Die offizielle Zeitrechnung zu verändern, wurde zuletzt in der französischen Revolution ohne durchschlagenden Erfolg versucht. Für eine Reihe von Fans von Michael Schumacher aber dürfte fürs Erste eine inoffizielle Zählweise vorherrschen. 2014 war Jahr 1 im größten Kampf eines Idols für Millionen von Menschen. Und Michael Schumacher tat, was er schon immer am besten konnte: Kämpfen. Unbestreitbar im größten Kampf seines Lebens sprang er erst dem Tod von der Schippe, mühte sich durch ein fast halbjähriges Koma, und kämpft nun um eine Rückkehr in ein wenigstens halbwegs normales Leben. Wir blicken zurück auf ein Jahr voller Kampf, Hoffnung und Bangen.

Was geschah genau am Vormittag des 29. Dezember 2013?

Am frühen Nachmittag sickern erste Meldungen durch, dass Michael Schumacher einen schweren Unfall auf einer Skipiste in Meribel gehabt habe. Wie sich herausstellte, befand sich der Rekordweltmeister zu diesem Zeitpunkt schon im kritischen Zustand im Krankenhaus Grenoble. Um 11:07 Uhr stolperte Schumacher auf einem Hang des Saulire leicht abseits einer Kreuzung zweier Skipisten zunächst über einen Felsen und traf anschließend einige Meter weiter mit dem Hinterkopf auf einen weiteren Felsen. Der Helm zerbrach dabei in mehrere Teile. Ohne Helm wäre Schumacher wohl auf der Stelle tot gewesen. Spätere Untersuchungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass er nicht mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei.

Mont Saulire: Hier spielte sich das Drama ab, Foto: adrivo Sportpresse GmbH
Mont Saulire: Hier spielte sich das Drama ab, Foto: adrivo Sportpresse GmbH

Nur acht Minuten nach dem Sturz waren die ersten Rettungskräfte vor Ort. Schumacher soll zu diesem Zeitpunkt noch bei Bewusstsein gewesen sein. Erste Hilfe wird geleistet. Noch vor 12 Uhr wird er mit einem Hubschrauber von der Skipiste weggeflogen. Kurz vor seinem Unfall soll Schumacher einem gestürzten Mädchen geholfen haben, doch diese Berichte wurden nie offiziell bestätigt. Seine Motivation, die Piste zu verlassen, ist höchstwahrscheinlich damit zu begründen, dass der Schnee dort noch frisch war. Er entfernte sich jedoch nie zu weit von der Piste und gilt als guter Skifahrer. Den verhängnisvollen Stein konnte er nicht rechtzeitig erkennen.

Welche Stationen durchfuhr Schumacher nach dem Sturz?

Keine Stunde nach seinem Sturz befindet sich Michael Schumacher im Krankenhaus Moutiers, in das er mit einem Rettungshubschrauber geflogen wurde. Erst hier wird klar, dass seine Verletzungen wohl schwerwiegender sind als zunächst angenommen. Aus diesem Grund wird er wieder verlegt, diesmal ins Krankenhaus Grenoble, wo er ein halbes Jahr im Koma verbringen sollte. Am 16. Juni 2014 wurde der nun aus dem Koma erwachte Schumacher in eine Reha-Klinik in Lausanne verlegt. Aus dieser wurde er am 9. September 2014 entlassen und durfte nach Hause gehen, wo seitdem die Rehabilitation fortgesetzt wird.

In den ersten Stunden wurde Schumacher zweimal ausgeflogen, Foto: adrivo Sportpresse GmbH
In den ersten Stunden wurde Schumacher zweimal ausgeflogen, Foto: adrivo Sportpresse GmbH

Welche Verletzungen trug Schumacher davon?

Schon kurz nach dem Unfall wurde bestätigt, dass Michael Schumacher sich bei seinem Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen habe. Doch dabei sollte es nicht bleiben: Zusätzlich zu dem Trauma erlitt er Prellungen und Blutergüsse, die sich als das größte Problem herausstellen sollten. "Er hatte Hirnverletzungen und diese waren im Gehirn weit verbreitet", sagte der behandelnde Arzt Jean-Francois Payen. Die schwersten Verletzungen erlitt er auf der rechten Schädelseite, mit der er auf den Felsen geknallt war.

Schumacher wurde zunächst in ein Koma versetzt, seine Hirnverletzungen wurden als "schwer" eingestuft, die höchste Ausprägung auf einer dreistufigen Skala. Die Gefahr dauerhafter Schäden ist damit gegeben. Im Februar kamen Gerüchte um eine Lungenentzündung beim Rekordweltmeister auf, die aber nie bestätigt worden sind. Gebetsmühlenartig wurde sein Zustand als "kritisch, aber stabil" beschrieben.

Welche Operationen wurden vorgenommen?

Direkt nach der Einlieferung in die Klinik in Grenoble wurde der siebenfache Weltmeister ins Koma versetzt und einer ersten Operation unterzogen. Dem zu diesem Zeitpunkt in akuter Lebensgefahr befindliche Schumacher wurde dabei ein Loch ins Gehirn gebohrt, um den nach dem Sturz aufgebauten Druck im Schädel abzubauen. Die Operation wurde am darauf folgenden Vormittag beschädigt.

In den ersten Tagen wurde der Informationsdurst der Welt durch Pressekonferenzen gestillt, Foto: Euronews
In den ersten Tagen wurde der Informationsdurst der Welt durch Pressekonferenzen gestillt, Foto: Euronews

In der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 2013 wurde eine zweite Operation vorgenommen, bei dem ein großes Hämatom aus der linken Gehirnhälfte entfernt wurde. Es war bei weitem nicht das einzige in seinem Schädel, doch die anderen, kleineren Blutaustritte konnten nicht entfernt werden. Das Koma wurde daraufhin noch mehrere Wochen aufrecht erhalten, bevor einen Monat später der Aufwachprozess eingeleitet wurde. Anfang April soll er erste Zeichen des Bewusstseins gezeigt haben, am 16. Juni 2014 wurde Michael Schumacher offiziell für wach erklärt.

Wie geht es Schumacher jetzt? Wird er jemals wieder der Alte?

Vom Zustand Schumachers wird nicht allzu viel nach außen kommuniziert, da auch die Privatsphäre des Kerpeners zu beachten ist. "Wir brauchen viel Zeit. Es wird lange dauern und ein harter Kampf", sagte Sabine Kehm Ende Dezember. Detail werden aber nicht öffentlich gemacht.

Aufatmen im September: Michael Schumacher verließ nach achteinhalb Monaten die Klinik, Foto: Motorsport-Magazin.com
Aufatmen im September: Michael Schumacher verließ nach achteinhalb Monaten die Klinik, Foto: Motorsport-Magazin.com

Aktuell verfolgt sein behandelnder Arzt Payen einen "Ein- bis Dreijahresplan". Ob Schumacher jemals wieder ein normales Leben führen und in der Öffentlichkeit auftreten kann, lässt sich auch ein Jahr nach dem Unfall nicht prognostizieren. "Wir müssen die Zeit spielen lassen. Einen seriösen Ausblick könnte ich nie geben. In dieser Situation ist das nicht möglich", fügte Kehm in ihrem November-Statement hinzu. Es gibt bei Hirnverletzungen keinen vorgezeichneten Weg wie bei Brüchen oder anderen Wunden. Jeder Einzelfall ist ein Fall für sich. Vieles hängt auch vom Willen ab, und bekanntlich hat Schumacher einen sehr großen.

Welche Reaktionen gab es auf Schumachers Unfall?

Der Unfall Schumachers löste ein weltweites Medienecho aus, das nur vergleichbar ist mit tragischen Todesfällen, etwa dem Tod Prinzessin Dianas. Die ersten Tage nach dem Unfall wurde weltweit berichtet, soziale Netzwerke liefen mit Genesungswünschen über. Bis heute werden unter #keepfightingmichael täglich Hunderte Tweets hinzugefügt. Von Angela Merkel über Dirk Nowitzki bis hin zu Bill Gates wünschte nahezu alles, was Rang und Namen hat, Schumacher alles Gute.

Insbesondere die Motorsportwelt war vom Unfall ihres Aushängeschilds komplett aufgekratzt. Mercedes AMG fuhr die gesamte Saison über mit dem Fighting-Hashtag auf dem Fahrzeug, und sämtliche Fahrer und ehemalige Kontrahenten wünschten Schumacher immer wieder alles Gute. "Ich denke jeden Tag an ihn", gab Felipe Massa zu, der nicht nur Teamkollege, sondern auch Freund Schumachers ist. Schumacher wurde immer wieder von Weggefährten besucht, so etwa jüngst von FIA-Präsident Jean Todt, der ihm bescheinigte, "Fortschritte" über die vergangenen Wochen und Monate gemacht zu haben.

Die Genesungswünsche an Michael Schumacher waren allgegenwärtig, Foto: Sutton
Die Genesungswünsche an Michael Schumacher waren allgegenwärtig, Foto: Sutton

Familie Schumacher bedankte sich immer wieder für die gewaltige Anteilnahme, so zuletzt Mitte November, als Corinna Schumacher verlauten ließ: "Noch immer erreichen uns täglich Genesungswünsche für Michael, und noch immer macht uns das Ausmaß der Anteilnahme sprachlos." Bei Google war Michael Schumacher in Deutschland die am meisten gesuchte Person 2014, noch vor Helene Fischer.

Welche Kontroversen spielten sich um Schumachers Unfall ab?

Natürlich avancierte der Unfall Schumachers zu einem medialen Großereignis, mit allen Folgen auch auf negativer Seite. Schon am Silvestertag 2013 versuchte ein als Priester verkleideter Journalist, in der Klinik zu Schumacher durchzudringen. Zwei unbekannte Personen versuchten ebenfalls, Fotos von ihm zu machen. Sie wurden der Klinik verwiesen. Ein derartiger Extremfall wiederholte sich zwar nicht, doch die Klinik in Grenoble wurde tagelang von Journalisten und Fans belagert. Erst als klar war, dass dieser Fall nicht innerhalb weniger Wochen gelöst sein würde, zog die Meute langsam ab.

Corinna Schumacher wandte sich in einem emotionalen Aufruf an die Medien: "Bitte unterstützen Sie uns in unserem gemeinsamen Kampf mit Michael. Es ist mir wichtig, dass Sie die Ärzte und das Krankenhaus entlasten, damit diese in Ruhe arbeiten können - vertrauen Sie bitte deren Statements und verlassen Sie die Klinik. Bitte lassen Sie auch unsere Familie in Ruhe." Durch das hohe Medieninteresse sollen auch Ärzte bei anderen kritischen Fällen, die in der Klinik behandelt wurden, behindert oder abgelenkt worden sein.

Zusätzlich zu den Journalisten pilgerte eine Reihe Fans zur Klinik in Grenoble, Foto: Ferrari
Zusätzlich zu den Journalisten pilgerte eine Reihe Fans zur Klinik in Grenoble, Foto: Ferrari

Als Schumacher wieder nach Hause durfte, wiederholten sich die Ereignisse aus Grenoble vor seiner Villa im schweizerischen Gland, so dass sogar die Polizei mit einem Räumkommando anrückte. Des Öfteren wurde kritisch hinterfragt, ob ein Einzelschicksal eines Prominenten eine derartige Berichterstattung wert sei, während tagtäglich Hunderte von Tragödien unbemerkt an der Öffentlichkeit vorbeigehen. Andererseits sprechen weltweite Zugriffszahlen zu Nachrichten über Michael Schumacher eine deutliche Sprache. Im August verklagte Corinna Schumacher das ZDF und die taz für die Veröffentlichung von Fotos, scheiterte damit jedoch.

Am 23. Juni 2014 wurde bekannt, dass Michael Schumachers Krankenakte gestohlen worden sei. Im Internet wurde sie mit einem Einstiegsgebot von 50.000 Euro zur Versteigerung angeboten. Mit Hilfe der IP-Adresse konnte der Täter rasch in Haft genommen werden; er erhängte sich am 6. August in seiner Zelle.