Saisonziel erreicht? Bei Mercedes stimmt hier nur eine Kleinigkeit nicht: das Fragezeichen. Immerhin gelingt den Doppelweltmeistern der Vorsaison im Jahr 2015 das schier Unmögliche: Mercedes verbessert die herausragenden Rekorde der F1-Saison 2014 noch einmal. Zwölf Doppelsiege springen für den neuen und alten Weltmeister Lewis Hamilton und den neuen und alten Vize-Weltmeister Nico Rosberg heraus - neuer Bestwert in der Formel 1. Insgesamt fahren der Brite und der Deutsche 16 Siege in 19 Rennen ein, egalisieren damit ihre eigene Bestmarke aus dem Vorjahr. Noch dazu gelingt es, bis auf eine Ausnahme, an jedem Wochenende die Pole Position zu erobern.

Dass Mercedes infolgedessen beide WM-Titel vorzeitig verteidigt und in der Fahrerwertung - trotz heftiger Gegenwehr durch Sebastian Vettel - am Ende gleich beide Spitzenposition einnimmt, überrascht angesichts dieser Werte kaum. Viel erstaunlicher ist die Punkteausbeute. Mit 703 WM-Zählern übertreffen die Silberpfeile ihr Ergebnis aus 2014 um zwei Punkte - obwohl die Zähler beim Saisonfinale in Abu Dhabi diesmal nicht verdoppelt werden.

Mercedes: Tops & Flops 2015

Die Tops

  • Vorzeitige Verteidigung beider Titel
  • Neuer F1-Punkterekord (703)
  • Neuer F1-Doppelsiegrekord (12)
  • Hamilton gewinnt Fastest Lap Trophy

Die Flops

  • Ungarn: Kein Podium trotz doppelter Zielankunft
  • Singapur: Plötzlich völlig chancenlos gegen Ferrari
  • Italien/Russland: Rosberg erwischt Defekt-Plage
  • Rosberg/Hamilton-Psychospielchen am Saisonende

Das Auto: Mercedes F1 W06 Hybrid

Wunderauto 2.0. Über den Winter macht Mercedes aus dem F1 W05 Hybrid den F1 W06 Hybrid und baut damit die nächste super dominante Maschine. Warum? Der Bolide verfügt erneut über die klar beste Power Unit aller vier Hersteller - auch wenn Niki Lauda behauptet, hier sei Ferrari im Saisonverlauf auf Augenhöhe gelangt. Doch selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte bleibt noch das Chassis der Silberpfeile - eine Klasse für sich und damit Erfolgsfaktor zwei. Die einzige Schwachstelle: Muss der Mercedes einem Konkurrenten hinterher fahren, versagt die brillant ausgeklügelte Aerodynamik. Allerdings tritt dieses Szenario selten ein - vor allem dank eines speziellen Quali-Modus' für die Power Unit, welche Mercedes lange einen unschlagbaren Vorteil bringt - bis Ferrari das System kopiert.

In Jerez zeigt Mercedes den neuen W06 Hybrid zum ersten Mal, Foto: Sutton
In Jerez zeigt Mercedes den neuen W06 Hybrid zum ersten Mal, Foto: Sutton

Eigentlich hatte Mercedes bei der Entwicklung ohnehin vor allem auf Zuverlässigkeit gesetzt. Eine Ambition, die nach nur drei Ausfällen bei 38 möglichen Zielankünften als erfüllt gelten darf. Dass bei Nico Rosberg in Italien eine Aggregat in Rauch aufgeht, versetzt das Team zwar in helle Aufregung und sorgt für noch mehr Qualitätschecks. Doch sind die Folgen marginal. Während McLaren wegen Defekten an der Power Unit von Honda astronomische Strafen in Serie kassiert, muss Rosberg beim Saisonfinale nur einen älteren Motor einsetzten. Zum Siegen reicht das immer noch.

In Austin macht Hamilton seinen dritten WM-Titel perfekt, Foto: Sutton
In Austin macht Hamilton seinen dritten WM-Titel perfekt, Foto: Sutton

Die Fahrer: Lewis Hamilton

Hinter Lewis Hamilton liegt eine extrem starke Saison. Zum dritten Mal krönt sich der Brite zum Weltmeister in der Formel 1. Ein rechtmäßiger und würdiger Champion - daran besteht kein Zweifel. Immerhin steht der Titel bereits nach dem viertletzten Saisonrennen rechnerisch fest. Die wichtigste Grundlage seines Erfolgs: Hamilton hat es geschafft, seine größte Schwäche des Vorjahres nicht nur abzulegen, sondern gleich in eine Stärke zu verwandeln. Im Qualifying dominiert 2015 plötzlich nicht länger Rosberg. Elf der ersten zwölf Poles der Saison schnappt sich Hamilton. Ein unschlagbarer Vorteil - gerade, weil der Mercedes vorneweg eine Klasse für sich, im Hinterherfahren jedoch suboptimal funktioniert (siehe oben).

Verstärkt wird dieser Effekt durch die übliche Kompromisslosigkeit Hamiltons. Furcht- und respektlos geht der Brite in die Rennen, sorgt so mit teilweise grenzwertiger Härte in Kurve eins für Vorentscheidungen im teaminternen Duell gegen Rosberg. Fehlerlos und mit seiner überragenden Speed gesegnet fährt Hamilton die Rennen daraufhin einfach nach Hause.

In Japan drängt Hamilton Rosberg weit nach Außen, Foto: Sutton
In Japan drängt Hamilton Rosberg weit nach Außen, Foto: Sutton

Doch das Jahr des Weltmeisters ist nicht vollkommen makellos. Im letzten Saisondrittel baut die schier außerirdische Erfolgsbilanz des Briten ab - offenbar eine Mischung mehrerer Faktoren. So findet Rosberg zurück zur Bestform, holt sich zum Saisonende sechs Poles und drei Siege am Stück. Noch dazu stürzt sich Hamilton nach Gewinn des Titels noch tiefer ins sein exzessives Privat- und Partyleben. In Erinnerung bleibt aber insbesondere Hamiltons Kritik an einer Setup-Änderung. Seit Singapur habe sich das Auto nicht unbedingt zum Besten entwickelt. Doch auf dem Papier ist der W06 Mercedes zufolge klar schneller. Dass Hamilton nicht einfach weiter die alte Variante nutzt, sondern vielmehr schlicht nicht so gut mit der neuen arbeitet wie Rosberg, spricht für die Darstellung des Teams.

Die Fahrer: Nico Rosberg

2015 ist einfach nicht sein Jahr. Lange scheint Nico Rosberg es nicht zu schaffen, das gewisse Etwas zu finden, das es braucht, um Lewis Hamilton zu schlagen. Verloren - so vermuten etliche Beobachter - hat Rosberg es nach dem Belgien GP 2015, Schauplatz des berüchtigten Silberpfeil-Crashs. Seitdem fehlt es dem Deutschen schlicht an der nötigen letzten Aggressivität. Auch mal gegen den Teamkollegen Reinhalten, sich nicht alles gefallen lassen. Das alles geht Rosberg auch 2015 noch viel zu lang ab. Erst als es zu spät ist, wacht Rosberg auf. Nach dem Titelgewinn Hamiltons in den USA ist Rosberg wie ausgetauscht. Plötzlich ist er der schnellere Mercedes-Mann. Deutlich. Rosberg gewinnt die letzten drei Rennen der Saison mehr oder weniger klar vor Hamilton.

In Monza verabschiedet sich Rosbergs Motor, Foto: Sutton
In Monza verabschiedet sich Rosbergs Motor, Foto: Sutton

Doch wäre es falsch, Rosberg auf Spätstarteritis zu reduzieren. So straft den Deutschen 2015 das Pech klar heftiger als seinen Teamkollegen. Während Hamilton nur in Singapur ausfällt, wo Mercedes Ferrari und Red Bull ohnehin unterlegen ist - entsprechend keine Big Points drin sind -, bringt die Technik Rosberg gleich zweimal um eine fette Ausbeute: in Italien um ein Podium, in Russland um den Sieg. Allerdings fällt die Titelentscheidung schließlich durch einen Rosberg-Fahrfehler in Austin.

Lewis Hamilton Nico Rosberg
Punkte 381 322
WM-Position 1 2
Quali-Duell 12 7
Durchschnittliche Startposition 1,6 (ohne Strafen)
1,6 (mit Strafen)
2,1 (ohne Strafen)
2,1 (mit Strafen)

Statistik: Mercedes in Zahlen 2015

  • 3 Ausfälle
  • 12 Doppelsiege
  • 13 schnellste Rennrunden
  • 16 Siege
  • 18 Pole Positions
  • 32 Podien (von 38 möglichen)
  • 703 WM-Punkte (2 mehr als 2014 mit doppelten WM-Punkten beim Finale)
  • 936 Führungsrunden

Der Ausblick: Mercedes in der F1-Saison 2016

Der technische Vorsprung der Silberpfeile schmilzt. Schon in der vergangenen Saison treibt Ferrari Mercedes trotz aller Dominanz in den Ergebnislisten zum Äußersten. Im Schongang sind Erfolge und Fortschritt nicht zu erzielen, berichtet Mercedes selbst. Dafür ist der rote Widersacher zu sehr erstarkt. Alles in allem ein in der Formel 1 absolut üblicher Prozess. In Zeiten eines weitestgehend konstanten Reglements sind neue Quantensprünge kaum möglich, entsprechend rückt das Feld Jahr für Jahr enger zusammen. 2016 sollte Ferrari als ein noch stärkerer Gegner werden als zuletzt. Dennoch bleibt Mercedes Favorit.

Ob also alle guten Dinge drei sein werden was Mercedes in 2016 betrifft? In puncto WM gut möglich. In puncto Dominanz-Rekorde zweifelhaft.