das sehe ich allerdings auch als leichte Gefahr für das Wachstum der World Endurance LMP 1 Prototypenserie. Es ist eine Spielwiese der Hersteller.

Das funktioniert so lange gut, solange sie diese Spielwiese betätigen und befüllen wollen und daraus Lehren ziehen. Das kann natürlich langfristig sein, aber aus der Geschichte der Hersteller wissen wir auch, dass es schnell gecuttet ist, wenn es eine Wirtschaftskrise oder sonstige Probleme gibt. Deswegen habe ich da ein bisschen Bedenken, wenn die Entwicklungskosten für die LMP1-Autos weiter so extrem hoch sind.

Großkonzepte vs. Detaillösungen

In der Formel 1 ist das Motoren-Reglement acht Seiten lang, alles ist genauestens definiert. Bei den Prototypen kann man eigentlich alles machen. Das Motoren-Reglement passt auf eine halbe Seite. Findest du diese zwei Extreme gut? Bei den LMP1-Prototypen wird in alle Richtung entwickelt und extrem viel Geld ausgegeben, in der Formel 1 werden die gleichen Summen in Details investiert.
Alex Wurz: Wir sind eine Plattform für Ingenieure. Es steckt im Ingenieurswesen, das Maximum an Investment in dein Produkt fließen zu lassen, wie auch immer die Randbedingungen sind. Ob das jetzt die Geilheit im Detail ist - damit meine ich die F1. Da gibt es Innovation im Detail. Dort sind Details so wichtig, dass es einen Unterschied ausmacht. Oder ob es wie in der WEC um Großkonzepte geht: Diesel, verschiedene Hybrid-Systeme etc. Das sind zwar unterschiedliche paar Schuhe, aber unterm Strich wollen alle das bestmögliche bewirken und das höchstmögliche Budget haben.

Das ist ein sich selbst regulierender Markt. Im Augenblick hat der Motorsport in Europa noch keine Budgetdeckelungen. Ich bin eigentlich Fan der Budgetdeckelung. Dann könnte man das Reglement komplett aufmachen. Aber es ist natürlich eine Herangehensweise, die total konträr ist zum Ingenieurswesen. Alle Leute, die hier sind, sind in irgendeiner Weise vom Ingenieurswesen getrieben und damit groß geworden. Wer immer hier ist, hat diese Mentalität nicht, sich komplett zu öffnen und zu sagen: 'Wir schmeißen alles, was wir in der Schule und im Leben gelernt haben, über Bord, dürfen nur 100 Millionen brauchen und es muss innerhalb von so und so vielen Quadratmetern ins Auto passen.' Deshalb ist es nicht so einfach zu sagen, wir machen das jetzt einfach.

Sprichst du da für die WEC?
Alex Wurz: Generell. Also auch in der F1 eine Kostengrenze. Die WEC geht schon in vielen Bereichen in Richtung Formel 1, wo es um die Details des Reglements geht, um die Auslotung. Natürlich weil beide sehr viel mit Aerodynamik zu tun haben. Wo es ein bisschen offener ist, ist der Antriebsstrang.

Könnte das Formel-1-Reglement deiner Meinung nach ruhig ein bisschen offener sein?
Alex Wurz: Das Formel-1-Reglement ist genauso wie das italienische Gesetz. Das italienische Gesetz baut immer auf alten Gesetzen auf. Und wenn du einen guten Anwalt findest, der aus dem 17. Jahrhundert irgendein Gesetz findet, das dann nicht perfekt aufgebaut wird, kannst du noch die verrücktesten Fälle gewinnen. Und in der F1 ist es auch so. Sie haben irgendwann in den 60ern, 70ern ein Produkt gemacht. Und seitdem entwickelt sich das Reglement - es ist eigentlich immer nur eine Evolution. Es hat nie eine Revolution gegeben.

Und wenn wir glauben, dass eine Umstellung von V10 auf V8 oder von V8 auf Turbomotoren eine Revolution ist, ist das falsch. Es ist keine Revolution, sondern ein Einbetten in das ständig wachsende Reglement. Es wird immer größer und dementsprechend komplizierter. Aber das ist das System der letzten 30, 40 Jahre.

Also nicht mit dem Rotstift ansetzen und alles rausstreichen? Sondern weil es natürlich gewachsen ist, ist es okay?
Alex Wurz: Ich finde es auch gar nicht nötig. Und ich gebe auf keinen Fall der Komplexität des Regelwerks die Schuld, dass die Formel 1 im Augenblick nicht genügend Wachstum hat und wir Insider sogar über etwas schimpfen, das immer noch eine der angesehensten Sportarten ist. Eine Mega-Plattform für Hersteller und Sponsoren, sich zu präsentieren. Das ist es zu 100 Prozent. Aber wir sind natürlich alle ambitioniert und wollen, dass der Sport wächst und wächst und mehr Zuschauer anzieht und mehr Geld erwirtschaftet.

Das haben wir im Augenblick nicht. Aber die Antwort für Wachstum werden wir nicht im Reglement finden und speziell nicht mit einzelnen Reglementänderungen. Das kann man zwar für den Insider interessanter oder weniger interessant machen. Da wird es immer 50:50 geben. Aber so richtig Wachstum im Sport ist mit Sicherheit im Geschäftsmodell, wie die Formel 1 geschäftlich und politisch geleitet wird, begraben.

Da sollte man eher ansetzen?
Alex Wurz: Sollte man, ja.

Wurz: Die Formel 1 hat ein Business-Problem

Was meinst du hier konkret? Die Geldverteilung innerhalb der Formel 1? Die Regelgebung?
Alex Wurz: Ich sehe hier zwei Bereiche. Erstens: Das, was extern passiert. Ein kleines Beispiel vom NASCAR 500. Wir hatten hier ein extrem spannendes Finish. Innerhalb von 45 Sekunden hatte die NASCAR einen Clip der letzten 15 Sekunden online, wie sich das zugespitzt hat. Und es ist sofort kommentiert worden, sofort weitergeleitet von den Fahrern und von den Teams. Das Video wurde viral. Da bist du in den Suchmaschinen immer gleich ganz vorn. Und auf Facebook kannst du es gleich mit deinen Freunden teilen. Innerhalb weniger Minuten wurden hier Hundertausende, die von dem Event gar nichts wussten, darauf hingewiesen. Wegen eben dieser Verbindung in die Hosentasche. "Hast du das gesehen? Wie geil!" Und da ist die Formel 1 ganz strikt: "Wir dürfen Footage von hier nicht verwenden!"

Aber es ist schon besser geworden. Letztes Jahr haben sie schon erste Aufnahmen von der Strecke gebracht und mit Social Media begonnen.
Alex Wurz: Ja, es wird besser. Sie können sich dem Wandel in der Gesellschaft durch Social Media und Smartphones nicht verschließen. Aber da kann man so viel machen. Das ist ein Geschäftsmodell. Die Fernsehanstalten zahlen dafür, dass es exklusiv ist, es keiner verwenden darf und es geographisch geblockt ist. Um es richtig herauszuposaunen und um Masse zu erzielen - aber das ist ein anderes Geschäftsmodell. Und da muss man hin, da muss man umstellen. Das, was nach außen geht.

Aber innen genauso. Diese politische Struktur, die sich seit 2008 allmählich entwickelt hat mit dem damaligen Problem der Piratenserie. Da haben die Besitzer der Formel 1 Spezialdeals mit gewissen Schlüsselteams gemacht. Dann haben sie den Schlüsselteams bessere Verträge gegeben. Und dadurch hat sich Jahre später das Problem ergeben, dass es Unterschiede gibt zwischen Reich und Arm. Und das hat sich alles zugespitzt.

Es war zwar immer schon so, aber zumindest hat es damals ein Team mit etwas weniger Budget wie Jordan geschafft, Überraschungsmomente zu haben. Zwar nicht bei allen 17 Rennen, aber bei drei oder vier. Aber das reicht ja schon. Wir brauchen kein Hollywood, wo jeder neue James-Bond-Film noch unterhaltsamer sein muss. Wir sollen eigentlich nur wie Fußball sein. Fußball ist bei vier von fünf Spielen langweilig. Eins ist sensationell. Deswegen schauen wir zu und warten darauf, sind aber immer noch emotional dabei. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Fußball irgendwann mal das Reglement geändert hat, dass sie die Tore größer machen oder was auch immer.

Um den Namen Bernie Ecclestone hier einmal zu nennen: Glaubst du, dass Bernie Ecclestones Geschäftsmodell, alles an das TV zu verkauft, das Problem ist?
Alex Wurz: Bernie ist extrem clever und natürlich funktioniert das Geschäftsmodell, das er seit Jahren supercool aufgebaut hat, immer noch. Die Umsätze der Formel 1 sind immer noch äußerst gut. Wenn auch nicht in Rekordhöhen im Verhältnis zu den 90ern und 2000ern. Das Geschäft ist also nicht Bankrott. Sondern wir haben kein Wachstum. Er weiß natürlich zu eintausend Prozent wie alle anderen - und speziell die Medien - auch selbst, dass so ein enormer Umbruch in der Gesellschaft, wie wir Nachrichten, Sport und Entertainment aufnehmen, unser Leben beeinflusst. Und wir haben so viel mehr Angebot als noch vor vielen Jahren. Es gibt nur eine gewisse Zeit, die wir nicht damit verbringen, die Welt mit Produktivität zu verpflegen, also Zeit, in der wir nicht arbeiten müssen. Und um diese Zeit kämpfen alle. Ob das jetzt Social-Media -Unternehmen sind, Hollywood, Entertainment, Kino - alle möglichen Freizeitakteure kämpfen um die gewisse Zeit, die du noch hast.

Da können Sie bei mir nicht um viel kämpfen.
Alex Wurz: Das ist gut für deinen Chef und für deine Leser. [lacht]

Und schlecht für dich, weil ich mehr Zeit habe, um dir Fragen zu stellen.
Alex Wurz: [Lacht] Um diese Zeit kämpfen wir. Es ist ein beinharter Verdrängungswettkampf. Im Augenblick gewinnen Smartphone und Social Media hier einen sehr großen Anteil. Das merken alle Betreiber, die mit dem realen Leben zu tun haben. Ob das Vergnügungsparks oder was auch immer sind. Da muss man ganz schnell und fit sein. Und hier ist die Frage, ob es die derzeitige politische Struktur in der Formel 1 schafft. Und es nicht nur Bernie allein. Und was ist die Perspektive? Was hat CVC - ein Investmenthaus - für eine Perspektive? Um in den nächsten drei Jahren maximal Cash rauszuholen? Oder den Sport für zehn, fünfzehn Jahre fit machen? Und da komme ich noch einmal zurück: Die Antwort liegt - was die Formel 1 und auch das letzte Technische Reglement betrifft - sehr oft im Geschäftsmodell.

Teil zwei des Interviews erscheint am Sonntag, den 28. Februar 2016 hier auf Motorsport-Magazin.com. Gesprächsthemen:Das neue Qualifying-Format, schnellere Autos für 2017 und natürlich Sicherheit, speziell die geplante Einführung der Cockpit-Haube.