Unterschätze niemals Sebastian Vettel. Egal wie schlecht die Ausgangslage des Deutschen auch sein mag, mit dem vierfachen Weltmeister ist immer zu rechnen. Beinahe hätte sich diese Weisheit auch beim Großen Preis von Belgien bewahrheitet und Vettel wäre mit einer gewagten Strategie vom achten Startplatz bis auf das Podium gefahren, doch zwei Runden vor dem Ende des Rennens machte ihm sein rechter Hinterreifen einen Strich durch die Rechnung. Motorsport-Magazin.com lässt den Belgien GP aus der Sicht des Ferrari-Piloten Revue passieren.

Vettel stoppt nur einmal

Vettel ging nach einem fehlerhaften Qualifying nur von der achten Startposition in das erste Rennen nach der Sommerpause. Dank guter erster Kilometer gelang es ihm jedoch rasch, die vor ihm gestarteten Pastor Maldonado, Felipe Massa und Valtteri Bottas zu überholen, sodass er sich in der zweiten Runde bereits an der fünften Position befand. Dort verblieb Vettel für einige Zeit, ehe in Runde sieben zunächst sein ehemaliger Teamkollege Daniel Ricciardo stoppte, je einen Umlauf später kamen auch Sergio Perez und Romain Grosjean zum Reifenwechsel.

Vettel lag damit schon an dritter Stelle, und als auch noch der vor ihm klassierte Rosberg stoppte, war er bereits Zweiter. Selbst lief der Heppenheimer erst in Runde 14 die Boxen an, um von den weichen auf die Medium-Pneus zu wechseln. Später absolvierten nur die Manor-Piloten Will Stevens und Roberto Mehri ihren ersten Stopp. Vettel kehrte als Sechster auf die Strecke zurück und profitierte in Runde 19 davon, dass Ricciardo mit einem technischen Defekt in der Schikane vor Start und Ziel liegen blieb.

Vettel lag lange Zeit gut im Rennen, Foto: Sutton
Vettel lag lange Zeit gut im Rennen, Foto: Sutton

Damit der Red Bull des Australiers geborgen werden konnte, wurde das virtuelle Safety Car auf den Plan gerufen. Diese Phase des Rennens nutzten die vor Vettel platzierten Perez und Grosjean, um zum zweiten Mal zu stoppen, was den Ferrari-Piloten auf den dritten Rang nach vorne spülte. Als das Rennen wieder freigegeben wurde, hatte Vettel mehr als fünf Sekunden Vorsprung auf Grosjean, der nun wieder mit den schnelleren weichen Reifen unterwegs war.

Während alle anderen Spitzenpiloten also bereits zwei Mal gestoppt hatten oder dies wie im Falle der in Front liegenden Mercedes-Fahrer noch tun würden, setzte Ferrari auf eine Ein-Stopp-Strategie in dem Wissen, dass dies Vettels einzige Chance war, auf das Podium zu kommen. "Heute Mittag, exakt um 11.00 Uhr, haben wir uns dafür entschieden", verriet Teamchef Maurizio Arrivabene nach dem Rennen, dass man von Anfang an vorgehabt hatte, Vettels Reifen nur einmal zu wechseln.

Grosjean kommt näher, aber nicht vorbei

Der Plan schien zunächst aufzugehen. Nach 30 Runden hatte der Heppenheimer noch immer 4,3 Sekunden Vorsprung auf den hinter ihm fahrenden Grosjean, doch in weitere Folge gelang es dem Lotus-Piloten, sukzessiv Boden gut zu machen. In Runde 38 drückte Grosjean den Abstand zum ersten Mal unter die Marke von einer Sekunde, was es ihm erlaubte, mittels DRS den Heckflügel flachzustellen.

Trotz dieses vermeintlichen Vorteils schaffte der Franzose es aber nicht, ein Überholmanöver gegen Vettel zu lancieren - weder auf der Start- und Zielgeraden, noch auf der langen Kemmel-Geraden nach Eau Rouge. Die Ursache dafür lag in der Geschwindigkeit begründet, mit der die beiden Piloten die legendäre Kurve durchfuhren. Während Grosjean unmittelbar nach Eau Rouge mit einem Bestwert von 309,5 km/h geblitzt wurde, brachte es Vettel auf 310,9 km/h. Da half es dem Franzosen auch nicht, dass sein Höchstwert an der Messstelle am Ende der Kemmel-Geraden deutlich besser als jener Vettels war (336,4 vs. 325,0 km/h).

Vettel hatte seinen Kontrahenten somit im Griff und alles sah danach aus als würde er zum fünften Mal in seiner Karriere in Spa den Sprung auf das Podium schaffen. Doch dann kam die verhängnisvolle 42. Runde, in der sich Ferraris Ein-Stopp-Strategie doch als zu riskant erweisen sollte. Vettels Medium-Reifen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits 27 Umläufe auf dem Buckel, was des Guten zu viel war. Der rechte Hinterreifen hielt der Belastung nicht mehr stand und explodierte.

Grosjean fand keinen Weg an Vettel vorbei, Foto: Ferrari
Grosjean fand keinen Weg an Vettel vorbei, Foto: Ferrari

Ferrari verteidigt die Strategie

Nach dem Rennen gingen die Emotionen hoch. Vettel beschuldigte Pirelli, einen "miserablen" Reifen gebaut zu haben, während sich Paul Hembery, der Sportdirektor des italienischen Fabrikanten, gegen diese Vorwürfe wehrte, da man stets von einem Zwei- oder gar Drei-Stopp-Rennen gesprochen habe, woran sich die anderen Teams auch gehalten hätten. Jene 40 Runden, von denen Vettel sprach, seien keine Garantie, sondern nur ein grober Richtwert, der von vielen Variablen abhängig ist.

Ein Limit, wie viele Runden mit einem Reifensatz gefahren werden dürfen, gibt es nicht. Pirelli scheiterte 2013 mit einem solchen Antrag. Die Italiener hatten damals gefordert, dass lediglich 50% der Renndistanz mit ein und demselben Prime-Reifensatz absolviert werden darf - in Spa wären dies 22 Runden gewesen.

Ferrari wollte sich den schwarzen Peter allerdings nicht zuschieben lassen. "Wir haben einen Ingenieur, so wie alle anderen auch. Ich denke nicht, dass er falsch lag", betonte Teamchef Arrivabene. "Wir sind also nicht so dumm oder verrückt und gehen einfach auf volles Risiko mit dem Fahrer. Ich kann nur sagen, selbst wenn die Strategie aggressiv ist, beruht sie immer auf den Daten die wir haben." Ob falsch oder nicht, Tatsache ist, dass Vettel der einzige Pilot im Feld war, der einen dermaßen langen Stint abspulte. Zum Vergleich: Die Reifen von Perez und Bottas, die am zweitlängsten gefahren waren, hatten am Ende des Rennens 23 Runden auf dem Buckel.

Grosjean profitiert vom Pech der Konkurrenz

Grosjean war der lachende Dritte, Foto: Sutton
Grosjean war der lachende Dritte, Foto: Sutton

Somit durfte sich Grosjean über die erste Podiumsplatzierung seit Austin 2013 freuen - und das ausgerechnet an jenem Ort, an dem er mit der Startkollision 2012 die schwärzeste Stunde seiner Karriere erlebt hatte. Der Franzose profitierte jedoch nicht nur von Vettels Missgeschick, sondern auch vom technischen Defekt Ricciardos.

Zur Erinnerung: Als der Australier in Runde 19 ausfiel, lag er zwischen Grosjean und Vettel. "Unserer Kalkulation nach wären wir auch ohne Reifenschaden bei Sebastian Vettel Dritter geworden. Wir hätten Vettel mit Ricciardo gepackt", erklärte Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. In Anbetracht der beiden Zwischenfälle kann Grosjeans Podium als doppelt glücklich bezeichnet werden.