Vor kurzem platzte die große Bombe. Nach dem Treffen der Formel-1-Strategiegruppe am Londoner Flughafen Biggin Hills wurde bekannt, dass die Formel 1 zukünftig neue - alte - Wege gehen wird. Die Reifenstrategien wurden überdacht, zukünftig sollen die Autos wieder schneller werden, die Reifen breiter und das Nachtanken wird wieder erlaubt. Motorsport-Magazin.com hat sich in Monaco umgehört und zu allen Themen die Meinungen der Fahrer zusammengetragen.

Die Teams können sich ab 2016 aus vier Mischungen an jedem Rennwochenende ihre beiden optimalen heraussuchen, Foto: Sutton
Die Teams können sich ab 2016 aus vier Mischungen an jedem Rennwochenende ihre beiden optimalen heraussuchen, Foto: Sutton

Freie Reifenwahl

Was wird konkret passieren? Für die große Regelrevolution 2016 war es noch zu früh, aber zumindest eine kleine Veränderung winkt bereits in der kommenden Saison. Während aktuell Pirelli zwei Reifenmischungen für jedes Rennwochenende aussucht, obliegt es zukünftig den Teams, ihre perfekte Kombination zusammenzustellen. Damit kann jede Mannschaft nach eigenem Ermessen - und dem jeweiligen Auto entsprechend - zwei Reifenmischungen für jeden Grand Prix selbst aussuchen.

Chance für kleine Teams: Die neue Regelung bringt für einige Fahrer die Würze in ein Wochenende zurück. Niemand kann bereits zuvor zu 100 Prozent sicher sein, ob er mit seiner Reifenwahl den Nagel auf den Kopf trifft. Somit sind Verschiebungen denkbar - mit gewissen Grenzen. "Top-Teams werden immer top sein und einige immer vorne, aber es kommt eine neue Komponente hinzu", erklärte Force-India-Pilot Sergio Perez. Für die Fahrer liegt der Knackpunkt im Qualifying. Einige der langsameren Teams könnten ein höheres Risiko eingehen und sich damit eine bessere Startposition sichern - mit einem möglicherweise hohen Preis, denn im Rennen scheint das Scheitern schon fast programmiert.

Alles bleibt beim Alten: Wie bei allen Regeländerungen bleibt die Königsklasse zunächst aber skeptisch. Trotz kleiner Hoffnungsschimmer sieht Felipe Massa nicht die große Revolution im Reifenkrieg. "Wir werden wahrscheinlich in einigen Rennen dadurch eine Veränderung sehen, aber ich denke nicht, dass Pirelli oft die falsche Entscheidung getroffen hat", relativierte der Williams-Pilot. Für ihn lag der italienische Reifenhersteller zu 85 bis 90 Prozent in seinen Entscheidungen richtig, bis auf einige konservative Varianten.

Fernando Alonso wünscht sich den alten Kampf zweier Reifenhersteller wieder, Foto: Sutton
Fernando Alonso wünscht sich den alten Kampf zweier Reifenhersteller wieder, Foto: Sutton

Es braucht ein Reifenduell: Für Fernando Alonso geht diese Reifenvariante noch nicht weit genug. Der zweifache Weltmeister trauert dem Duell Michelin vs. Bridgestone hinterher. Damals hätten beide Reifenhersteller ans Limit gepusht und beide Fabrikate waren unglaublich. "Wir hatten einen superschnellen Reifen, der aber 2005 auch die gesamte Renndistanz bewältigen konnte", schwelgte der McLaren-Pilot in Erinnerungen. Als 2007 nur noch Bridgestone den Einheitsreifen lieferte, war das für den Spanier ein klarer Schritt zurück. Entsprechend würde Alonso ein neuerliches Reifenduell begrüßen. "Es wäre gut für die Formel 1 und auch die Strategie. Vielleicht hat man einen Reifen, der gut im Qualifying und dafür schlechter im Rennen ist", überlegte er weiter. "Ein paar Strecken liegen dem einen Unternehmen und ein paar dem anderen. Damit könnte man die Ergebnisse durchmischen und das würden die Leute begrüßen."

Nachtanken erlaubt

Was wird konkret passieren? Für die Saison 2017 gibt es eine Rückkehr zu Altbekanntem: Die Teams dürfen während eines Rennens wieder nachtanken. Abgerissene Tankschläuche, brennende Boliden und viele Beschwerden sorgten dafür, dass nach der Saison 2009 das Nachtanken verboten wurde. Nun feiert es ab der Saison 2017 sein großes Comeback. Die maximale Benzinmenge für ein Rennen bleibt bestehen - wie genau sie aussehen wird, steht aber noch nicht fest.

Endlich wieder mehr Speed: Ein leeres Auto, bedeutet ein schnelles Auto. Das ist die Herangehensweise von Massa. "Mir gefällt die Idee des Nachtankens, denn dann ist das Auto schneller", so der Brasilianer. Aktuell sind die Rennen nur technisch geprägt, denn alles richtet sich nach Strategieüberlegungen. "Als Rennfahrer willst du immer pushen und die Formel 1 ist genau dafür da", stimmte auch Perez ein.

Ein strategischer Schachzug: Für Fernando Alonso bedeutet das Nachtanken einen weites Feld im Bereich der Strategie. In der Vergangenheit profitierte er oft davon, sich mit fast leerem Tank zu qualifizieren und das Rennen zunächst anzuführen. "Es kann regnen, ein Safety Car geben oder viele andere Dinge können passieren, die ein Wochenende verändern können", erinnerte der Spanier. Auch Teamkollege Jenson Button schwelgte in alten Erinnerungen. "Es war großartig, als wir noch nachtanken konnten. Wenn du in Runde eins ein Problem hattest, konntest du dein Rennen drehen und etwas anderes machen - heute ist das hingegen sehr schwierig."

Ein kritisches Wort: So groß die Freude der Piloten über diese Wendung im Reglement auch ist, das Unverständnis schwingt mit. "Vor ein paar Jahren haben wir das Nachtanken verboten und jetzt kommt es wieder zurück. Ich muss nicht alles verstehen", erklärte Ferrari-Pilot Sebastian Vettel mit etwas Sarkasmus in der Stimme. Auch Button stimmte - trotz großer Begeisterung - in die Kritik mit ein. Schließlich standen beim Verbot des Nachtankens mehrere Aspekte im Fokus. "Es gibt auf jeden Fall den Aspekt der Sicherheit - den Grund, warum wir vom Nachtanken weggingen - und auch die Finanzierung, die Kosten", mahnte er.

Felipe Massa verlor durch einen verpatzten Tankstopp 2008 wichtige Punkte für die Weltmeisterschaft, Foto: Sutton
Felipe Massa verlor durch einen verpatzten Tankstopp 2008 wichtige Punkte für die Weltmeisterschaft, Foto: Sutton

Das Unbekannte: Für einige Piloten wird 2017 hingegen ein Schritt ins Unbekannte. Zwölf der aktuell 20 Stammfahrer waren noch nicht in der Königsklasse, als 2009 letztmals der Tankrüssel angesetzt wurde. Entsprechend fällt ein Urteil schwer. "Ich bin in der Formel 1 noch nie mit Nachtanken gefahren und brauche es nicht zwingend", erklärte Nico Hülkenberg. "Aber wenn es gut für das Racing ist, warum nicht?" Für den Force-India-Mann zählt letztlich nur eines: Die Formel 1 muss wieder schneller als die GP2 und etwas dynamischer und spektakulärer für die Zuschauer werden.

Schnellere und lautere Autos

Was wird konkret passieren?: Die Formel 1 soll wieder an Speed zulegen. Die Lösung ist bereits im Ansatz gefunden: neue Aerodynamik-Regeln, breitere Reifen und eine Reduzierung des Fahrzeuggewichts. Gleichzeitig braucht die Königsklasse wieder einen Sound, der ihrem Namen gerecht wird. Lösung in diesem Fall: höhere Drehzahlen.

Alles ganz einfach: "Man müsste nur ein paar Sachen im technischen Reglement anpassen, dann können die Ingenieure wieder ganz schnell Rundenzeit finden, das ist kein Problem", so die denkbar simple Herangehensweise von Nico Hülkenberg. Laut Massa gibt es in diesem Zusammenhang zwei Zauberworte: Abtrieb und Power - und von beidem mehr. Allerdings ist sich der Brasilianer nicht sicher, ob bei fünf oder sechs Sekunden nicht etwas zu hoch angesetzt wurde. Zu diesem Thema wühlte Alonso in seiner Statistik-Kiste und legte erschreckende Fakten auf den Tisch. "Es gab dieses Jahr in Malaysia eine Hochrechnung, dass der Sieger des Rennen 2015 im Vergleich zum Malaysia-Sieger 2006 sechs Runden langsamer sein könnte", erinnerte er. Das schockierende Ergebnis dahinter: "Er wäre sechs Mal überrundet worden."

Lärm als Stichwort: Viel wichtiger als Sekunden sind für Massa aber die dabei entstehenden Dezibel. Die Zuschauer sollen wieder mit lauten Motoren, hohen Drehzahlen und der typischen Kulisse der Königsklasse versorgt werden. "Ob du nun ein oder zwei Sekunden schneller bist, macht für die Leute auf den Tribünen schließlich keinen Unterschied", untermauerte er.

Überholen als Königsdisziplin: Bei allen Innovationen zeigten sich die Piloten aber besorgt, dass das eigentliche Racing zu kurz kommen könnte. "Es müssen Rad-an-Rad-Duelle möglich sein", wünschte sich Hülkenberg. Geht es nach ihm, muss ein Weg gefunden werden, die Autos schnell zu machen, aber gleichzeitig im technischen Reglement eine Möglichkeit zu finden, das Überholen zur Herausforderung zu machen. "Heute dauert es maximal drei Kurven, dann ist es erledigt. Würde es länger dauern, wäre es aufregender." Von zu viel Aufregung kann hingegen Massa ein Liedchen singen. Noch sehr präsent sind die Zeiten, als die Autos über so viel Abtrieb verfügten, dass es Rennen beinahe ohne Überholmanöver gab. Erst das DRS brachte wieder Abhilfe. "Wenn man die Autos also zu schnell macht und dann keine Überholmanöver mehr sieht, gibt es ebenfalls Beschwerden", warnte der Brasilianer.

Bernie Ecclestone und Jean Todt entscheiden nicht allein, Foto: Sutton
Bernie Ecclestone und Jean Todt entscheiden nicht allein, Foto: Sutton

Die wirkliche Umsetzung

Was wird konkret passieren? Aktuell sind alle Ideen und Pläne der Strategiegruppe genau das: Ideen und Pläne. Beim Treffen waren Bernie Ecclestone, Jean Todt, die Teamchefs von Mercedes, Ferrari, Red Bull, McLaren, Williams und Force India und Vertreter der Motorenhersteller dabei. Nun sollen die Ergebnisse mit den nicht vertretenen Teams diskutiert werden. Bevor sie aber wirklich im Reglement verankert werden, wird alles nochmals von der Formel-1-Kommission und schließlich dem World Motor Sport Council geprüft.

Erst einmal abwarten: Entsprechend zurückhaltend zeigte sich Hülkenberg auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Das sind Diskussionen und Ideen, aber es ist noch nichts entschieden. Diskussionen sind gut und dass der Schneeball mal ins Rollen kommt, finde ich positiv", erklärte der Deutsche. Er ist für die Neuerungen offen, wirklich glauben will er alles aber erst, wenn der formale Beschluss vorliegt. Damit gelten trotz Regelrevolution die alten Regeln der Formel 1: "Vor uns liegt noch ein langer Weg und es kann viel passieren, daher lasst uns abwarten und schauen."