Die Formel 1 trauert um Jules Bianchi. Seit dem schwarzen Wochenende von Imola 1994 hatte die Königsklasse keinen tödlichen Unfall an einem Rennwochenende zu verzeichnen. Umso härter trafen der tragische Unfall von Bianchi beim Großen Preis von Japan sowie dessen Tod neun Monate danach in einem französischen Klinikum die F1-Familie.

Motorsport-Magazin.com begleitete die vielversprechende Karriere des jungen Franzosen seit seinem Einstieg in die Formel 3 Euro-Serie bis in die Formel 1. Wir lernten ihn als stets freundlichen Menschen und verdammt schnellen Rennfahrer kennen. Über die Jahre führten wir etliche Interviews mit ihm. An dieser Stelle erinnern wir mit Auszügen daraus an wichtige Zeitpunkte in seiner leider viel zu kurzen F1-Karriere.

In seinem letzten größeren Interview mit uns verriet er uns nach seinem größten F1-Erfolg in Monaco: "Ich bin in der Formel 1, um zu beweisen, dass ich ein Sieger sein kann. Mir ist klar, dass ich das noch nicht an diesem Wochenende erreichen kann, aber eines Tages möchte ich es schaffen." Ein tragischer Zusammenstoß mit einem Bergungsbagger nahm ihm die Chance dazu. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass Jules das Zeug dazu hatte.

Überraschender Einstieg in die Königsklasse

06.03.2013,
Zwei Wochen vor seinem Formel-1-Debüt in Melbourne.

Jules Bianchi hatte vor dem Debüt nur anderthalb Testtage mit seinem neuen Team, Foto: Sutton
Jules Bianchi hatte vor dem Debüt nur anderthalb Testtage mit seinem neuen Team, Foto: Sutton

Jetzt hat es doch noch mit einem Formel-1-Cockpit geklappt. Wie groß ist die Freude bei dir?
Jules Bianchi: Ich bin sehr froh, dass ich 2013 in der Formel 1 fahren kann. Das war das Ziel, dass ich mir im Winter gesteckt habe. Wie du weißt, habe ich mit einigen Teams verhandelt, aber ich bin zufrieden, dass es jetzt mit Marussia geklappt hat. Ich glaube, es wird gut funktionieren.

Die letzten Wochen müssen eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen sein...
Jules Bianchi: Manchmal war es schwierig, weiter daran zu glauben, dass alles gut ausgeht. Aber es ist dann doch so gekommen, wie ich es mir erhofft habe. Am Ende ist die Befriedigung größer als alles andere, was in der letzten Woche passiert ist. Ich freue mich auf die kommenden Aufgaben. Meine ganze Konzentration gilt jetzt Melbourne.

Warum war es so wichtig für dich, noch für diese Saison ein Cockpit zu finden? Ist damit nicht ein großes Risiko verbunden, insbesondere, wenn die Resultate ausbleiben?
Jules Bianchi: Ich bin bereit für die Herausforderung Formel 1 - und ich bin bereit, das zu zeigen. Alles was ich gesehen und gehört habe, deutet darauf hin, dass sich Marussia in diesem Jahr verbessert. Im Moment hat es den Anschein, dass das Team die Saison vor Caterham abschließen kann, das wäre ein klarer Schritt nach vorne. Dessen ungeachtet bin ich davon überzeugt, dass fahrerisches Talent immer durchscheint. Die Leute, auf die es ankommt, wissen die Leistung eines Fahrers einzuschätzen - egal, ob er vorne oder hinten landet. Es gibt viele Piloten, die ihre Karriere bei einem kleinen Team begonnen haben und später bei einem Top-Team gelandet sind. Fernando Alonso, der seine Karriere bei Minardi begonnen hat, ist das beste Beispiel.

Hast du eigentlich Mitleid mit Luiz Razia [der eigentlich vorgesehene Stammpilot]?
Jules Bianchi: Ich hatte nichts damit zu tun, was zwischen Luiz und dem Team passiert ist. Das hat stattgefunden, bevor sie mit mir geredet haben. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu kommentieren. Aber als Fahrerkollege respektiere ich Luiz und wünsche ihm alles Gute.

Halbzeit in der Debütsaison

19.08.2013,
Halbzeitbilanz nach dem ersten halben Jahr in der Formel 1.

Keine PR-Phrasen: Jules war ein sympathischer Gesprächspartner, Foto: Sutton
Keine PR-Phrasen: Jules war ein sympathischer Gesprächspartner, Foto: Sutton

Du bist richtig gut in die Saison gestartet und hast einige sehr gute Ergebnisse einfahren können. Kannst du erklären, wie das mit so wenig Testtagen möglich war?
Jules Bianchi: Das Team hat mich sehr gut eingebunden, außerdem hatte ich eine sehr gute Vorbereitung als Mitglied der Ferrari Driver Academy - sowohl physisch als auch mental und am Steuer. Ich durfte seit 2010 Formel-1-Autos fahren, das hat mir sicherlich sehr geholfen.

Du hast in deiner bisherigen Formel-1-Karriere viel gelernt. Was war das Schwierigste daran?
Jules Bianchi: Die schwierigste Aufgabe war für mich das Reifen-Management. Das ist äußerst knifflig. Man muss stets 100% geben, aber gleichzeitig die Reifen schonen. Das ist nicht einfach und beeinflusst deinen Fahrstil im Rennen.

Esteban Gutierrez hat mir gesagt, dass die größte Herausforderung für ihn war, zu akzeptieren, dass ein zwölfter Platz möglicherweise das bestmögliche Ergebnis für ihn ist. Siehst du das genauso?
Jules Bianchi: Wir kämpfen gegen Caterham und ich kann mich nur mit ihnen und meinem Teamkollegen vergleichen. Mein Ziel ist immer, eine gute Leistung für mein Team zu bringen, vor meinem Teamkollegen zu sein, und wenn ich alles richtig gemacht habe, kann ich sagen: das war eine gute Leistung. Noch liegt aber viel Arbeit vor uns. Also bleibe ich lieber ruhig und gebe weiter alles.

Jules sprach mit Stephan über sein F1-Debüt, Foto: Sutton
Jules sprach mit Stephan über sein F1-Debüt, Foto: Sutton

Warst du vor deinem ersten Qualifying oder Rennen in Australien etwas nervös?
Jules Bianchi: Ja, ein bisschen schon. Das erste Qualifying und der erste Start sind ein besonderer Moment für jeden Rennfahrer. Zudem war das Qualifying in Melbourne durch den Regen alles andere als einfach. Es war also nicht gerade stressfrei, aber dennoch sehr schön.

Liest du, was im Internet oder Magazinen über dich geschrieben wird? Oder ist dir das egal?
Jules Bianchi: Wenn ich im Internet bin und einen Artikel über mich entdecke, lese ich ihn, um zu sehen, ob das auch wahr ist. Aber ich suche nicht direkt danach. Ich muss nicht wissen, was die Leute über mich schreiben - egal ob positiv oder negativ. Ich konzentriere mich darauf, was ich im Auto machen muss und das war es.

Die Schlagzeilen setzen dich also nicht zusätzlich unter Druck?
Jules Bianchi: Ich habe schon Druck. Jeder in der Formel 1 steht unter Druck. Aber ich lasse mich von den Medien nicht zusätzlich unter Druck setzen.

Als Formel-1-Fahrer sitzt du nicht nur im Auto und fährst Rennen. Es geht auch darum, mit deinen Ingenieuren zusammenzuarbeiten, das Auto weiterzuentwickeln, Interviews zu geben - gefallen dir diese vielen Facetten an deinem Beruf?
Jules Bianchi: Jeder Fahrer möchte Rennen fahren. Manchmal ist es etwas schwierig, weil man so viele andere Dinge zu tun hat, die man eben nicht so sehr liebt wie das Rennfahren. Aber wie du sagst, das gehört zu unserem Job als Rennfahrer dazu. Man darf sich nicht darüber beschweren, sondern muss auch darin gut sein.

Diese Tätigkeiten lenken dich aber nicht ab, oder?
Jules Bianchi: Manchmal kann das schon passieren. Wenn man viel zu tun hat und nicht über die wichtigen Dinge nachdenken kann, kann man verloren gehen. Man muss die Medien- und PR-Arbeit machen, aber gleichzeitig auch voll auf seine Aufgaben konzentriert bleiben.

Denkst du manchmal über deine Zukunft in der Formel 1 nach oder lebst du nur in der Gegenwart?
Jules Bianchi: Ich möchte nicht allzu viel über die Zukunft nachdenken. Ich denke nur an diese Saison. Wenn ich abends im Bett liege, denke ich ausschließlich an das nächste Rennen.

Nach der Sensation von Monaco

20.06.2014
Nach dem 9. Platz beim Monaco GP und den ersten WM-Punkten für Marussia.

Immer zu einem Scherz aufgelegt: Jules mit Teamkollege Max Chilton beim Fotoshooting für Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton
Immer zu einem Scherz aufgelegt: Jules mit Teamkollege Max Chilton beim Fotoshooting für Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton

Marussia musste 83 Rennen warten, bis du in Monaco die ersten Punkte für das Team einfahren konntest. Wie wichtig war das für die Mannschaft und wie hilft es ihr, weitere Fortschritte zu erzielen?
Jules Bianchi: Es war sehr wichtig für das Team, die ersten Punkte einzufahren. Wie du sagst, haben alle im Team lange darauf gewartet und jetzt haben wir es endlich geschafft. Jeder im Team hat sich sehr darüber gefreut, aber wir haben auch eine großartige Leistung gezeigt.

Natürlich gehört auch etwas Glück dazu, aber das Rennen lief ziemlich rund. Selbst als wir einige Schwierigkeiten hatten, wendete sich das Blatt am Ende doch zu unseren Gunsten. Es war ein bisschen ein komisches Gefühl, weil wir bei diesem Rennen fast schon punkten mussten. Umso schöner war es, dass es uns gelungen ist. Wir haben das etwas ausgekostet, aber dann mussten wir gleich weiterarbeiten. In der Formel 1 gibt es keine Zeit, um sich auszuruhen.

Nach Monaco lobte dich Fernando Alonso in hohen Tönen. Siehst du dich eines Tages bei Ferrari?
Jules Bianchi: Keine Ahnung, aber natürlich ist es mein Ziel, eines Tages für Ferrari zu fahren und mit ihnen Rennen zu gewinnen. Ich bin in der Formel 1, um zu beweisen, dass ich ein Sieger sein kann. Mir ist klar, dass ich das noch nicht an diesem Wochenende erreichen kann, aber eines Tages möchte ich es schaffen.

Du bist in der Situation, dass du am Ende des Feldes eine Superleistung zeigen kannst, aber kaum jemand wird davon Notiz nehmen. Ist das frustrierend für dich?
Jules Bianchi: Klar, manchmal ist das wirklich frustrierend für mich. Ich möchte mich jetzt nicht hier hinstellen und sagen, dass ich der beste Fahrer im Feld bin, aber wenn du siehst, dass Fahrer wie Ricciardo oder Magnussen, gegen die du in anderen Rennserien gefahren bist, Topergebnisse erzielen und du eigentlich mindestens auf dem gleichen Niveau wie sie bist, dann ist das schon frustrierend. Sie fahren auf das Podium und du fährst am Ende des Feldes herum. Als Rennfahrer ist das nicht ganz einfach zu verdauen, aber ich erhalte hier eine Gelegenheit, überhaupt in der Formel 1 zu fahren. Jetzt muss ich versuchen, den Entscheidern zu beweisen, dass ich das auch kann.

Jules berichtete Kerstin von seinem sensationellem Rennen in Monaco, Foto: Sutton
Jules berichtete Kerstin von seinem sensationellem Rennen in Monaco, Foto: Sutton

Wie stark hast du dich als Fahrer weiterentwickelt?
Jules Bianchi: Ich habe mich sehr stark verbessert. Seit meinem Debüt am Anfang der letzten Saison habe ich viel an Selbstvertrauen hinzugewonnen. Ich kann nichts über meinen Speed sagen, wenn man ein bestimmtes Niveau erreicht hat, wird es einfach schwierig, sich noch weiter zu steigern. Aber natürlich versuche ich auch, meinen Speed zu verbessern. Selbstverständlich muss ich mich noch auf einigen Gebieten steigern, aber ich denke, dass ich Fortschritte erzielt habe.

Welche Bereiche sind das, in denen du dich noch verbessern musst?
Jules Bianchi: Das betrifft vor allem den Umgang mit den Reifen, lässt sich aber nicht so leicht beschreiben. Insgesamt brauche ich wohl nur noch mehr Erfahrung. Jeder Fahrer lernt immer dazu, selbst die Topfahrer. Je mehr Erfahrung man hat, desto besser wird man. Wenn ich also mehr Erfahrung sammeln kann, werde ich auch immer besser, um vielleicht eines Tages für ein gutes Team fahren zu können.

Das Schicksal hatte leider andere Pläne für die viel zu kurze Karriere des Franzosen. Am 18. Juli erlag er in einem Krankenhaus in Nizza den schweren Verletzungen, die er bei einem Unfall beim Japan GP am 5. Oktober 2014 erlitten hatte. Jules Bianchi wurde nur 25 Jahre alt.

Unser Mitgefühl gilt den Familienmitgliedern und Freunden von Jules. Mit ihm verliert die Motorsportwelt nicht nur einen schnellen und talentierten Rennfahrer, sondern auch ein sympathisches und von allen im Fahrerlager respektiertes Mitglied der Formel-1-Familie.