Pascal Wehrlein gibt in diesem Jahr sein Debüt in der Formel 1. Schon jetzt gilt der 21-jährige Manor-Rookie als Deutschlands künftiger Superstar. Bis es soweit ist, muss er sich mit seinem kleinen Team beweisen. Erste Hürde: Teamkollege Rio Haryanto. Manor hat den 23-jährigen Indonesier als zweiten Fahrer verpflichtet. Ein weiterer Rookie und Wehrleins erster Gegner. Motorsport-Magazin.com vergleicht: Welcher der beiden F1-Neulinge hat im teaminternen Duell die besseren Karten?

1. - Die Erfahrung

Zunächst einmal ist Haryanto zwei Jahre älter und gleichzeitig zwei Jahre länger im höherklassigen Rennsport aktiv. Der Indonesier war zudem viel schneller im Formel-1-Umfeld unterwegs als Wehrlein. Schon 2010, seinem dritten Jahr im Formelsport, fuhr er in der GP3-Serie. Nach zwei Jahren stieg Haryanto in die GP2 auf. In seinen vier Jahren hat er dort viel Erfahrung sammeln können mit Blick auf die Formel 1, aber auch bezüglich seiner eigenen Entwicklung: In vier Jahren GP2 startete er für vier unterschiedliche Teams.

Wehrlein nahm zunächst den üblichen Weg eines deutschen Formeltalents und fuhr zwei Jahre im ADAC Formel Masters. Mit der Meisterschaft 2011 empfahl er sich für den Aufstieg in die Formel 3 Euroserie mit Mücke Motorsport. In seinem Rookie-Jahr in der damals stark besetzten Serie wurde er Gesamtzweiter hinter Daniel Juncadella - eine Top-Leistung, die auch Mercedes nicht verborgen blieb.

Es folgte eine eher unübliche F1-Richtung mit drei Jahren in der DTM. "In der DTM hat er sich auf hohem Niveau weiterentwickelt und ja auch abgeliefert", sagte sein langjähriger Teamchef Peter Mücke im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Bei den Tourenwagen fuhr Wehrlein auf einem mindestens vergleichbaren Level zur GP2 - allerdings eben nicht im Formelsport.

Unentschieden trotz anderer Karrierewege. // Wehrlein - Haryanto: 1 - 1

So sah Pascal Wehrlein 2011 aus, Foto: Formel Masters
So sah Pascal Wehrlein 2011 aus, Foto: Formel Masters

2. - Die Erfolge

Ließen bei Haryanto lange auf sich warten. 2009 gewann er zwar die durchaus konkurrenzfähige Formel BMW Pacific, um sich für die GP3 zu empfehlen. Danach wurde es allerdings mau. Seine zwei GP3-Saisons schloss er auf den Gesamtplätzen 5 und 7 ab. In der GP2 lief in den ersten drei Jahren nur wenig zusammen, wenn auch mit mittelmäßigen Teams. Erst 2015 gelang ihm mit Campos der Durchbruch. Drei Siege und fünf Podestplätze waren eine beachtliche Leistung im Duell mit Fahrern wie Stoffel Vandoorne und Alex Rossi.

Auf der anderen Seite: jüngster DTM-Sieger der Geschichte, jüngster DTM-Champion der Geschichte. Die Rekorde sprechen für Wehrleins Talent. Der 21-Jährige benötigte in seiner bisherigen Karriere nie lange Anlaufzeiten, um sich in einer neuen Serie zurechtzufinden. Vor allem in der Formel 3 war Wehrlein so schnell bei der Pace wie man es früher von Fahrern wie Hamilton und Rosberg kannte. Dass sich Wehrlein auch in der DTM innerhalb von zwei Jahren gegen die etablierte Konkurrenz behaupten konnte, war kaum zu erwarten. Der Titelgewinn am Ende war schließlich die Fahrkarte in die Formel 1.

Klarer Punktsieg für Wehrlein. Haryanto brauchte zu lange, um zum Erfolg zu kommen. // Wehrlein - Haryanto: 2 - 1

Rio Haryanto testete 2010 erstmals einen F1-Boliden, Foto: Sutton
Rio Haryanto testete 2010 erstmals einen F1-Boliden, Foto: Sutton

3. - Die F1-Kenntnisse

Beide Fahrer kennen sich bereits in der Formel 1 aus, durften in den vergangenen Jahren Testfahrten bestreiten. Der Erfahrungs-Vorteil liegt hier klar bei Wehrlein. Er spulte schon 3.376 Test-Kilometer ab, Teamkollege Haryanto kommt auf 775 Kilometer. 2015 saß Wehrlein zudem im aktuellen Mercedes-Silberpfeil sowie im Force India - und das auf drei unterschiedlichen Strecken.

Haryanto machte sich 2015 mit dem Manor-Boliden lediglich in Abu Dhabi vertraut. 2012 kam er zudem bei Tests in Silverstone für Manor zum Einsatz. Interessant: Schon 2010 saß Haryanto im F1-Boliden. Als 18-Jähriger drehte er für das frühere Virgin Racing einige Runden in Abu Dhabi. Dass Wehrlein seit 2014 im F1-Simulator testet und fest zum F1-Team gehört, dürfte am Ende den größten Erfahrungs-Unterschied zwischen beiden Fahrern ausmachen.

Beide sind schon F1 gefahren, Wehrlein aber auf viel höherem Niveau. Ein entscheidener Vorteil im Teamduell. // Wehrlein - Haryanto: 3 - 1

Wehrlein hat mehr als 3.000 Test-Kilometer in der F1 auf dem Buckel, Foto: Mercedes-Benz
Wehrlein hat mehr als 3.000 Test-Kilometer in der F1 auf dem Buckel, Foto: Mercedes-Benz

4. - Die Unterstützung

Haryanto schaffte es vor allem mit einer ganzen Nation im Rücken in die Formel 1. Die staatliche Erdölgesellschaft Pertamina sowie das indonesische Sportministerium machten eine zweistellige Millionensumme für das Manor-Cockpit locker. Wohin staatliche Finanzierung führen kann, hat in den vergangenen Jahren Pastor Maldonado gezeigt... Im Vierradsport ist Indonesien ein völlig unbeschriebenes Blatt, aber der Motorradsport boomt dort. Präsentiert sich Haryanto gut und öffentlichkeitswirksam, könnte seine Unterstützung gesichert sein.

Wehrlein hat es sicherlich nicht wegen Sponsoren in die Formel 1 geschafft. Seine Trumpfkarte ist Mercedes und vor allem Förderer Toto Wolff, der große Stücke auf den jungen Deutschen hält. Solange der Mercedes-Motorsportchef an Wehrleins Fähigkeiten glaubt, dürfte sein Cockpit sicher sein.

Der frühere Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug dazu im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com: "Pascal Wehrlein kann im Idealfall ein viel besseres Investment für sein Manor-Team sein als ein sogenannter Paydriver, der zunächst wesentlich mehr Millionen Sponsorgeld ins Team bringt. Sollte Wehrlein einen oder gar mehr WM-Punkte machen, die für den Paydriver - wenn auch nur geringfügig langsamer - nicht erreichbar sind, können diese Punkte zweistellige Millionenbeträge wert sein."

Wehrlein genießt das wertvolle Mercedes-Backup. Haryanto kann mit guten Leistungen aber langfristig zum Aushängeschild Indonesiens werden. Oder schnell wieder in der Versenkung verschwinden. // Wehrlein - Haryanto: 4 - 2

Toto Wolff ist bekennender Fan von Youngster Wehrlein, Foto: Mercedes-Benz
Toto Wolff ist bekennender Fan von Youngster Wehrlein, Foto: Mercedes-Benz

5. - Die Perspektive

Sieht bei Wehrlein besser aus, keine Frage. Er gilt als Top-Talent und hat bislang abgeliefert. Etwas voreilig wurde er sogar schon als künftiger Nachfolger von Nico Rosberg oder Lewis Hamilton gehandelt. Das ist sicherlich eine Möglichkeit, doch er wäre gut beraten, sich jetzt erst einmal voll auf Manor zu fokussieren und die die dortigen Abläufe so schnell wie möglich kennenzulernen. Je besser er sich in seinem F1-Lehrjahr präsentiert, desto besser stehen die Aufstiegschancen.

Haryanto ist sicherlich kein untalentierter Fahrer. Der Überflieger ist er aber auch nicht, dafür sprechen vier Jahre in der GP2 mit größtenteils mäßigem Erfolg. Die Siege im Jahr 2015 sprechen sicherlich für ihn - ein Rennen muss erst einmal gewonnen werden. Wer das im vierten Jahr jedoch nicht schafft, ist für die Formel 1 einfach nicht geeignet. Haryanto war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um in die F1 aufzusteigen. Es macht aber den Eindruck, dass sein Schicksal stark von den Launen der indonesischen Geldgeber abhängt.

Manor, Force India, Mercedes? Das wäre wohl die optimale Leiter für Wehrlein. Unmöglich ist sie jedenfalls nicht. Bei Haryanto ist die Perspektive ungewiss // Wehrlein - Haryanto: 5 - 2

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Selbst wenn man die deutsche Brille abnimmt, deutet alles auf Pascal Wehrlein als Sieger des Manor-Teamduells hin. Zu stark waren die Leistungen seiner bisherigen Karriere. Auch im Simulator soll er sich laut Toto Wolff hervorragend präsentiert haben. Aber: Wehrlein war jetzt drei Jahre lang das Rennfahren im DTM-Auto gewöhnt. Wie lange braucht er für den gedanklichen Umstieg ins Formelauto? Gerade zu Beginn der Saison könnte Haryanto dank seiner Formelerfahrung das eine oder andere Teamduell für sich entscheiden. (Robert Seiwert)