Pro: Als Weltmeister muss man Egoist sein

Die Skepsis, die Lewis Hamilton ob der Strategieänderung per Funk an die Boxencrew mitteilte, war vollkommen gerechtfertigt. Der Weltmeister ging von einer zuvor festgelegten Ein-Stopp-Strategie aus. Im Rennen bot sich für Hamilton keine Möglichkeit, an Nico Rosberg vorbei zu kommen. Dass der Deutsche zu einem unplanmäßigen Reifenwechsel an die Box beordert wurde, hätte dem Weltmeister herzlich egal sein dürfen. Und sollen. Zoff hin, Zoff her - man gewinnt keine Weltmeisterschaft, wenn man klein beigibt. Die Entscheidung, die Teamanweisung zu befolgen, kann man als weitsichtig einschätzen. Doch wäre Hamilton noch im direkten Zwei- oder Dreikampf um die Meisterschaft mit knapperen Abständen, wäre die Entscheidung ein klarer Fehler gewesen.

Weltmeister oder perfekter Schwiegersohn?, Foto: Sutton
Weltmeister oder perfekter Schwiegersohn?, Foto: Sutton

Sicherheit hin oder her: Wer kein Risiko eingeht, wird auch keine Weltmeisterschaft gewinnen. Jüngstes Beispiel hierzu war der Start zum Großen Preis der USA. Hamilton drängte in der ersten Kurve Rosberg von der Strecke. Zweifellos ein hartes Manöver, aber der Brite riskierte zugleich eine Kollision. Alles riskiert, alles gewonnen. Ein weiteres Beispiel: der Große Preis von Malaysia 2013. Hauptdarsteller: Sebastian Vettel und Mark Webber. Der Australier lag komfortabel in Führung und wurde vom Team angewiesen, auf Spritspar-Modus zu wechseln und nichts zu riskieren. Vettel preschte von hinten heran. Dem späteren Weltmeister ging die Teamorder gegen den Strich. Er überholte den völlig überrumpelten Webber auf der Start-/Zielgerade. Menschlich fragwürdig, aber unter dem Strich zählt nur eines: Vettel ist vierfacher Weltmeister, Webber ging in seiner F1-Karriere komplett leer aus.

Und überhaupt: In einer Zeit, wo der Formel 1 die Charakterköpfe allmählich abhandenkommen, hätte Hamilton mit der Missachtung der Teamanweisung ein deutliches Signal setzen können. "Mir egal, was ihr sagt. Ich sitze in der Kiste und kann am besten sagen, ob der Satz Reifen passt oder nicht", hätte sich Hamilton denken sollen. Zwar wären die Sympathien der Fans nach dem Rennen klar bei Rosberg gewesen. Doch wer wäre nicht lieber Weltmeister als der ewige perfekte Schwiegersohn?

Contra: Zu viel Eigenwille ist nicht gut

Dass ein Weltmeister seinen eigenen Willen hat, ist nicht ungewöhnlich, aber einen sicherheitsrelevanten Boxenstopp zu verweigern hätte nichts mehr mit Siegeswillen zu tun gehabt. Im Fall eines Reifenschadens am Ende des Rennens hätte es ohnehin nur böses Blut mit Pirelli gegeben, weil die Reifen ja so schlecht sind. Genau so war es bei Sebastian Vettel in Spa, jedoch mit einem großen Unterschied. Damals entschied sich das Team mit dem Fahrer für die riskante Strategie und nicht der Fahrer alleine.

Formel 1 ist Teamsport, Foto: Sutton
Formel 1 ist Teamsport, Foto: Sutton

Zudem hätte Lewis Hamilton, durch die Weigerung zum Reifenwechsel zu kommen, die Beziehung mit seinem Team geschädigt. Zwar hat der Brite den Titel aus eigener Kraft eingefahren, doch ohne das Team wäre ihm das nicht gelungen. Die Zusammenspiel ist also das, was zählt und dazu gehört auch, den Anweisungen des Teams zu folgen, sonst kann es keine erfolgreiche Zusammenarbeit geben. Vielleicht hätte er sich einmal rausreden können, doch der 30-Jährige hätte sich damit das Standbein für seinen Erfolg angesägt.

Es gibt eine feine Linie, welche Funksprüche man missachten kann und welche man befolgen sollte. In diesem Fall hat der Brite alles richtig gemacht, auch wenn er jetzt dafür kritisiert wird. Unterm Strich ist er ja auch schon Weltmeister und hat es nicht nötig, sein Team nur für eine Siegchance gegen sich aufzubringen. Er hat ja schon gesagt, dass er gerne noch sieben Jahre dort bleiben würde, um nach einigen weiteren Erfolgen dort seine Karriere zu beenden. Eine Missachtung wäre demnach auch gegen seine eigenen Interessen gegangen.