Die Formel 1 steht seit der Einführung der aktuellen Regeln im Jahr 2014 unter Dauerbeschuss. Fans klagen über die mangelnde Soundkulisse der neuen Power Units und die zu langsamen Rundenzeiten, kleinere Teams über die Komplexität und die Kosten des neuen Antriebs. Die Motorenhersteller halten den Kritikern entgegen, die neuen Regeln wären nötig gewesen, um die Formel 1 wieder zum Vorreiter in Sachen Technologie zu machen. Doch ist die Formel 1 heute wirklich mehr Technologievorreiter als zuvor? Oder ist die neue Technik nur für die Marketing-Abteilungen der großen Konzerne interessant? "Ich kann sagen ja, es findet ein Technologietransfer statt - speziell mit den neuen Regeln", sagt Dr. Thomas Weber, seines Zeichens Daimler-Vorstandsmitglied und Verantwortlicher für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung.

Bis 2013 fuhr die Formel 1 mit 2,4-Liter V8-Motoren. Die Motoren waren seit 2006 im Einsatz, 2009 wurde ihnen noch ein kinetisches Energierückgewinnungssystem implantiert. Das Problem am Verbrennungsmotor: Technologische Quantensprünge gibt es quasi nicht mehr. Den Ottomotor gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert. Trotz zahlreicher Innovationen ist das Grundprinzip immer gleich geblieben. Und so wurde der Ottomotor von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter perfektioniert. Wobei perfektioniert ein irreführender Begriff ist, da der Wirkungsgrad auch heute noch ziemlich bescheiden ist - trotz pneumatischer Ventilsteuerung, Direkteinspritzung und derartiger Innovationen. Deshalb geht der Trend dazu, nicht mehr nur den Motor an sich weiter zu verfeinern - sondern auch das, was um den Motor herum passiert.

Der V8-Motor war ausgereizt, Foto: Mercedes-Benz
Der V8-Motor war ausgereizt, Foto: Mercedes-Benz

Wie kann noch mehr Effizienz gewonnen werden?

In der Formel 1 wird das ganze Power Unit genannt. Die Power Unit besteht aus dem herkömmlichen Verbrennungsmotor, einem Turbolader, zwei Energierückgewinnungssystemen, der dazugehörigen Batterie und den Steuergeräten. Ziel ist es immer, die Motoren effizienter zu machen. Die Energie, die in chemischer Form als Kraftstoff reinkommt, soll mit möglichst wenigen Verlusten am Ende als Bewegungsenergie herauskommen. Bei den Serienautos wird das längst mit Downsizing versucht. "Man macht einen Verbrennungsmotor effizienter, indem man ihn verkleinert", erklärt Andy Cowell, der Geschäftsführer der Mercedes-Motorenschmiede Mercedes AMG High Performance Powertrains. "Man nimmt Zylinder weg und schraubt die Drehzahlen herunter. Aber das schafft nicht viel Power. Dann packt man einen Turbolader hinzu, um mehr Sauerstoff hineinzubekommen, damit die Power zurückkommt."

Cowell erklärt das Problem dabei: "Das führt dazu, dass man sehr kleine Motoren mit sehr großen Turboladern bekommt. Das resultiert in einer Verzögerung bei der Leistungsabgabe." Das altbekannte Turboloch. Im Straßenverkehr wird versucht, die Fahrbarkeit mit mehreren unterschiedlich großen Turboladern zu umgehen. Irgendwann gelangt man aber auch hier an die Grenzen. Ein Hybrid-Fahrzeug ist eine andere Möglichkeit. Die elektrische Power wird auf die Antriebsachse geschaltet, wenn das Auto beschleunigen soll. "Oder man packt einen Elektromotor auf den Turbolader", so Cowell. Kombiniert man ein herkömmliches Hybrid-System mit dem elektrisch angetriebenen Turbolader, hat man im Wesentlichen eine Power Unit - wie in der Formel 1.

Straßenmodelle profitieren von der F1-Technologie, Foto: Sutton
Straßenmodelle profitieren von der F1-Technologie, Foto: Sutton

Einführung der Hybrid-Motoren steigert Relevanz für die Serie

"Das ist Straßen-relevant", freut sich der Brite. "Wir haben sehr große MGU-Hs, die unsere Truck-großen Turbolader antreiben. In der Welt der Straßenautos brauchen wir diese viele Leistung nicht. Das Prinzip der Power Unit wird aber exakt gleich sein." In Zusammenarbeit mit AMG wird in Brixworth bereits an der Serienreife gearbeitet. "Wir brauchen diese Technologie, um Emissionsgrenzwerte einzuhalten", erklärt Dr. Weber. "Bei den Hybrid-Motoren ist derzeit das einzige Problem, dass sie zu kostspielig für das Straßenbusiness sind", so Weber zu Motorsport-Magazin.com.

Während in der Langstreckenweltmeisterschaf verschiedenste Motorenkonzepte gefahren werden dürfen, ist das Reglement der Formel 1 restriktiv und erlaubt kaum konzeptionelle Freiheiten. Die Übernahme der Technologe in die Serie gibt der Formel 1 aber Recht. Denn dort entscheidet am Ende das beste Gesamtpaket, wie Weber weiß: "Der Verbrauch ist das eine Thema, das wegen der Regeln nötig ist, aber am Ende werden die Kunden nicht nur anhand des Benzinverbrauchs urteilen. Sie werden danach urteilen, wie perfekt das Fahrverhalten des Autos ist und wie geschmeidig sie fahren können, wenn sie wollen."

Auch die Weiterentwicklung des Benzins steht nicht still, Foto: Sutton
Auch die Weiterentwicklung des Benzins steht nicht still, Foto: Sutton

Mineralölkonzerne an der Entwicklung mit beteiligt

Nicht nur bei der Power Unit selbst gibt es seit dem neuen Reglement Quantensprünge. Auch beim Benzin herrscht kein Stillstand mehr. Die Rezepturen für den Treibstoff der Power Units unterscheiden sich stark von jenen der V8-Saugmotoren. "Es gibt einen Unterschied, den wir ursprünglich nicht erwartet hatten", gesteht Chan Ming Yau, der bei Mercedes-Partner Petronas für das Benzin verantwortlich ist. Die Mineralölkonzerne sind längst mehr als nur ein Aufkleber auf dem Seitenkasten - sie sind heute Technologiepartner. Der halbstaatliche brasilianische Mineralölgigant Petrobras will genau das sein - ein reines Sponsoring erlauben die Auflagen des Konzerns gar nicht. Doch Williams fährt aktuell noch mit Benzin des malaysischen Konzerns Petronas, der seit Beginn des Power-Unit-Zeitalters eng mit Mercedes zusammenarbeitet. "Wir werden es einsetzen, wenn es bereit für einen Einsatz ist. Noch ist es nicht soweit", sagte Williams Technikdirektor Pat Symonds vor der Saison. Das zeigt, welch entscheidender Faktor das Benzin inzwischen ist.

Auch hier könnten die Chemiker noch deutlich mehr Leistung herauskitzeln, das Reglement schränkt aber erneut ein. "Momentan entsprechen die Regularien den europäischen Richtlinien für Euro-5- und Euro-6-Typen. Die Zusammensetzung von Formel-1- und Straßenfahrzeug-Benzin ist ziemlich ähnlich", sagt Chan Ming Yau. "Tatsächlich sind es die gleichen Inhaltsstoffe, es sind nur unterschiedliche Proportionen. Aus diesem Blickwinkel ist das gut. Aus einer Performance-Perspektive wäre bessere Performance möglich, wenn wir flexibler wären. Wichtig ist hier einfach, dass man es auch auf die Straße übertragen kann." Doch ist das alles Zukunftsmusik, die vielleicht erst in zehn Jahren für die Straße relevant sein wird? Dr. Weber verneint: "Manchmal sind wir mit der Serienentwicklung wirklich nah an der Formel 1 dran, wenn wir uns die Antriebseinheit ansehen. In manchen Bereichen ist die Formel 1 vielleicht ein bis zwei Jahre, in anderen vielleicht fünf Jahre voraus." Webers Prognose: "In Zukunft wird dieses Delta kleiner werden."

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