Nach der dominanten Saison 2014 steht Mercedes dieses Jahr in der Pflicht, an die vergangenen Erfolge anzuknüpfen. Die Silberpfeile sind der Top-Favorit auf die Weltmeisterschaft 2015. Kann das Team den Erwartungen gerecht werden? 16 Siege, 18 Pole Positions, 12 schnellste Rennrunden und 31 Podestplätze durch Lewis Hamilton und Nico Rosberg in 19 Grands Prix 2014 - um sich die schiere Überlegenheit noch einmal vor Augen zu führen. Kein Team ist größerem Erfolgsdruck ausgeliefert als Mercedes. Das Jahr 2015 wird zur Reifeprüfung.

Das Team: Die Eckpfeiler des Teams stehen auch in der Saison 2015 zur Verfügung. Aber: Mit Bob Bell und Jock Clear sind zwei leitende Angestellte dieses Jahr nicht mehr an Bord. Der Abgang des früheren Technikchefs Bell steht schon seit April 2014 fest, er suchte nach einer neuen Herausforderung. Zuletzt gab es Vermutungen über einen Einstieg bei Renault. Clear, Hamiltons ehemaliger Renningenieur und zudem leitender Ingenieur, heuert dieses Jahr wohl bei Ferrari an.

Ansonsten tritt Mercedes mit unveränderter Formation an. Toto Wolff und Niki Lauda geben den Ton an und haben bewiesen, dass sie das Team auch in heiklen Situationen - Spa-Crash als Stichwort - im Griff haben. Eine bessere Besetzung könnten sich die Silberpfeile auf diesen Positionen nicht wünschen. Aldo Costa (Engineering), Geoff Willis (Technologie) sowie Andy Cowell aus der Motorenschmiede in Brixworth sind in den vergangenen Jahren zu einer Einheit verschweißt. Es ist diese enge Zusammenarbeit, die dem Team zur Einführung der Turbo-Motoren einen entscheidenden Vorteil einbrachte - daran hat sich nichts geändert.

Team - Note: sehr gut

Ist Mercedes ähnlich unbesiegbar wie 2014?, Foto: Mercedes-Benz
Ist Mercedes ähnlich unbesiegbar wie 2014?, Foto: Mercedes-Benz

Das Auto: Erwartungsgemäß ist der F1 W06 eine konsequente Weiterentwicklung seines Vorgängers. Die reglementbedingte Abflachung der Nase ist die auffälligste Veränderung, gleichzeitig verfügt der Mercedes wohl über die kürzeste Nase im Feld. In Melbourne wird allerdings ein Update samt neuem Frontflügel erwartet. Bei der Detailarbeit wurde nicht gespart. So wirkt der neue Silberpfeil noch kompakter, nachdem es den Ingenieuren gelungen ist, die einzelnen Kühlungselemente platzsparender anzuordnen. An den Seitenkästen sowie der Motorabdeckung wurde noch einmal abgespeckt.

Durch das neue Aero-Paket erhofft sich Mercedes den Gewinn einer halben Sekunde. Zwischen 0,6 und 1 Sekunde soll der Geschwindigkeitsvorteil auf die Konkurrenz betragen, auch wenn vieles noch nicht offen gelegt wurde. So verzichtete Mercedes komplett auf den Einsatz der superweichen Reifen. Doch sowohl auf Medium als auch auf Soft war der W06 deutlich schneller als die Gegner.

Die größte Hoffnung der Konkurrenz dürfte an den Reifen hängen. Rosberg und Hamilton klagten in den letzten Test-Tagen deutlich über die Balance bei Fahrten auf Medium-Reifen. Dass Mercedes zu den Reifenproblemen der vergangenen Tage zurückkehrt, glaubt allerdings kaum jemand. Damit ist der F1 W06 der klare Favorit auf das beste Auto 2015. Zumindest in Sachen Technik deutet sich also eine Fortsetzung der Dominanz an.

Auto - Note: sehr gut

Der Silberpfeil ist erneut das stärkste Auto im Feld, Foto: Mercedes-Benz
Der Silberpfeil ist erneut das stärkste Auto im Feld, Foto: Mercedes-Benz

Die Zuverlässigkeit: Mercedes legte zum Auftakt der diesjährigen Testfahrten los wie die Feuerwehr. Eine Wiederholung der vergangenen Saison und Grundstein für den späteren Mega-Erfolg. Schon früh begannen Hamilton und Rosberg mit dem Abspulen von Grand-Prix-Distanzen. Der Grund dafür liegt im verschärften Reglement. 2015 stehen jedem Fahrer nur noch vier statt fünf Power Units zur Verfügung. Wegen des zusätzlichen Rennens muss jeder Motor als 25 Prozent länger halten als zuvor.

Mercedes ist klar, dass die Zuverlässigkeit dieses Jahr noch entscheidender ist. Mercedes weiß auch, dass kein anderes Auto an den reinen Speed des Silberpfeils heranreicht. Oberste Priorität war es also, den F1 W06 so kugelsicher wie möglich zu machen. Die Testfahrten haben gezeigt, dass das Team in diesem Punkt schon sehr weit ist. Rosberg und Hamilton legten mit Abstand die meisten Test-Kilometer zurück und hatten dabei nur kleinere technische Probleme. Schwierigkeiten bereitete lediglich das Setup - das sollte allerdings die kleinste Hürde beim neuen Auto darstellen.

Zuverlässigkeit - Note: gut

Reifen-Management als einzige Hoffnung für die Konkurrenz, Foto: Sutton
Reifen-Management als einzige Hoffnung für die Konkurrenz, Foto: Sutton

Die Fahrer: Das Talent von Rosberg und Hamilton ist unbestritten. Interessanter ist die psychische Komponente der beiden Ausnahmefahrer. Hamilton geht als Weltmeister mit breiter Brust voran, verzichtet sogar auf die Startnummer 1. Ein deutliches Zeichen: 'Ich bin die Nummer 1, das muss ich nicht mit einer Zahl zeigen.' Ein Knackpunkt in dieser Saison könnten die Vertragsverhandlungen werden.

Der Brite managt sich nun wieder selbst, will Gerüchten zufolge Topverdiener in der Formel 1 werden. Hier besteht am ehesten Sprengstoff-Potenzial. Hamilton, das hat die Vergangenheit gezeigt, schwächelt gern, wenn das Gesamtpaket nicht stimmt. Dabei darf auch die Trennung von Freundin Nicole Scherzinger nicht ganz vernachlässigt werden. Hamilton wirkte 2014 charakterlich gefestigt wie nie zuvor. Kann er daran anknüpfen?

Bei Nico Rosberg sieht die private Situation ganz anders aus. Die Zukunft ist geklärt und dieses Jahr wird der Wahl-Monegasse auch noch Vater. Ehefrau Vivian erwartet das Kind im August. Harmonie pur im Hause Rosberg also. Dieses Jahr stellt sich vielmehr die Frage, ob er über den nötigen Biss verfügt.

Rosberg galt jahrelang als zu nett, um Weltmeister werden zu können. Doch 2014 gelang es ihm eindrucksvoll, diesen Vorwurf zu widerlegen. Vor allem zum Saisonende hin setzte er auf Psychotricks und steckte nicht mehr zurück. Gebetsmühlenartig ritt er etwa auf Hamiltons Fehler in Brasilien herum, um seinen Teamkollegen zu verunsichern. Dass Rosberg nach der verlorenen Weltmeisterschaft wahre Größe bewies, ließ sein Ansehen weltweit steigen.

Fahrer - Note: sehr gut

Wie geht es weiter mit Lewis Hamilton?, Foto: Sutton
Wie geht es weiter mit Lewis Hamilton?, Foto: Sutton

Saisonziel: Ganz klar: Verteidigung der Team- und Fahrerweltmeisterschaft

Pro

  • Das mit Abstand beste Auto im Feld
  • Fahrer auf Augenhöhe, die sich gegenseitig pushen
  • Keine finanziellen Sorgen mit Blick auf die Weiterentwicklung

Contra

  • Auf Mercedes lastet nie dagewesener Erfolgsdruck
  • Hamilton/Rosberg bieten genügend Sprengstoff-Potenzial
  • Hamiltons ungeklärte Zukunft könnte zum Risiko werden