Nach langen Monaten der schier endlosen Wintertests in fernen südspanischen Gefilden war es am vergangenen Wochenende endlich wieder so weit: Zum letzten Mal ertönte der satte Klang von singenden V10-Aggregaten im Albert Park zu Melbourne.

Doch wer genau hinhörte, der vernahm in der 42. Runde des Großen Preises von Australien noch ein anderes Geräusch als heulende Motoren, knatternde Traktionskontrollen und quietschende Reifen. Einen dumpfen, aber mächtigen Knall, gefolgt von einem entsetzten Aufschrei unzähliger enthusiastischer F1-Anhänger an der Rennstrecke und rund um die F1-Welt.

Der große Knall

Ausgerechnet Michael Schumacher, stöhnten die einen. Ausgerechnet Nick Heidfeld, erwiderten die anderen. Ausgerechnet der an diesem Wochenende glücklose Rekordweltmeister und sein ruhiger Landsmann gerieten aneinander. "Das ist kein optimaler Auftakt für uns Deutsche", fasste der verärgerte weiß-blaue Hauptdarsteller die aufregendste Szene des ersten WM-Laufes der neuen Saison treffend zusammen. Die Formel 1 Saison 2005 bekam also schon im ersten Rennen ihr erhofftes deutsch-deutsches Duell. Nur leider mit einem unerwünschten Ausgang.

Doch was war geschehen? Um genau 15:10 Uhr Ortszeit steuerte Michael Schumacher in Runde 42 seinen F2004 M zu seinem zweiten Boxenstopp in die geräumige Boxenanlage, um sie nach 19,803 Sekunden Aufenthalt wieder zu verlassen und knapp vor Nick Heidfeld auf die Strecke zurückzukehren. So weit so gut.

Was danach in Kurve drei geschah beschreibt Nick Heidfeld mit klaren Worten: "Ich glaube, dass mein Verhalten in Ordnung war. Er kam nach seinem Boxenstopp nicht sehr gut aus der ersten Schikane heraus, weil er nicht auf der Ideallinie war. Ich fuhr rechts neben ihn und hätte ihn ausbremsen können, aber er ließ mir absolut keinen Platz und drängte mich auf das Gras, wo man natürlich nicht bremsen kann. Da kann sich jeder sein eigenes Bild machen."

Denn dann folgte der unvergessliche Knall. Der weiß-blaue FW27 knallte in die Seite des roten F2004 M. Teile flogen durch die Luft, Karbon zersplitterte und beide Piloten landeten in einem der rot gefärbten Kiesbetten. Während Heidfeld im ersten Grand Prix der "wichtigsten Saison seiner Karriere" sofort fluchend ausstieg, versuchte sich Schumacher aus dem Kies zu befreien, wobei er sich von den Streckenposten zurück auf die Strecke schieben ließ. Aber auch sein Auftaktrennen endete nur wenig später in der Ferrari-Box, in welcher das Unheil nur wenige Minuten vorher seinen Lauf genommen hatte.

Und wie sah der siebenfache Champion das abrupte Ende seines Rennens? "Ich sah ihn als ich aus der Box kam nah hinter mir und ich machte klar, dass ich meine Position verteidigen werde. Ich wusste, dass er versuchen würde, innen zu überholen, und ich habe meiner Meinung nach deutlich gemacht, dass ich das nicht zulassen würde. Dann verlor ich plötzlich den Sichtkontakt in den Spiegeln. Ich lenkte in die Kurve ein und plötzlich hat es den Knall gegeben. Ich habe es schon im Fernsehen gesehen: Heidfeld war im Gras und hatte nicht die volle Kontrolle über sein Auto. Ich kann ihn nicht dafür beschuldigen, dass er versucht hat mich zu überholen."

Stattdessen möchte der Ferrari-Star, nach seinem ersten Ausfall seit Monaco 2004, niemanden die Schuld für diesen "normalen Rennunfall" geben. "Das ist einfach dumm gelaufen."

Schumachers Technikdirektor Ross Brawn sah dies kurz nach Rennende jedoch anders: "Ich konnte nicht erkennen, dass Michael viel falsch gemacht hat. Den Zwischenfall muss sich Nick ankreiden", so das überraschende Fazit des Chefstrategen der Scuderia. Niki Lauda sah die Situation erwartungsgemäß etwas anders: "Michael hätte den Unfall verhindern können, wenn er nicht nach innen gezogen wäre. Das war ein hartes Manöver. Aber ich würde beiden Fahrern die Schuld geben", so die salomonische Schuldverteilung des Österreichers. BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen brachte es dann auf den Punkt: "Das war ein unglücklicher und unnötiger Unfall. Es war keine Absicht von beiden Fahrern."

Die Nachwirkungen des deutschen Knalls von Melbourne werden die F1-Medienwelt in den kommenden Tagen und Rennwochen sicherlich noch länger beschäftigen und erschüttern. Dem sympathischen Mönchengladbacher dürfte dieser konstruierte Medienrummel dabei genauso ungelegen kommen, wie jener rund um seine Verpflichtung. "Der Medienrummel steht für mich nicht im Vordergrund", sagt der ruhige Zeitgenosse. "Mir wäre es da lieber mehr oder weniger unbekannt zu sein und stattdessen nur meinen Job zu machen."

Dieser Job könnte die beiden Streithähne von Melbourne dann schon in Malaysia wieder zusammenbringen. Denn nicht nur Michael Schumacher erkor Nick Heidfeld nach seinem Wechsel zu Williams zu einem "Herausforderer für dieses Jahr". Auch Hans-Joachim Stuck traute Quick Nick vor Saisonbeginn zu, dass er "Ferrari mit dem richtigen Auto schlagen" könne. Strietzel prognostizierte sogar, dass Heidfeld "zum großen Gewinner" des Jahres werden könne.

Niki Lauda räumte dem "sauschnellen" Nick hingegen ein, dass er mit dem "richtigen Auto" in dieser Saison "Deutschlands neue Nummer zwei" werden könnte. In Melbourne war Nick bis zu jener folgenschweren 42. Rennrunde sogar die neue schwarz-rot-goldene Nummer 1. Bleibt nur zu hoffen, dass das nächste Spitzenduell zwischen Heidfeld und Schumacher dann keinen lauten Knall, sondern viele heftig ineinander klatschende Hände hervorrufen wird...

Das große Regelloch

Wer die Formel 1 bereits seit einigen Jahren verfolgt, der dürfte sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass Gummiparagraphen und unerforschte Grauzonen genauso zum Reglement gehören wie GP-Siege zu Michael Schumacher.

Entsprechend viele Befürchtungen wurden vor dem Saisonauftakt in Downunder durch den Blätterwald gereicht. So fürchteten die einen, dass es zu einem Reifenchaos kommen könnte, da nicht genau festgelegt ist, wann ein Pilot einen Reifen straffrei wechseln dürfe und wann nicht, während die anderen ein Horrorszenario mit dutzenden von Reifenplatzern an die Wand malten.

Am Ende sollte alles wie üblich ganz anders kommen und ein drittes Regelloch im Mittelpunkt stehen: "Wir haben viel darüber nachgedacht, dass man den Motor in der Auslaufrunde hochjagen könnte, aber wir denken nicht, dass es passieren wird", erklärte Max Mosley einige Tage vor dem Saisonbeginn. Und während er genau genommen mit dieser Aussage Recht behielt, strafte ihn British American Racing dennoch lügen: Denn Takuma Sato und Jenson Button jagten ihre Bondautos nicht auf Knopfdruck per Selbstzerstörungsmodus in die Luft, sondern wählten sie einen einfacheren Weg - sie stellten ihre Arbeitsgeräte einfach ohne großen Trubel in der letzten Runde in der Box ab.

Der Vorteil: Sie dürfen beim nächsten Rennen in Malaysia mit einem neuen Motor antreten und erhalten somit einen Performance- und Zuverlässigkeitsvorteil gegenüber der Konkurrenz. Eine Regellücke die Max Mosley wie gesagt bekannt war, welche er aber als unerheblich einstufte. Ein Fehler, wie ihm die schon im Vorfeld paranoiden Journalisten nun vorwerfen werden. "Ich glaube nicht, dass sie das tun werden", hatte der Präsident prophezeit. Und sie taten es doch.

Und waren auch noch stolz auf diesen taktischen Doppelausfall. "Da beide Fahrer außerhalb der Punkte lagen, entschloss sich das Team dazu beide Autos in der letzten Runde in die Box zu rufen", heißt es 'offen und ehrlich' in einem Presseschreiben des Teams. "Auf der positiven Seite liefen beide Autos zuverlässig", fügte Technikdirektor Geoff Willis nach dem 'Doppelausfall' hinzu. "Da wir außerhalb der Punkteränge lagen, entschieden wir beide Autos aus dem Rennen zu nehmen, was uns die Möglichkeit gibt die Motoren für Malaysia ohne Strafe zu wechseln. Dies könnte aufgrund der erwarteten hohen Temperaturen ein Vorteil sein."

Ein Vorteil, welchen die Regelhüter jetzt schnellstmöglich mit einer Regelerweiterung aufheben sollten. Immerhin kündigte Mosley bei seinem Monolog über diese unwahrscheinliche Möglichkeit eines 'Betrugs' an: "Wir müssten dann den Stewards sagen, dass sie sich den betreffenden Fall genauer ansehen sollen."

Der große Sieger

Die Geschichte des großen Triumphators von Melbourne begann bereits im letzten Jahr. Denn damals kündigte sein neuer Teamchef Flavio Briatore an, dass seine Truppe Ferrari 2005 "definitiv" schlagen werde. "2005 ist die Dominanz von Ferrari vorbei. Dann werden wir sie besiegen. 2005 ist Michael dran."

Eigentlich begann die Geschichte des ersten Grand Prix Siegers der neuen Saison sogar noch früher. Nämlich bei einem chaotischen Regenrennen im Jahr 2003. Damals holte sich Giancarlo Fisichella, dem oftmals nachgesagt wurde zur falschen Zeit im falschen Team zu sein, seinen ersten F1-Sieg. Oder besser: Er fuhr ihn damals ein, zugesprochen bekam er ihn erst am Freitag danach.

Petrus und chaotische Wetterbedingungen scheinen dem sympathischen Römer dabei immer wohl gesonnen zu sein. Schließlich legte Fisico den Grundstein für seine überlegene Triumphfahrt im verregneten 1. Qualifying, welches er mit zwei Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten und über 24 Sekunden Vorsprung auf Michael Schumacher abschloss. Die Pole war ihm somit dank des neuen Additions-Formats nicht mehr zu nehmen.

"Ich konnte mein Talent niemals richtig zeigen, da ich nie das richtige Auto hatte", stimmte Fisichella nach dem "besten Tag seiner Karriere" den vielen 'zur falschen Zeit am falschen Ort'-Vergleichen zu. "Ja, ich habe in Brasilien im Regen gewonnen, aber der Rest der Saison war frustrierend. In diesem Jahr habe ich hingegen ein großartiges Auto und möchte ich die Möglichkeit nicht verstreichen lassen mein Talent zu zeigen und weitere Rennen zu gewinnen."

Da sein Teamboss das Duell Renault gegen Ferrari mit dem Kampf "David gegen Goliath" vergleicht, sollte Michael Schumacher in dieser Saison nicht nur nach zum Überholen ansetzenden Landsleuten, sondern auch nach fliegenden Steinen Ausschau halten...

Die Teamanalyse

Renault: Die Hälfte des - selbstverständlich tief gestapelten - Saisonziels hat Renault bereits nach dem ersten von insgesamt 19 Rennen erreicht: Die Einstellung der Siegzahl aus dem Vorjahr. Allerdings dürfte nach dem Melbourne-Wochenende klar sein, dass die Gelb-Blauen 2005 wohl mehr als nur "mehr Rennen als im Vorjahr" gewinnen werden. Unsere Prognose, dass wir uns nicht wundern sollten, wenn im Albert Park ein gelb-blau gekleideter Fahrer mit der Startnummer 6 ganz oben auf dem Podest stehen würde, ging auf alle Fälle auf.

Ferrari: Bei Ferrari lief an diesem ersten Rennwochenende des Jahres nicht alles nach Plan. Erst vermasselte das Wetter beiden Piloten das Qualifying und dann endete Michael Schumachers Rennen ebenso unglücklich wie vorzeitig. Trotzdem schien der Weltmeister extreme Probleme zu haben sich durch das Feld nach vorne zu arbeiten. Während sein Teamkollege immerhin von Startplatz dreizehn auf Rang zwei nach vorne fuhr, wären für Michael Schumacher auch ohne den Ausfall maximal ein, zwei Zähler möglich gewesen. Der modifizierte F2004 M erwies sich unterdessen durchaus als zuverlässig und konkurrenzfähig - wenn auch unter trockenen Bedingungen nicht mehr als dominant.

Red Bull: Während man mit Giancarlo Fisichellas respektive Renaults Triumph nach den starken Wintertestzeiten rechnen konnte, stellte die Performance des Red Bull Racing Teams (wohl gemerkt: das ist nichts anderes als ein umlackiertes Jaguar Team!) die Sensation des Wochenendes dar. Konnten die Trainingsbestzeit von Tonio Liuzzi am Freitag noch auf die fehlenden Runden der Konkurrenz, wobei der Italiener dennoch auf einer ihm unbekannten Strecke eine famose Leistung zeigte, sowie die starken Startpositionen noch auf das chaotische Wetter zurückgeführt werden, so war die Rennleistung von David Coulthard einfach nur noch überragend. Leider wurde sie nicht mit einem Podestplatz belohnt. Aber zwei Punkteplatzierungen zum Saisonauftakt sind mehr als sich Dietrich Mateschitz je hätte erträumen lassen.

Williams: Und auch Williams schnitt besser als erwartet ab. Schließlich hatten Frank Williams und Patrick Head mit ihrer Schwarzmalerei vom aerodynamischen Fehlgriff ja fast schon übelste Krisenstimmung verbreitet. Letztlich behielt also Mario Theissen Recht, der das erste Rennwochenende erst abwarten wollte. Trotzdem bleibt natürlich anzumerken, dass die unnormalen Wetterbedingungen sowohl das Qualifying- als auch das Rennergebnis verzerrten.

McLaren: Schlechter als erwartet schloss hingegen das silberne Imperium den Saisonauftakt ab. So können sich Kimi Räikkönen und Juan Pablo Montoya noch nicht einmal glaubhaft auf die schlechte Ausgangsposition durch das verregnete Qualifying berufen, da Rubens Barrichello und Fernando Alonso noch hinter ihnen ins Rennen starteten und dennoch auf's Podest fuhren. Für den Finnen gilt aber natürlich die Entschuldigung, dass er seinen Motor am Start verlor und somit aus der Box ins Rennen gehen musste. Danach kam er aber ähnlich wie Michael Schumacher nicht wirklich ins Rollen. Der zweite Favorit der Wintertests blieb also hinter den Erwartungen zurück.

Toyota: Toyota übertraf die Erwartungen hingegen - zumindest bis zur Rennhälfte. Denn bis dahin konnte Jarno Trulli dank einer starken Fahrt einen Platz unter den Top-Piloten verteidigen. Als dann das große Problem der Weiß-Roten, der Reifenverschleiß an den Hinterreifen, einsetzte, wurde der Mann aus Pescara allerdings bis auf Rang neun durchgereicht. Ralf Schumacher erlebte unterdessen ein Wochenende zum Vergessen und hatte keine Chance auf WM-Punkte.

Sauber: Vor dem Rennwochenende war nicht ganz klar, ob Sauber zu den Punkteanwärtern gehören würde oder nicht. Nach dem Australien GP muss diese Frage ganz klar mit nein beantwortet werden. Besonders enttäuschend verlief das Rennen für Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve, der von seinem vierten Startrang bis auf Platz vierzehn zurückfiel. Felipe Massa kämpfte sich immerhin von hinten bis in die Top-10 vor. Punkte bekam er dafür aber auch keine.

B·A·R: Noch enttäuschender als Sauber schnitt jedoch British American Racing Honda ab. Hatten die Weißen im letzten Winter noch angekündigt schon in Melbourne um den Sieg mitfahren zu wollen, war davon - ebenso wie bei den Wintertests - überhaupt nichts zu sehen. Stattdessen 'glänzten' sie nur bei der Auslegung des Regelbuches und ihrem taktischen Doppelausfall in der letzten Runde.

Jordan: Mit der einfachen Zielsetzung das Rennen zu beenden angetreten, war es auch genau das was die beiden Jordan-Rookies erreichten. Der bessere der beiden Jordan-Neulinge war dabei über das gesamte Rennwochenende der Inder Narain Karthikeyan, der seinen portugiesischen Partner Tiago Monteiro zwar nicht entzauberte, aber klar in die Schranken wies.

Minardi: Ebenfalls klar in die Schranken gewiesen wurde Paul Stoddart nach dessen Versuch mit unveränderten 2004er Autos anzutreten. Die ungetesteten 2005er Aerodynamikteile überstanden ihre Feuertaufe recht gut, konnten Patrick Friesacher bei seinem F1-Debüt aber auch nicht mehr als den letzten Platz bescheren. Für die kleine Truppe aus Faenza und Ledbury gelten aber ohnehin andere Maßstäbe - allerdings keine anderen Regeln!

Der WM-Ausblick

Das Wichtigste vorne weg: Die Formel 1 Saison 2005 verspricht spannend zu werden. Zumindest in den ersten drei bis vier Rennen, in denen Ferrari noch mit dem alten F2004 M antritt, wird es keinen Alleingang geben - weder der Roten noch eines anderen Teams.

Das genaue Kräfteverhältnis lässt sich nach dem vom Wetter und sonstigen äußeren Umständen beeinflussten ersten Rennwochenende aber noch nicht festlegen. Versucht man es trotzdem, müssten Renault und Ferrari sowie mit Abstrichen auch McLaren Mercedes wie erwartet als die drei Top-Teams mit Siegchancen eingeordnet werden.

Dahinter rangieren Williams und Red Bull auf ähnlichem Niveau, mit leichten Vorteilen für die Weiß-Blauen. Ohne die Reifenproblematik scheint auch Toyota ähnlich stark wie Red Bull zu sein. Noch nicht in diese Gruppe gehören hingegen B·A·R und Sauber. Die beiden Schlusslichter bilden erwartungsgemäß Jordan und Minardi.