Die Aufklärung des tragischen Unfalls Jules Bianchis am 5. Oktober 2014 beim Japan GP in Suzuka förderte erstaunliches zutage. Demnach hätte auch ein geschlossenes Cockpit den Franzosen in Diensten Marussias nach seinem Intensivkontakt mit einem Bergungskran bei Tempo 130 nicht vor seinen lebensbedrohlichen Kopfverletzungen bewahrt. Unmittelbar nach der Katastrophe war kurzzeitig darüber spekuliert worden, aus Sicherheitsgründen auch künftig die Formel-1-Boliden im Stile der Le-Mans-Prototypen mit einer Cockpithaube zu versehen.

Bianchi war in Runde 43 des durch Phasen starken Regens geprägten Rennens trotz doppelt gelber Flaggen von der Strecke abgekommen. Da durch abschüssiges Gelände unvorhergesehen größere Mengen Wasser aus der Umgebung auf die Ideallinie flossen, Bianchi zudem deutlich zu schnell unterwegs war, verlor er die Kontrolle über seinen Boliden. Nur eine Runde zuvor war Adrian Sutil an selber Stelle abgeflogen - Bianchi traf bei Tempo 130 mit seinem Kopf am Heck des Krans auf.

Überlebenssichere Boliden nicht realisierbar

Die Untersuchungen des zehnköpfigen Panels, zu dem unter anderem Ross Brawn, Stefano Domenicali, Emerson Fittipaldi und Alex Wurz gehörten, kamen zu folgendem Ergebnis: Ein knapp 700 kg schweres Auto kann bei einer Kollision mit einem rund 6500 kg schweren Bergungskran bei Tempo 130 nicht per Definition überlebenssicher gebaut werden. Aufgrund der Eigenheiten eines Formel-1-Autos sei es per se unmöglich, eine Struktur des Boliden zu schaffen, die Kräfte dieses Ausmaßes absorbieren könnte. Auch eine Cockpithaube wäre in diesem Fall vollständig zerstört worden. Ebensowenig helfen könnte in solchen Fällen eine 'Polsterung' der Kräne, um harte Einschläge abzufedern.

Selbst Cockpithauben helfen nicht in allen Situationen, Foto: youtube/FIA Institute
Selbst Cockpithauben helfen nicht in allen Situationen, Foto: youtube/FIA Institute

Um schwere und möglicherweise tödliche Unfälle wie den Bianchis zukünftig zu vermeiden, unterbreitete die Unfall-Kommission vor dem Weltrat der FIA mehrere Vorschläge, präventiv Maßnahmen zur Sicherheit der Piloten zu ergreifen. Ausdrücklich wiesen sie jedoch mehrfach darauf hin, dass es nicht das Ziel sein könne, den Kontakt zwischen einem Rennboliden und einem Gefährt von den Ausmaßen eines Bergungskrans für einen Piloten überlebenssicher zu machen.

Höchster Fokus müsse demnach darauf liegen, dass es zwischen einem abfliegenden Rennauto niemals zum Kontakt mit Bergungsmaschinerie oder gar dem beteiligten Streckenpersonal komme. Motorsport-Magazin.com präsentiert euch kurz und kompakt die Vorschläge des Unfall-Panels:

Die Vorschläge des Panels auf einen Blick:

1. Eine neue Regelung für den Fall der doppelten gelben Flaggen:
Forderung nach einer festgeschrieben Höchstgeschwindigkeit in den betroffenen Sektoren. Dieser Punkt ist durch die fixe Einführung des virtuellen Safety Cars ab der Saison 2015 jedoch praktisch bereits abgedeckt.

das virtuelle Safety Car ist eine direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Red Bull
das virtuelle Safety Car ist eine direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Red Bull

2. Überarbeitung der sicherheitsbezogenen Software der Rennboliden:
Wie die Untersuchung ergab, ereilte Bianchis Marussia MR03 eine Fehlfunktion des FailSafe-Systems. Dieses stoppt automatisch den Vortrieb, sollten Gaspedal und Bremse gleichzeitig betätigt werden. Durch eine vom Break-by-Wire-System des Marussias vorgerufene Fehlfunktion, setzt dieser Effekt jedoch aus, was möglicherweise die Einschlaggeschwindigkeit Bianchis erhöhte.

3. Abflusssysteme der Rennstrecken:
Sowohl rund um die Strecken als auch auf den Versorgungswegen soll durch bessere Abflussmöglichkeiten eine Überschwemmung der Fahrbahn so weit wie möglich eingedämmt werden. Die gilt vor allem in abschüssigem Gelände, wo aus höhergelegenen Teilen des Areals Wasser in andere Bereiche abfließen kann. Dies wurde Adrian Sutil und Bianchi in Suzuka zum Verhängnis.

4. Die 4-Stunden-Regel:
Rennen sollen zukünftig ausschließlich zu einer Tageszeit gestartet werden, bei der garantiert ist, dass auch im schlimmsten Fall eines Ausreizens der maximalen Renndauer von vier Stunden noch die gleichen Lichtverhältnisse herrschen wie zu Beginn. Ausnahmen bilden hierbei offiziell deklarierte Nachtrennen. Vor allem wird jedoch empfohlen, keine Rennen in Gebieten anzusetzen, in denen zu diesem Zeitpunkt ausgewiesen eine 'Regenzeit' herrscht. Hier gelte es, den Kalender zu überarbeiten und jedwede Grands Prix an einen anderen Zeitpunkt des Jahres zu verlegen.

5. Die Superlizenz:
Fahrer, die erstmalig die Superlizenz erwerben, sollten gezwungen sein, ebenfalls einen theoretischen Test über sämtliche Sicherheitsprozeduren innerhalb der Formel 1 abzulegen. Jeder Pilot sollte zwingend darüber Bescheid wissen, welche Maßnahmen während eines offiziellen Events zu welchem Zeitpunkt greifen, und welche Optionen zu jedem Zeitpunkt generell zur Verfügung stehen.

6. Genaue Prüfung der Risikoherde innerhalb der Formel 1:
Die 'Liste' an möglichen Risiken und Risikofaktoren in der Formel 1 sollte möglicherweise noch einmal grundüberholt werden. Das Panel empfiehlt ein genaues Studium sämtlicher relevanter Bereiche und darüber hinaus eine intensive Recherche bezüglich möglicherweise noch unbeachteter Sicherheitslücken.

7. Die Reifen:
Obwohl die Pirelli-Reifen nachweislich keine Mitschuld am Unfall Bianchis tragen, soll der jeweils zuständige Hersteller nach jeder Saison gezwungen sein, vor allem die Regenreifen umfassenden Tests unter verschiedenen Bedingungen zu unterziehen - und diese gegebenenfalls entsprechend weiterzuentwickeln. Bereits beim Saisonauftakt des jeweiligen Jahres müssen die vollständig entwickelten Reifen dann zur Verfügung gestellt werden.

Auch Reifenhersteller Pirelli soll bei der Entwicklung der Regenreifen alle Stellschrauben drehen, Foto: Sutton
Auch Reifenhersteller Pirelli soll bei der Entwicklung der Regenreifen alle Stellschrauben drehen, Foto: Sutton

Bianchi-Unfall: Die wichtigsten Befunde auf einen Blick

  • 1. Plötzlicher Wassereinfluss auf die Ideallinie in Kurve 7 überraschte Sutil und Bianchi
  • Durch Sutils Unfall und die Bergung seines Saubers 'doppel-gelb' in den Sektoren 7 und 8
  • Keine angemessene Geschwindigkeitsreduktion Bianchis trotz 'doppel-gelb'
  • Heftiges Gegenlenken Bianchis vor dem Abflug sorgte für ein verfrühtes Verlassen der Strecke und letztlich den Zusammenstoß mit dem Kran
  • FailSafe-Sytem am Marussia bei gleichzeitigem Betätigen von Bremse und Gas funktionierte nicht - wohl verminderte Geschwindigkeitsreduktion
  • Bianchi wahrscheinlich verwirrt durch blockierende Räder und Fehlverhalten des Autos - kein angemessener Ausweichversuch
  • Kopf stieß bei Tempo 130 km/h mit dem Kran zusammen
  • Safety Car wurde korrekterweise nicht auf die Strecke geschickt: Keine Probleme bei vorangegangen 384 ähnlichen Fällen
  • Stewards und Rettungskräfte mit fehlerfreiem Einsatz

Das Bianchi-Unfall-Panel auf einen Blick

  • Vorsitz:
  • Peter Wright, Präsident der Sicherheitskommission
  • Mitglieder:
  • Ross Brawn, ehemaliger Teamchef des Mercedes F1 Teams und ehemaliger Technischer Direktor der Scuderia Ferrari
  • Stefano Domenicali, ehemaliger Teamchef der Scuderia Ferrari
  • Gerd Ennser, Vertreter des Chef-Stewards der Formel 1
  • Emerson Fittipaldi, Präsident der FIA-Fahrerkommission, Steward der Formel 1
  • Eduardo de Freitas, WEC Renndirektor
  • Roger Peart, Präsident der Streckenkommission, Präsident der kanadischen ASN, Steward der Formel 1
  • Antonio Rigozzi, Anwalt, Richter am Internationalen Anklage-Hof der FIA
  • Gérard Saillant, Präsident des FIA-Instituts und Präsident der Medizinischen Kommission
  • Alex Wurz, Präsident der GPDA, Vertreter der Piloten der Formel 1