Besser spät als nie. Nico Rosberg blüht zum Saisonfinale auf und hat seinen mächtigen Teamkollegen Lewis Hamilton jetzt voll im Griff. Fünf Poles und zwei Siege in Folge: Rosberg zeigt, dass er sich nicht mit der Nummer 2 bei Mercedes zufriedengibt. Motorsport-Magazin.com auf der Suche nach Gründen für Rosbergs Trendwende.

Faktor 1: Der Kopf

Spielt die psychische Komponente am Ende doch die entscheidende Rolle? Während Hamilton gefühlt mit Leichtigkeit zum WM-Sieg fuhr, wirkte Rosberg mit jedem Misserfolg verkrampfter. Nachdem die Titelentscheidung in Austin gefallen war, blühte Rosberg in den Rennen auf, gewann die beiden letzten Grands Prix. "Vom Kopf her hat sich bei mir nichts verändert", pochte Rosberg. Doch was soll er auch anderes sagen? Ein Eingeständnis könnte als mentale Schwäche gedeutet werden, das würde kein Fahrer auf diesem Niveau eingestehen.

Sein Boss wurde hingegen einiges konkreter. "Plötzlich hat er den Schalter umgelegt und geht ab", sagte Niki Lauda kurz vor Rosbergs Brasilien-Sieg. "Solche Dinge passieren mit Fahrern. Manchmal kämpfst du mit dir selbst. Plötzlich ist dein Kopf dann frei, und dann geht´s ab – weil er genauso schnell ist wie Lewis. Lewis kämpft trotzdem weiter. Aber im Moment ist Nico besser." In einem solch engen Duell wie bei Mercedes sind es am Ende die Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen.

2. Sieg in Folge für Nico Rosberg beim Brasilien GP, Foto: Mercedes-Benz
2. Sieg in Folge für Nico Rosberg beim Brasilien GP, Foto: Mercedes-Benz

Faktor 2: Lewis Hamilton

Hamilton dominierte einen Großteil der Saison und besiegte Rosberg selbst in dessen Parade-Disziplin, dem Qualifying. Erst, als es zu spät war, schlug der Vize-Weltmeister zurück. Fünf Poles in den letzten fünf Rennen sind der beste Beweis, dass Rosberg mithalten kann. Doch liegt die Trendwende mehr an Rosberg, oder vielleicht doch an Hamilton? Zwar betonte der Brite auch nach Austin, noch nicht satt zu sein und weiter um Siege kämpfen zu wollen. Nicht auszuschließen aber, dass am Ende doch das letzte Quäntchen Motivation fehlte.

Der Verkehrsunfall in Monaco, zu viele Feiern – wie Hamilton selber eingestand – dazu die Reisen: In der heißen Phase des WM-Kampfs wäre das ein absolutes No-Go gewesen. "Ich habe keine Erklärung", sagte Toto Wolff am Sonntag. "Man könnte sagen, dass Lewis alles wollte und seine Ziele erreicht hat. Da ist das Adrenalin vielleicht nicht mehr so hoch wie vorher." Allerdings: Hamilton ist nun einmal ein echter Racer und wird jede Möglichkeit nutzen, seinen Teamkollegen in die Schranken zu verweisen.

Das zeigte sich auch nach dem Brasilien Grand Prix, als er sich lauthals über die Mercedes-Strategie beschwerte und mehr Freiheiten forderte. Das war ein direkter Angriff auf die Teamführung – für die er reichlich Gegenwind von Toto Wolff und Niki Lauda kassierte. Wäre ihm der Sieg egal gewesen, hätte er einfach den Mund gehalten.

Rosberg ist wieder obenauf bei Mercedes, Foto: Sutton
Rosberg ist wieder obenauf bei Mercedes, Foto: Sutton

Faktor 3: Der Austin-Zwischenfall

Niki Lauda sprach von einem Schalter, den Rosberg umgelegt hat – es könnte der US Grand Prix gewesen sein. Das Startduell zugunsten von Hamilton, Rosbergs kapitaler Fahrfehler, der Kappenwurf auf dem Weg zum Podium; in Austin kam einfach alles zusammen. Das große Thema war nicht einmal der Fahrfehler, der Rosberg den Sieg kostete. Es war vielmehr der Kampf mit Hamilton in Kurve 1. Wieder einmal hatte Rosberg das so wichtige Duell verloren, beschwerte sich anschließend über die ruppige Gangart seines Teamkollegen.

Hamilton nutzte die Situation geschickt aus, setzte verbale Spitzen gegen Rosberg. So lange, bis dieser meinte: "Ich weiß nicht, ob sich jetzt was ändert. Warten wir es ab." Beim anschließenden Rennen in Mexiko gab es sogar Wetten, ob es zwischen beiden Mercedes-Piloten in Kurve 1 kracht… Doch Rosberg behielt die Nerven und die Oberhand. Sein wohl wichtigster Erfolg gegen Hamilton nach all den Start-Rückschlägen zuvor, die ihm auch als psychische Schwäche ausgelegt worden waren.

Möglicherweise war Rosberg nach Austin noch eine Spur motivierter, weil das angekündigte Teamgespräch im Zuge des Startduells ausfiel. Nachdem Wolff zunächst Hamiltons überharte Fahrweise kritisiert hatte, ruderte er anschließend zurück. Vor dem Mexiko Grand Prix gab es lediglich Einzelgespräche – und Hamilton hatte ohnehin keinen Gesprächsbedarf, wie er deutlich machte. In Mexiko und Brasilien ließ sich Rosberg beim Start jedenfalls nicht die Butter mehr vom Brot nehmen.

"Vielleicht hat er jetzt eine etwas andere pro-aktive, dynamische Herangehensweise. Aber ich weiß es nicht", vermutete Wolff. Und weiter: "Nico entwickelt sich als Rennfahrer. All diese Zwischenfälle in Kurve 1 hatten ein ähnliches Muster, wo du dich mit dem Auto positionierst. Wenn du außen bist, musst du eben aufgeben. Das waren aber nicht nur die beiden, und das passiert in vielen Rennen."

Rosberg schlägt zurück - doch der WM-Kampf ist schon gelaufen, Foto: Sutton
Rosberg schlägt zurück - doch der WM-Kampf ist schon gelaufen, Foto: Sutton

Faktor 4: Der Mercedes F1 W06

In der Pressekonferenz nach dem Brasilien-Rennen ließ Hamilton mit einer Aussage aufhorchen. "Nach Singapur gab es eine Änderung am Auto", sagte er. "Aber ob das einen Unterschied gemacht hat, weiß ich nicht. Das müssen wir sehen. Aber es hat sich seit Singapur etwas verändert." Zwar gewann Hamilton die drei folgenden Rennen nach Singapur, doch seit diesem Grand Prix entschied Rosberg jedes Qualifying für sich. Fünf Poles in Folge, nachdem er sich zuvor lediglich ein einziges Mal im Quali durchsetzen konnte. Zufall?

Seit Singapur hat Mercedes in der Tat immer wieder Änderungen am Silberpfeil vorgenommen, einige davon mit Blick auf die Saison 2016. In Japan kamen am Heckflügel etwa neue Endplatten zum Einsatz, nachdem es zuvor Probleme gegeben hatte. In Austin gab es ein Update an der Motorenabdeckung, um sich für die Rennen in der Höhenluft von Mexiko vorzubereiten. Es dürften noch einige weitere Teile den Weg ans Auto gefunden haben, seit Mercedes in Singapur an massiven Reifenproblemen litt.

"Es gibt Höhen und Tiefen, Dinge verändern sich", sagte Rosberg nach dem Sieg in Interlagos. "Es ist eine fortschreitende Entwicklung. Das Auto wird weiterentwickelt, und da siehst du eben mal Verschiebungen." Die genauen Gründe für den Aufschwung konnte – oder wollte – Rosberg nicht genau benennen. Es ist aber durchaus möglich, dass ihm die technischen Änderungen am Silberpfeil in gewissen Bereichen wie dem Qualifying eher entgegenkamen als Hamilton.

Oder war am Ende alles nur ein Bluff von Hamilton, der nach Ausflüchten oder Erklärungen suchte? "Das ist ein schlauer Kerl", schoss Rosberg diesmal öffentlich zurück. "Der findet gute Argumente, wenn er sie braucht."

In Brasilien agierte Rosberg absolut souverän beim Start, Foto: Sutton
In Brasilien agierte Rosberg absolut souverän beim Start, Foto: Sutton

Faktor 5: Pirelli-Reifen

Neben den Veränderungen am Mercedes-Boliden gab es in Brasilien auch Vermutungen, dass Rosberg mit den Reifenänderungen besser zurechtkommt. Nach den Reifenschäden von Spa hatte Pirelli reagiert und den Reifendruck erhöht. Rosberg wies diese Annahme jedoch zurück. "Nein, das glaube ich nicht", sagte er. "Ich denke, dass ich einfach noch einmal nachgelegt habe. Das ist alles."

Eher unwahrscheinlich, dass die Pirellis der ausschlaggebende Grund für Rosbergs Rückkehr im letzten Saisondrittel waren. Dass viele Faktoren einen Einfluss haben können, wollte aber auch er selbst nicht von der Hand weisen. "Die Dinge ändern sich, das Auto ändert sich", erklärte er. "Letztes Jahr waren die Hinterreifen ganz anders. Das spielt alles mit rein und könnten Gründe sein."

Das Team steht geschlossen hinter Rosberg und Hamilton, Foto: Mercedes-Benz
Das Team steht geschlossen hinter Rosberg und Hamilton, Foto: Mercedes-Benz

Faktor 6: Das Mercedes-Team

Immer wieder sieht sich die Mercedes-Teamführung mit dem Vorwurf konfrontiert, Hamilton würde bevorteilt. Toto Wolff und Niki Lauda wiesen diese Gerüchte stets entschieden zurück und versicherten, dass der Erfolg des Teams über dem der Fahrer stehe. Der Verzicht auf Teamorder seit zwei Jahren als bester Beweis für diese Entscheidung. Mercedes lässt seine Fahrer frei gegeneinander fahren und zum Wohle des Sports ist ihnen dies hoch anzurechnen.

Eingriffe gab es immer nur, wenn der Gesamterfolg – auch genannt: Doppelsieg – gefährdet war. So auch in Brasilien, als das Team Hamilton gegen dessen Willen zum Boxenstopp reinholte, um sich gegen Verfolger Sebastian Vettel abzusichern. Die absolut richtige Entscheidung, wie sich nachher herausstellte.

Da nicht beide Fahrer Weltmeister werden können, war Wolff mit dem wiedererstarkten Rosberg zufrieden. Die Stimmung im Team als höchstes Gut, um den Erfolg langfristig zu sichern. Wolff: "Beide verdienen Rennsiege. Vielleicht ist es jetzt alles zusammengekommen. Lewis ist Weltmeister geworden und Nico Vize-Champion dank einer dominanten Performance. Nico hatte keine Hilfe, für das Team war es also ein ziemlich optimales Ergebnis."