Die Formel 1 ist seit ihrem Gründungsjahr 1950 eine Technikschlacht. Wer meint, heute stehe in der Formel 1 Technik über allem, der vergisst, dass es in der Vergangenheit nicht viel anders war. Wo die Piloten auf der Strecke um jeden Zentimeter kämpfen, kämpfen die Ingenieure in den Fabriken um jeden Mikrometer Metall, um jedes Zehntel Pünktchen Abtrieb.

Wer glaubt, in den inzwischen klinisch reinen Fabriken geht es sauberer zu als auf der Strecke, der irrt. Auch Ingenieure und Vorstandsmitglieder versuchen, sich mit allen Mitteln Vorteile zu erarbeiten - ob legal oder illegal ist einigen dabei egal. Mit Benjamin Hoyle von Mercedes AMG High Performance Powertrains ist nun ein weiterer Fall von - zumindest versuchter - Spionage an die Öffentlichkeit gelangt.

Es ist nicht das erste Mal im modernen Formel-1-Zeitalter, dass Spionage bekannt wird. Was nicht heißt, dass früher nicht kopiert wurde. Nur waren früher Fahrzeuge bei weitem nicht so komplex, Wissen konnte mit dem Abwerben einzelner Personen angeeignet werde. Dazu waren tausende Seiten geheimer Unterlagen oder Programme gar nicht nötig. Dennoch, zwei Spionage-Affären haben in der Formel 1 nachhaltig ihre Spuren hinterlassen.

McLaren vs. Ferrari: Die 100-Millionen-Strafe

Die spektakulärste Spionage-Affäre flog 2007 auf. Mittendrin nicht nur Ingenieure und Teammitglieder, sondern auch Fernando Alonso und Ron Dennis. Doch von vorne: Im April 2007 erhielt McLarens Chefdesigner Mike Coughlan geheime Ferrari-Dokumente von Ferraris Teamkoordinator Nigel Stepney. Insgesamt sollen es 800 Seiten gewesen sein. Coughlans Ehefrau wurde auffällig, weil sie in einem Copyshop Kopien der Unterlagen anfertigte.

Vor dem Monaco GP 2007 wird ein Zwischenfall in der Ferrari-Garage bekannt. Stepney soll versucht haben, mit weißem Pulver den Tank von Felipe Massas Fahrzeug zu sabotieren. Was es mit der Sabotage genau auf sich hat, wird nie endgültig geklärt. Stattdessen werden die Spionagevorwürfe publik. Im Juni und Juli geht es rund: Die Häuser von Stepney und Coughlan werden durchsucht, beide werden von ihren Teams entlassen.

Ferrari geht nun nicht mehr ausschließlich gegen Stepney vor, sondern auch gegen McLaren. Die FIA schaltet sich ein, ermittelt in der Spionage-Affäre. Das World Motorsport Council beruft eine außerordentliche Versammlung ein, um McLaren-Vertreter zu verhören. Im Urteil wird McLaren zwar schuldig gesprochen, jedoch nicht bestraft. Beweise gegen Stepney und Coughlan liegen zwar vor, nicht jedoch gegen McLaren.

Beim Ungarn GP 2007 kommt es zum Zerwürfnis zwischen Ron Dennis und Fernando Alonso. Weil der Star-Pilot keinen Nummer-Eins-Status erhält, liefert er McLaren an die FIA aus. Der Automobilweltverband öffnet den Fall daraufhin erneut und belegt McLaren mit der Rekordstrafe von 100 Millionen US-Dollar und mit dem Abzug sämtlicher Weltmeisterschaftspunkte in der Konstrukteurswertung der Saison 2007.

Später wird auch noch Renault in den Spionagefall verwickelt, weil der ehemalige McLaren-Mitarbeiter Philip Mackereth bei seinem Wechsel zu Renault geheime Daten mitgenommen haben soll. Die zweite Spionagegeschichte jenes Jahres beginnt im September, als Renault McLaren und die FIA darüber informiert, dass Mackereth bei seinem Arbeitsbeginn McLaren-Informationen mitgebracht hat.

Renault kann die FIA jedoch davon überzeugen, dass diese Informationen nicht für den Bau des R27 verwendet wurden - etwas, das McLaren im eigenen Spionagefall nicht gelang. Das WMSC kann zwar einen Regelbruch erkennen, spricht aber keine Strafe aus, da es keine Beweise gibt, dass die Weltmeisterschaft beeinflusst wurde.

Köln vs. Maranello

Schon 2003 gab es in der Formel 1 einen spektakulären Spionagefall. Im Mittelpunkt stand Toyota: Im ersten Formel-1-Jahr reicht es für Toyota trotz Mega-Budgets nur für Konstrukteursrang zehn. In Köln läuten die Alarmglocken, Ingenieure von Ferrari werden abgeworben. Und wohl nicht nur die Ingenieure: Zwei Ferrari-Mitarbeiter sollen auch Software aus Maranello mit nach Köln zu Toyota gebracht haben. Beim Start des Programms soll angeblich sogar das Ferrari-Wappen auf dem Bildschirm erscheinen.

Im Oktober 2003 gibt es eine Razzia in Köln. Der Vorwurf: Industriespionage. Der ehemalige Ferrari-Mann Angelo Santini soll längst nicht mehr alleine mit Ferrari-Software sein Unwesen bei Toyota treiben. Auch Chefdesigner Gustav Brunner und Aerodynamik-Chef Rene Hilhorst sind eingeweiht. Brunner wird von Toyota entlassen. Die Japaner stellen Brunner als nicht mehr zeitgemäß hin, der Österreicher kämpft gegen diese Vorwürfe. Doch den wohl wahren Grund der Entlassung, Brunners Mitwisserschaft im Spionageskandal, will niemand nennen.

Wie in den Fällen rund um McLaren, Renault und Toyota dreht es sich nun auch bei Benjamin Hoyle darum, ob der Mercedes-Mann Einzeltäter ist, oder Ferrari in die Affäre involviert ist. Handelt es sich nur um Hoyle, ist die Geschichte relativ harmlos. Ein Mercedes-Sprecher stellte gegenüber Motorsport-Magazin.com bereits klar, dass sich die in die Wege geleiteten Mittel nur gegen Hoyle, nicht gegen ein Team oder eine Organisation richten. Auch Ferrari bestreitet eine Verbindung vehement.