Die Ausgangslage könnte für Red Bull Racing 2016 durchwachsener kaum sein. 2015 erlebte das Team die zweite mittelmäßige Saison in Folge. Statt drei Siegen wie noch 2014 reichte es sogar nur zu drei Podien ohne Besuch auf der obersten Stufe. Noch dazu die langwierige Rauferei mit Motorenpartner Renault, deren resultierende Entscheidung, in Zukunft wieder auf ein Werksteam zu bauen, und damit große Sorgen, im Folgejahr ganz ohne Motor dazustehen.

Erst lange nach Saisonende stand der für Red Bull erlösende Deal. 2016 bekommt der britisch-österreichische Rennstall doch noch Motoren von Renault, wenn auch unter dem Namen TAG-Heuer firmierend. "Die größte Herausforderung, was das Design dieses Autos angeht, war die späte Entscheidung, welche Power Unit wir benutzen würden. Das hat zu einer sehr komprimierten Design-Phase geführt. Was das angeht haben wir in Sachen Packaging des Autos alles getan was wir konnten ohne die Power Unit zu kennen", beschreibt deshalb Adrian Newey die Probleme bei der Entwicklung des neuen RB12.

Zuletzt hatte Red Bulls Cheftechniker noch gewarnt, das Team könne infolgedessen durch Toro Rosso und McLaren 2016 zunächst sogar eher unerwünschten Druck von hinten bekommen als selbst vorne anzugreifen. Doch das war vor den Crashtests des neuen Boliden. Den letzten bestand Red Bull - Teamchef Christian Horner zufolge - erst am Mittwoch, kurz vor der Präsentation der neuen Lackierung. "Wir gehen Risiken ein, von denen andere Teams nicht einmal träumen würden. Aber so läuft das bei uns. So ist unsere DNA", sagte Horner bei der Vorstellung in London.

Zwar räumte der Brite ein, zu Saisonbeginn vielleicht noch zurückstecken zu müssen, doch könne sich das im Lauf des Jahres ändern. "Wir erwarten, dass wir im Laufe des Jahres deutliche Fortschritte erzielen werden", sagte Horner. In einem großen Technik-Feature des Teams als Ausblick auf die neue Saison nennt Horner nun einen weiteren Grund. "2016 ist eine Evolution der 2015er Regeln, daher wird man zumindest in der ersten Hälfte des Jahres eine ähnliche Reihenfolge haben", sagt Horner.

Adrian Newey: Red Bull hat ein sehr starkes Chassis

Mit viel Risiko will Red Bull also den Nachteil der besonders kurzen Vorbereitungszeit ausgleichen. Während die Erfolgsaussichten zuletzt vielfach angezweifelt wurden - auch weil Renault erst einmal einen wirklich besseren Motor hinstellen muss - versprechen nun die führenden Ingenieure des Teams massive Fortschritte. Immerhin haperte es 2015 nicht nur an der Power Unit, sondern lange Zeit auch in Sachen Handling. Das räumt viel Platz für Verbesserungen ein. Und diesen Raum habe man genutzt.

"In der zweiten Saisonhälfte hatten wir schon ein sehr konkurrenzfähiges Auto. Das hat man im Mittelsektor in Spa gesehen, im Regen in Austin oder in Singapur. Wir haben jetzt auf diesen Lektionen des vergangenen Jahres aufgebaut. All die Indikationen von unseren Simulationen haben ergeben, dass das Chassis sehr stark sein sollte", versichert Newey. "Bisher sind die Hausnummern von CFD und Windtunnel ziemlich ermutigend. Auf jeden Fall bin ich unglaublich überrascht, wie viel wir aus dem stabilen Reglement noch herausgeholt haben. Das hat damit zu tun, dass wir alle besser verstanden haben, wie das Vorjahres-Auto funktionierte und einige Probleme damit identifiziert und uns auf diese fokussiert haben. So haben wir ein paar große Schritte nach vorne getan", ergänzt Aerodynamik-Chef Dan Fallows.

"Der Fortschritt ist signifikant", bestätigt der Chefingenieur für Performance, Pierre Waché. Allerdings verweist er auch auf die Konkurrenz: "Es kommt vor allem auf das Verhältnis zu den anderen an."

Starres Reglement als ungewohntes Glück

Während Adrian Newey generell allergisch auf das "starre und restriktive" Reglement reagiert, sehen seine Kollegen angesichts der in diesem Winter besonders schwierigen Ausnahmesituation sogar einen Vorteil. "Wir hatten nicht viel Zeit, den RB12 zu designen. Es war nach dem Saisonende nur wenig Zeit. Aber wir hatten Glück, dass das Reglement recht stabil geblieben ist. Deshalb konnten wir viele Konzepte mit ins neue Jahr nehmen", sagt Chefingenieur Rob Marshall. Auch letztlich beim selben Motorenhersteller geblieben zu sein hätte dabei geholfen: "Ein Veränderung wäre da eine große Sache gewesen. So waren keine großen Änderungen nötig und wir konnten schnell Fortschritte machen."

Was die Zielsetzung betrifft gibt sich das Bullen-Personal entsprechend angriffslustig. "Erster und Zweiter in Australien wäre schön, wenn Sie nach Hoffnungen fragen", sagt Chefingenieur für Car Engineering Paul Monaghan noch scherzhaft. Podien hält er allerdings für durchaus realistisch. Für den Saisonstart erhofft sich Monaghan zunächst, schlicht etwas stärker zu sein. Rob Marshall geht deutlich offensiver an die Sache: "Ich hoffe, wir können ein paar Rennen gewinnen. Auch wenn das nach der Performance im vergangenen Jahr etwas fern erscheint."

Red Bull als Geheimtipp also? Was glauben Sie? Greifen die Bullen 2016 wieder ganz vorne an?