Der Große Preis von Brasilien wird vermutlich nicht in die Formel-1-Geschichtsbücher eingehen. Die Action auf dem Autódromo José Carlos Pace hielt sich mehr als nur im überschaubaren Rahmen. Gerade an der Spitze glich das Rennen einer Prozession, es gab keine nennenswerten Attacken, von tatsächlichen Überholmanövern ganz zu schweigen. Kurzzeitig heranfahren ja, Überholen nein, lautete das Motto. Ein Dilemma, das der fragilen Technik der Königsklasse geschuldet ist.

"Man konnte sehen, dass es mit aerodynamisch effizienten Autos schwierig ist, hinterherzufahren. Du zerstörst deine Reifen mit Angriffen. Und nach paar Angriffen hast du keine Performance mehr in den Reifen", erläuterte Mercedes-Motorsportchef Toto Woff die Problematik. "Es war in den letzten Jahrzehnten immer das gleiche. Die Top-Autos fuhren vorne."

Keine Freude mit der momentanen Situation hat Sebastian Vettel, der dafür weiß, wie man Abhilfe schaffen könnte. "Um Autos dichter hinterherzufahren, brauchen wir mehr mechanischen Grip", forderte der Ferrari-Pilot nach dem Rennen. "Dazu brauchen wir bessere Reifen, um in der Lage zu sein, schneller zu fahren. Die Fahrer wollen schneller sein. Die Lösung ist simpel."

So simpel die Lösung auch sein mag, der Weg dorthin ist weit, da politische Interessen unterschiedlicher Parteien aufeinandertreffen. "Es ist gut, dass wir Pirelli die Möglichkeit geben, die Reifen zu verbessern, aber wir müssen sie fahren", kritisierte Vettel die stark eingeschränkten Testmöglichkeiten. "Wenn wir uns aber nicht einigen können, ist es schwierig, Fortschritte zu erzielen. Leider zahlen die Leute, die auf den Tribünen sitzen, dafür."

Hamilton rieb sich hinter Rosberg auf, Foto: Sutton
Hamilton rieb sich hinter Rosberg auf, Foto: Sutton

Doch nicht nur die Zuschauer auf den Tribünen waren Leidtragende des wenig aufregenden Schauspiels, sondern auch Lewis Hamilton. Der Weltmeister fuhr zwar immer wieder dicht an den Führenden Nico Rosberg heran, konnte ihn aber nie ernsthaft gefährden und muss somit weiterhin auf seinen ersten Sieg in Brasilien warten.

"Am Ende des Tages spielt es keine Rolle, was wir sagen, weil es nicht passieren wird", glaubt der Mercedes-Pilot nicht, dass sich die Dinge trotz Anregungen der Piloten zum Besseren wenden werden. "Die großen Bosse treffen die Entscheidungen - ob sie richtig oder falsch sind, ist eine andere Sache."

Eine etwas weniger negative Sicht der Dinge als sein Teamkollege vertrat hingegen Nico Rosberg, was ihm angesichts seines Sieges aber auch nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. "In der Formel 1 zu überholen, ist immer schwierig", meinte der Deutsche, der ebenfalls Reformen anregte. "Es wurde zwar DRS eingeführt, aber wir haben noch immer Arbeit vor uns."

Verstappen sorgt für Action

Überholmanöver Fehlanzeige? An der Spitze mochte dies in Brasilien vielleicht gelten, nicht aber im Mittelfeld, wo durchaus fleißig die Positionen gewechselt wurden. Vor allem Max Verstappen erwies sich diesbezüglich als besonders eifrig und setzte sich an Sergio Perez, Pastor Maldonado, Felipe Nasr und Romain Grosjean vorbei.

Besonders das Manöver gegen Perez sorgte für Staunen, überholte ihn Verstappen schließlich auf der Außenbahn des Senna-S. So wie es Kimi Räikkönen 2012 mit Michael Schumacher getan hatte. "Wenn man hinter einem Auto ist, muss man versuchen, außen vorbeizugehen, dann hat man klare Luft und kann spät bremsen", erläuterte der Teenager, wie man einen Konkurrenten stehen lässt. "Dann geht's ums richtige Gefühl. Dann muss man es einfach probieren."

Dass er einem der populärsten Piloten der Gegenwart nacheiferte, war Verstappen durchaus bewusst. "Ich habe so ein Manöver mal bei Raikönnen und Schumacher gesehen vor ein paar Jahren", erinnerte er.

Verstappen lieferte zahlreiche Überholmanöver, Foto: Sutton
Verstappen lieferte zahlreiche Überholmanöver, Foto: Sutton

Angesprochen von Motorsport-Magazin.com, ob er stolz sei, dass Verstappen seinen Stil imitiere, entgegnete Räikkönen: "Du versucht überall zu überholen, wo es möglich ist. Ich bin sicher, dass die meisten Überholmanöver und Kämpfe, die es heute gibt, schon mal so oder so ähnlich geschehen sind. Schön für ihn, dass er an den Leuten vorbeigekommen ist."

Allerdings ist Verstappen nicht so vermessen zu glauben, er sei Hamilton, Vettel und Co. überlegen, weil es ihm im Gegensatz zu ihnen gelang, Überholmanöver zu setzen. "Wenn du hinter dem gleichen Auto herfährst, ist es immer schwieriger, zu überholen. Das ist bei den Toro Rosso genauso", verstand der Niederländer Hamiltons Ärger und vermochte es, die Dinge richtig einzuordnen.

Gut möglich, dass Verstappen in absehbarer Zeit selbst in einem absoluten Spitzenauto sitzen wird und sich mit denselben Problemen wie die aktuellen Sieganwärter herumärgern muss. Die Anlagen dafür sind zweifelsfrei vorhanden, das stellte er in Brasilien einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis.