Würden Sie persönlich die Saison 2015 als Ihre bisher schwierigste bezeichnen?
Dr. Helmut Marko: Ja, ganz sicher. Aus dem einfachen Grund, weil wir mit wesentlich höheren Erwartungen in die Saison gegangen sind und dann die Schwierigkeiten, die ja bekannt sind, in einem derartigen Ausmaß über uns hereingebrochen sind und wir überhaupt keine Weiterentwicklung im Power-Sektor hatten. Die Moral und das Engagement des Teams aufrechtzuhalten, war wirklich schwierig. Aber es ist uns gelungen und dort, wo der Motor nicht ganz entscheidend ist, haben wir ja halbwegs gute Resultate eingefahren.

Stimmen sie darin zu, dass auch das Chassis am Anfang der Saison noch nicht ganz auf der Höhe war?
Dr. Helmut Marko: Das Chassis war sicher nicht ganz dort, vor allem Ricciardo hatte Probleme. Er fühlte sich in dem Auto eigentlich nicht wohl, für ihn ging es erst ab Silverstone.

Was war für Sie der Tiefpunkt in dieser schwierigen Saison?
Dr. Helmut Marko: Da gab es leider Gottes mehrere. Es hat schon in Australien angefangen, als Kvyat gar nicht an den Start kam, und die Fahrbarkeit und Power weit unter dem lag, was uns zugesagt wurde.

Gab es auf der anderen Seite auch Lichtblicke?
Dr. Helmut Marko: Der Speed von Kvyat in Silverstone im Nassen war ermunternd. Leider ist er eine Runde zu spät hereingekommen und abgeflogen. In Ungarn hätten wir gewinnen können, da hat alles gepasst, leider gab es die Kollision mit Rosberg. In Singapur und Monaco gab es die Schwäche, dass wir keinen Qualifying-Modus haben. Aber vom Speed wären wir auch dort in der Lage gewesen, ganz vorne mitzufahren.

Marko: Auf Zusagen kann man sich nicht verlassen

Was haben Sie persönlich aus der Saison 2015 gelernt? Bernie Ecclestone hat im Interview mit uns gesagt, er hat gelernt, dass die Leute nicht an die Formel 1 denken, sondern nur an sich selbst.
Dr. Helmut Marko: Dass die sportliche Seite weit hinter dem Ego der verschiedenen Leute liegt und man sich auch auf Zusagen nicht verlassen kann. Da bin ich voll bei Ecclestone.

Also gab es auch menschliche Enttäuschungen neben den sportlichen?
Dr. Helmut Marko: Alle haben offenbar so viel Angst vor uns - und das ehrt uns -, dass keiner gewillt ist, uns einen Motor zu geben.

Würden Sie zustimmen, dass Red Bull nicht immer der einfachste Partner für Renault war?
Dr. Helmut Marko: Dem kann man insofern zustimmen, dass wir nicht mit Mittelmaß zufrieden sind und nachdem die entsprechenden Leistungen nicht gekommen sind, unseren Ärger ausgedrückt haben. Es gab Änderungen, aber die haben viel zu lange gedauert und kamen zu spät.

Würden Sie im Nachhinein manche Sachen vielleicht ein bisschen anders kommunizieren?
Dr. Helmut Marko: Sicher kann man sagen, der Ton macht die Musik, aber im Grunde war unsere Kritik berechtigt.

Hat die Kritik die Zusammenarbeit mit Renault beeinträchtigt oder eher befeuert, dass Sie gesagt haben, jetzt müssen wir wirklich Gas geben?
Dr. Helmut Marko: Ich glaube, dass ein Umdenken am Saisonende stattgefunden hat, aber leider zu spät. Man musste schon klare Worte finden, damit man bei Renault aufwacht ist. Sie hatten ja nicht wenig Budget, aber es wurde nicht richtig eingesetzt und wahrscheinlich auch nicht mit den richtigen Leuten.

Nach dem letzten Meeting der Strategy Group sollen alle an einem Strang ziehen - wurde uns gesagt. Änderungen sollen kommen, eine Mindestanzahl von Teams mit Motoren beliefert werden, die Power Units simplifiziert werden, dazu soll der Sound lauter werden - wird jetzt alles gut?
Dr. Helmut Marko: Unsere Situation hat die FOM und die FIA wachgerüttelt, weil sie gesehen haben, dass sie den Werken völlig ausgeliefert sind. Das Positive ist, dass man eingesehen hat, dass der Motor zwar ein technisches Wunderwerk ist, für die Formel 1 in dieser Form aber nicht das geeignete ist, weil die Kosten derart exorbitant hoch sind. Es war auch ein Fehler der FIA, dass man bei der Ausschreibung kein Kostenlimit und Belieferungsgebot festgelegt hat.

Sind Sie mit den angedachten Änderungen zufrieden?
Dr. Helmut Marko: Vom Ansatz her ist es der richtige Weg, ganz klar.

Sie haben gesagt, der Alternativmotor ist eine Bedingung, dass Red Bull in der Formel 1 bleibt. Jetzt sieht es so aus, als würde kein Alternativmotor kommen, ein unabhängiger Motor ist noch denkbar. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Helmut Marko: Es ist nicht Sinn und Zweck der Formel 1, zig Knöpfe zu drücken. Der Fahrer muss im Mittelpunkt stehen und nicht zehn Ingenieure, die herumtüfteln. Das und eine deutliche Kostenreduktion. Das Entscheidende ist nicht der Name, das Entscheidende ist, dass wir wieder Autos haben, die schwieriger zu fahren sind, der Motor nicht den Unterschied ausmacht, sondern Chassis und Fahrer die ausschlaggebenden Faktoren über Erfolg und Nicht-Erfolg sind.

Aber es ist ja trotzdem Motorsport. Darf der Motor gar keine Rolle spielen?
Dr. Helmut Marko: Der Motor schon, aber nicht so, dass man chancenlos ist. McLaren hat zwei Weltmeister, wir mit Ricciardo und Kvyat zwei absolute Topfahrer. Aber sie sind absolut chancenlos, man ist auf den Geraden wehrlos ausgeliefert. Von der Innovation und Ingenieurskunst her sollten es maximal zwei, drei Zehntel Unterschied sein, aber nicht Sekunden.

Wie groß war die Gefahr, dass Red Bull im nächsten Jahr tatsächlich nicht mehr am Start gestanden wäre?
Dr. Helmut Marko: Die war sehr groß, weil es kein Geheimnis ist, dass wir mit zwei Teams immense Kosten haben, die einen sehr großen Teil des Marketingbudgets auffressen. Wenn man dann chancenlos hinterherfährt und keine Änderung in Sicht ist, muss man die Sache in Frage stellen.

Kein Top-Motor, dafür Top-Fahrer

Mit seinen vier Lenkrad-Artisten ist Dr. Helmut Marko mehr als zufrieden, Foto: Sutton
Mit seinen vier Lenkrad-Artisten ist Dr. Helmut Marko mehr als zufrieden, Foto: Sutton

Themenwechsel: Sie hatten keinen guten Motor aber vier Top-Fahrer, wenn man Toro Rosso einschließt. Würden Sie sagen, es war das stärkste Fahreraufgebot der Geschichte?
Dr. Helmut Marko: Wenn man alle vier Fahrer zusammennimmt, war es sicher das stärkste Aufgebot.

Wer hat Ihnen am meisten imponiert?
Dr. Helmut Marko: Es ist unsere Philosophie, dass wir jedem seine eigene Persönlichkeit, sein eigenes Auftreten lassen. Es haben alle ihre positiven Seiten, die aber unterschiedlich sind. Herausstechend war aber sicherlich, wie schnell sich Max Verstappen zu einem unglaublichen Überholer entwickelt hat.

Sie haben gesagt, Ricciardo hat sich bis Silverstone im Auto nicht wohlgefühlt. Hatten Sie das Duell Ricciardo gegen Kvyat so erwartet?
Dr. Helmut Marko: Nein, dass Kvyat relativ schnell auf Augenhöhe ist, haben wir eigentlich nicht erwartet. Vor allem, nachdem er am Anfang wahnsinnig viele technische Probleme hatte, er kam ja kaum zum Fahren. Aber er hat das weggesteckt und sich sehr positiv entwickelt und in den letzten Rennen gezeigt, dass er absolut zu den Top-Fahrern gehört.

Marko hält große Stücke auf Max Verstappen, Foto: Sutton
Marko hält große Stücke auf Max Verstappen, Foto: Sutton

Max Verstappen war eine sehr positive Überraschung für viele im Paddock, nachdem es zuvor viel Kritik gegeben hatte, dass ein 17-Jähriger in die Formel 1 kommt. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?
Dr. Helmut Marko: Wir sind es eigentlich gewohnt, dass permanent Kritik kommt. Das absurde ist, dass einige, die am lautesten geschrien haben, jetzt fast unmoralische Angebote an Verstappen machen.

Max ist auch neben der Strecke eine herausragende Entscheidung. Was hat der junge Mann, das ihn so besonders macht? Sie kennen ihn ja doch schon etwas länger.
Dr. Helmut Marko: Ich kenne ihn seit vier oder fünf Jahren. Er kam immer wieder zu uns nach Salzburg oder zu Grands Prix und wir haben ein paar kurze Worte gewechselt. Aber das entscheidende Treffen war voriges Jahr im Frühjahr, als ich mich mit ihm länger unterhalten habe und gesehen habe, dass ein unglaublich reifer Mensch in einem sehr jungen Körper steckt. Nicht nur für den Rennsport, sondern auch seine generelle Einstellung, sein generelles Wissen, seine Reife. Das war der Grund, warum ich gesagt habe, wir gehen mit ihm gleich in die Formel 1.

Wird Verstappen vielleicht zum Problem, weil bei Red Bull kein Platz für ihn frei ist?
Dr. Helmut Marko: Für nächstes Jahr ist alles klar und vielleicht ist er bei Toro Rosso sogar besser aufgehoben. Aber wir lösen das intern schon, das ist kein Problem.

Sie haben Pierre Gasly inzwischen als Reservefahrer verpflichtet. In seiner GP2-Debütsaison konnte er nicht wirklich überzeugen.
Dr. Helmut Marko: Die Saison war enttäuschend, aber auch sein Teamkollege Alex Lynn hat nichts Besonderes gezeigt. Er ist bei uns auch im Simualtor tätig und wir werden wahrscheinlich noch so eine Saison einlegen, in der er Reservefahrer und in der GP2 tätig ist.