Als Mercedes-Benz Motorsportchef haben Sie Pascal Wehrlein in der DTM ganz knapp verpasst. Aber Wehrlein war schon vor seinem DTM-Einstieg eng mit Mercedes-Benz und somit auch mit Ihnen verbunden. Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt mit ihm und wie erinnern Sie sich an die gemeinsame Zeit zurück?
Norbert Haug: Pascal Wehrlein fuhr 2012 als einer unserer geförderten Junioren im Formel-3-Team von Peter Mücke und machte seine Sache auffallend gut. Ende des Jahres trafen wir nach Testfahrten die Entscheidung, Pascal in unseren DTM-Fahrerkader zu befördern, was in der Saison 2013 umgesetzt wurde. Seither hat er sich bei Mercedes nachdrücklich für den weiteren Aufstieg profiliert, zuletzt mit seinem DTM-Titel 2015, aber ganz sicher auch durch seine Arbeit als dritter Fahrer im Silberpfeil-Formel-1-Team, wo ihn Toto Wolff neben der DTM verpflichtet hatte.

2015 hat er sich in der DTM gegen äußerst erfahrene Piloten durchgesetzt und hatte zudem großen Druck, weil sich das Mercedes DTM-Team auf ihn fokussiert hat. War das die beste nur denkbare Schule?
Norbert Haug: Ganz sicher. Pascal Wehrlein wurde ins tiefe Wasser geschmissen und schwamm sofort wie ein Fisch, mit einer Schlagzahl, die zeigte, dass ganz Besonderes in ihm steckt. Ganz so, wie das die auffallend sehr Guten stets gemacht haben.

Halten Sie ihn mit 21 Jahren für reif genug für die Formel 1?
Norbert Haug: Absolut. Aber reif zu sein heißt nicht, mit dem Lernen aufhören zu können. Wer in diesem Metier ausgelernt hat, wird alsbald auch ausgemustert.

Ehemalige Formel-1-Piloten tun sich in der DTM erfahrungsgemäß schwer. Wie erwarten Sie, dass Wehrlein den umgekehrten Weg meistern wird?
Norbert Haug: Mika Häkkinen hat sich in der DTM nicht schwer getan, er war Formel-1-Weltmeister und einer der Besten in der DTM-insgesamt, und nicht nur bei Mercedes - auch nach über drei Jahren Pause nach der Formel 1.Mika gewann bereits bei seinem dritten Start in Spa und schlug dabei Mattias Ekström, der nicht als Bummler hinter dem Lenkrad bekannt geworden ist. Jean Alesi gewann bei uns auch bereits bei seinem dritten DTM-Start und bei einigen mehr.

Es gibt also durchaus Beispiele von Formel 1-Fahrern, die sich in der DTM profilierten. Dass ein Formel-1-Fahrer, der in die DTM kommt, mehr Beachtung findet, war für uns ein stets beabsichtigter Effekt - unauffällig verlieren geht da nicht und das ist auch gut so.

Pascal traue ich zu, dass er alles aus dem Manor holt, was in diesem steckt, und gelegentlich vielleicht auch mehr. Geben sie ihm ein Auto, das 18.werden kann, ist Platz 17 sein Ziel, ist das Auto fähig für Rang zehn, kann Pascal Achter oder Neunter werden.

Haug: Wehrlein kann gutes Investment für Manor sein

Was zeichnet Pascal Wehrlein aus, dass er den Sprung in die Formel 1 geschafft hat? Auch ohne ganz dicken Geldbeutel…
Norbert Haug: Pascal Wehrlein kann im Idealfall ein viel besseres Investment für sein Manor-Team sein als ein sogenannter Paydriver, der zunächst wesentlich mehr Millionen Sponsorgeld ins Team bringt. Sollte Wehrlein einen oder gar mehr WM-Punkte machen, die für den Paydriver - wenn auch nur geringfügig langsamer - nicht erreichbar sind, können diese Punkte zweistellige Millionenbeträge wert sein. Die Mercedes-Teamleitung hat das sehr clever gelöst: Wehrlein sammelt Erfahrung und Rennkilometer ohne den allergrößten Druck und kann bei Bedarf und Nachweis seiner Fähigkeiten weiter befördert werden.

Wird Pascal Wehrlein zur Gefahr für Nico Rosberg und Lewis Hamilton?, Foto: Mercedes AMG
Wird Pascal Wehrlein zur Gefahr für Nico Rosberg und Lewis Hamilton?, Foto: Mercedes AMG

Sie sagen es: Manor soll für Wehrlein die Ausbildungsstätte sein. Sie kennen Nico Rosberg und Lewis Hamilton sehr gut. Kann er für Rosberg oder Hamilton zur Gefahr werden?
Norbert Haug: Gefahr ist der falsche Begriff. Aber eine solche Förderung passiert nicht, um in erster Linie dem Fahrer einen Gefallen zu tun. Konkurrenz belebt überall das Geschäft, aber ganz besonders in der Formel 1.

Würde die Silberpfeil-Teamleitung Pascal Wehrlein nicht zutrauen, Potential für einen Platz im Werksteam zu entwickeln, wäre er nicht seit zwei Jahren dritter Fahrer und als DTM-Meister zu Manor in die Formel 1 befördert worden. Daraus jetzt zu schließen, dass alsbald einer der beiden Stammfahrer durch Wehrlein abgelöst wird, ist allerdings falsch.

Manor bekommt 2016 Motoren von Mercedes, Chassis-Teile von Williams und hat jetzt auch noch einen starken Fahrer. Was ist von dieser Kombination zu erwarten?
Norbert Haug: Viel mehr als bisher. Es gibt dort fähige Leute mit viel Rennerfahrung. Wenn die Finanzierung stimmt und Pascal einen wettbewerbsfähigen Teamkollegen bekommt, der ihn fordert, kann es bei Manor durchaus vorwärts gehen.

Was bedeutet es für die DTM, den Champion zu verlieren? Ist es schade, dass ausgerechnet der Meister nicht mehr dabei ist, oder zeichnet es die DTM als hervorragende Serie aus?
Norbert Haug: Beides. Schade, dass Pascal weg ist und gut, dass die DTM ein Sprungbrett in die Formel 1 für große Talente ist.