2. September 2013. Ein dunkler, sternenloser Nachthimmel thront über Salzburg. Nur einige behelfsmäßig aufgebaute Scheinwerfer erhellen den Vorplatz des Hangar 7. Wie in einem Krimi bahnt sich ein schwarzer Infiniti gemächlich seinen Weg in Richtung Eingang. Hinter den getönten Scheiben versteckt sich der neue Teamkollege von Serienchampion Sebastian Vettel. Die hintere Tür schwingt auf und ein nur allzu bekanntes, entwaffnendes Lächeln kommt zum Vorschein. Das Australier-wechsel-dich-Spielchen hat ein Ende: Daniel Ricciardo wird Nachfolger von Mark Webber bei Red Bull.

Der Wechsel des Australiers vom kleinen Bruder Toro Rosso ins Weltmeisterteam von Red Bull Racing stellt für Formel-1-Insider keine große Überraschung dar, die Vertragslaufzeit von nicht weniger als drei Jahren hingegen schon. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war eine wichtige Frage noch unbeantwortet: Wie gut ist dieser Daniel Ricciardo wirklich?

25. Mai 2014. Mit einem breiten Grinsen nimmt Ricciardo den Pokal für den dritten Platz von Fürst Albert von Monaco entgegen und überstrahlt mit seinem Lächeln selbst Sieger Nico Rosberg. Sebastian Vettel ist das Lachen hingegen längst vergangen, mal wieder ließ ihn die Technik im Stich und mal wieder stahl ihm sein neuer Teamkollege die Show. "Daniel hat mit seiner bisherigen Performance alle Kritiker Lügen gestraft", erklärt Marc Surer gegenüber Motorsport-Magazin.com.

Während Vettel die gesamte Saioson mit seiner Suzie zu kämpfen hat, ist es Ricciardo, der beweist, dass Designgenie Adrian Newey ein durchaus schnelles Auto gebaut hat. "Der Red Bull ist hinter Mercedes das beste Auto - von dem her hat Newey wie erwartet wieder ein gutes Auto gebaut. Sicherlich haben sie eine Sekunde Rückstand auf Mercedes, aber den Rest des Feldes haben sie im Griff", betonte Surer.

Gleich in seinem ersten Rennen für Red Bull, und unter dem Druck der heimischen Fans, beendete Ricciardo den Saisonauftakt in Australien auf Rang zwei. Nach dem Rennen kam dann die böse Überraschung: wegen eines irregulären Benzindurchflusses wurde Ricciardo disqualifiziert - daran konnte auch eine Berufung nichts ändern. Nach einem Ausfall in Malaysia drehte der Aussie in Bahrain und China derart auf, dass das Team Vierfach-Champion Vettel anwies, seinem schnelleren Teamkollegen Platz zu machen.

Ricciardo gewann als einziger Nicht-Mercedes-Pilot Rennen, Foto: Red Bull
Ricciardo gewann als einziger Nicht-Mercedes-Pilot Rennen, Foto: Red Bull

Überraschung des Jahres

Für Johnny Herbert war Ricciardo die positive Überraschung des Jahres, nicht zuletzt, weil es dem 25-Jährigen gelungen ist, seine Schwächen, speziell im Renntrimm, auszumerzen. "In der Vergangenheit war Daniel im Qualifying gut, hatte aber immer etwas Schwierigkeiten im Rennen. In diesem Jahr ist er in beidem großartig", schwärmte Herbert im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Mit dem Podestplatz in Monaco ließ Ricciardo seinen Teamkollegen erstmals in der Fahrerwertung hinter sich.

"Daniel ist hochmotiviert und im Vergleich zu Sebastian weniger empfindlich, wenn das Auto nicht so gut ist. Für ihn ist dieses Jahr die große Chance und er macht das Beste daraus", erklärte Surer und fügt scherzend hinzu: "Und ich gehe mal davon aus, dass das Auto immer noch besser liegt als ein Toro Rosso. Nein, im Ernst: Daniel hat eine tolle Einstellung. Das hilft ihm." Dank dieser Einstellung hebt der 25-Jährige trotz der Lobeshymnen auf seine Person nicht ab. Durch die starken Ergebnisse ist Ricciardos Selbstvertrauen gewachsen, doch in seiner Selbsteinschätzung ist der Australier immer noch realistisch.

Während die Medien Vettels Nummer-1-Status schnell in Frage stellten, gab sich Ricciardo gelassen. "Die Leute tun so, als sei die Saison schon zu Ende und ich hätte Sebastian geschlagen. Das ist aber nicht der Fall. Es ist für mich bisher gut gelaufen und das freut mich", erläuterte der Red-Bull-Pilot mit seinem typischen Grinsen im Gesicht. Dieses perfekte Zahnpasta-Lächeln ist zum Markenzeichen des Australiers geworden. Während das Lächeln bei anderen Fahrern aufgesetzt wirkt, kauft man es Ricciardo zu 100 Prozent ab. "Ich habe schon viele Fahrer zu einem großen Team wechseln sehen und es hat ihren Charakter verändert. Bei Daniel hat sich bisher nichts verändert. Er lacht immer noch", betont Johnny Herbert.

Seine positive Grundhaltung erklärt der Sonnyboy aus Perth damit, dass es weniger Stress bedeute, wenn man freundlich sei. Zudem habe ihn Big-Boss Dietrich Mateschitz geraten, sich unter allen Umständen sein Lächeln zu bewahren. "Das kann man mögen oder eben nicht", meint Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. "Es gibt durchaus Leute, die sagen: 'Haut dem Ricciardo endlich mal in die Fresse, damit er aufhört zu grinsen.' Doch alle Rennfahrer haben eine Vergleichsbasis - das Ergebnis respektive die Rundenzeiten. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Chapeau!"

Ricciardo erwies sich Vettel als ebenbürtig, Foto: Sutton
Ricciardo erwies sich Vettel als ebenbürtig, Foto: Sutton

Bei aller Disziplin und dem Ehrgeiz, es ganz nach oben zu schaffen, hat sich Ricciardo seine Leichtigkeit bewahrt. Für seine entspannte und lockere Art wird er im Fahrerlager von Kollegen und Journalisten gleich hoch geschätzt. Starallüren sind ihm nicht anzumerken. Im Gegenteil: Er hat nicht vergessen, wer schon in den vergangenen Jahren in Diensten des Talentschuppens Toro Rosso den längeren Weg ins Mittelfeld der Startaufstellung auf sich genommen hat. Laut Danner konnte sich sogar Vettel von Ricciardos Außendarstellung noch eine Scheibe abschneiden.

"Es tut mir weh, das zu sagen, aber Vettel hat sich in meinen Augen in seiner Außendarstellung nicht sehr glücklich benommen. Ich habe es für sehr unklug von ihm gehalten, als viermaliger Weltmeister permanent auf den eigenen Sport draufzuhauen", kritisierte Danner Vettels Kritik an den neuen Regeln und dem in seinen Ohren zu dürftigen Sound. Nach Ansicht der Experten beschädigte die starke Performance von Ricciardo weit weniger Vettels Image als jenes seines Vorgängers Mark Webber. "Die große Frage, die sich mir stellt, ist: ist Webber so eine Banane gewesen oder waren es die technischen Umstände, die dazu geführt haben?", stellte Danner in den Raum.

In seinen 215 Formel-1-Rennen holte Webber 42 Podestplätze und gewann neun Rennen, den letzten großen Schritt schaffte er aber nie. 2010, 2011 und 2013 reichte es in der Weltmeisterschaft jeweils nur zu Platz drei. "Es zeichnet sich kristallklar ab, dass Webber mit dem angeblasenen Auspuff immer deutlich hinter Vettel lag", erklärte Danner. Wann immer es diesen Vorteil nicht gab, seien Vettel und Webber gleichauf gewesen oder Webber sogar vor dem Deutschen. "Ich glaube schon, dass dieser angeblasene Diffusor fahrstiltechnisch etwas ist, was Sebastian perfektioniert hat und was er jetzt nicht mehr nutzen kann, speziell beim Bremsen."

Ricciardo hatte hingegen kein Problem, sich vom schwächeren Toro Rosso, der in diesem Bereich nie das Niveau seiner Red-Bull-Brüder erreichte, auf den neuen RB10 einzustellen. Er hat seinen Fahrstil nie so stark an den angeblasenen Unterboden angepasst, wie Vettel es in den vergangenen Jahren praktizierte und geradezu perfektionierte. Aber wie gut ist dieser Daniel Ricciardo nun wirklich? "Daniel hat noch keinen WM-Titel gewonnen", betont Danner. "Aber so wie er sich präsentiert und dabei diese Leistung abruft, da kann man nur sagen: Hut ab!" Bis zum ersten WM-Titel eines Australiers seit Alan Jones ist es noch ein weiter Weg. Mit Daniel Ricciardo sitzt aber ein Fahrerkaliber im Red Bull, das dazu im Stande ist, zugleich einem vierfachen Weltmeister Feuer unter dem Hintern zu machen und dabei über das gesamte Gesicht zu lachen.

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