Die erste Saison unter dem neuen Reglement mit den Power Units ist vorbei. Wie gefallen dem Motorenpapst Mario Illien die neuen Power Units?
Mario Illien: Also technisch sind sie interessant, daran gibt es keinen Zweifel. Nach einer Saison muss man aber sagen, dass die Unterschiede zu groß sind. Der Wettkampf findet nicht auf der Strecke statt, sondern zwischen den Ingenieuren. Das macht das Renngeschehen weniger interessant, als es sein könnte. Und sie sind zu teuer.

Also stimmen Sie der These, es handelt sich um eine Ingenieurs Formel aber nicht um eine Formel 1 für den Fan zu?
Mario Illien: Ja, ich glaube so wie es jetzt im Moment ist, muss man diese These stützen. Vielleicht nicht nur für die Fans, sondern auch weniger eine Formel 1 für die Fahrer.

Sie sind selbst Unternehmer, Sie wissen, was die Automobilindustrie braucht und will. Ist das technische Reglement aus diesem Aspekt nicht sinnvoll?
Mario Illien: Der Schritt ist sicher interessant und in vielen Belangen sicherlich relevant. Aber: Die Zuschauer wollen nicht wissen, ob wir 100 oder 120 Kilogramm Benzin verbrauchen - das interessiert sie nicht. Die wollen ein gutes Rennen und einen guten Fight auf der Strecke sehen.

Vor der Saison wurde befürchtet, es würde eine Spritspar-Formel werden. Remi Taffin sagte uns in einem Interview, es wird sogar weniger Sprit gespart als in den letzten Jahren. Ist es aus ihrer Sicht eine Spritspar-Formel?
Mario Illien: Die Aggregate und das ganze System sind sehr effizient - daran gibt es keinen Zweifel. Aber das Spritsparen begrenzt natürlich auch die maximale Leistung und die Drehzahl. Man kommt mit dem Benzin aus, das ist kein Problem. Aber das Feld müsste vor allem enger zusammen sein, das ist das Hauptproblem. Wenn ich die Leute so beobachtet habe, haben sie mehr Freude an der GP2 als an der Formel 1. Das für einen Bruchteil der Kosten.

Die Mercedes-Power-Unit ist die Benchmark, Foto: Mercedes-Benz
Die Mercedes-Power-Unit ist die Benchmark, Foto: Mercedes-Benz

Wie könnte man mit den aktuellen Power Units den Sound verbessern?
Mario Illien: Sound mit Turbo-Autos ist immer schwierig... Der Turbo absorbiert immer einiges an Sound. Man kann ihn sicher ein bisschen verändern, aber nichts massives.

Es gab aber auch schon besser klingende Turbos - in den 80ern zum Beispiel. Ist die MGU-H zusätzlich kontraprodutiv?
Mario Illien: Sie hat auch einen Einfluss, ja. Ich glaube, man könnte die Power Units etwas lauter machen, wenn man die Wastegates separat rausführen würde, aber das macht natürlich nicht einen Unterschied wie zwischen Turbo und Saugmotor.

Soundproblem schwer zu lösen

Jetzt gab es den Vorschlag, einen komplett neuen Motor zu entwickeln. Bi-Turbo, ohne MGU-H. Würde das beim Sound Abhilfe schaffen?
Mario Illien: Ja, aber deutlich verbessern würde ich nicht sagen. Bei den IndyCars haben wir das ja. Die sind ein bisschen lauter, aber das liegt nicht nur daran. Dort fahren sie auch mit viel weniger Druckverhältnis über dem Turbolader. Weniger Ladedruck bedeutet auch weniger Abgasgegendruck im Turbo, das hilft ein bisschen.

Sie haben die Finanzen angesprochen, die sind der Hauptgrund für die Diskussionen. Wie groß ist denn das Einsparpotential mit Bi-Turbos ohne MGU-H?
Mario Illien: Das müsste man erst alles im Detail definieren. Da jetzt eine konkrete Zahl zu nennen - das geht nicht. Es ist aber natürlich auch ein Unterschied, wie die Formel 1 betrieben wird. Die Formel 1 ist auf der ganzen Welt. Man muss die Teams und die Motoren durch die ganze Welt fliegen. Das ist ein riesen Kostenaufwand. Die Hersteller, die da mitentwickeln, haben eine ganz andere Kostenstruktur, als wir das in Indy machen. Das kann man schlecht vergleichen.

Wo liegt denn Ihrer Meinung nach der große Vorteil der Mercedes Power Unit?
Mario Illien: Wenn man das so sieht, ist sie sicher effizienter, machen also mehr aus dem Kraftstoff, den sie zur Verfügung haben. Das ist der größte Unterschied. Das ist aber ein ganzes System: Turbo, Verdichter, MGU, auch Batterie und Leistungselektronik. Das spielt alles zusammen.

Sie haben Turbo und Verdichter angesprochen: Mercedes hat beide Bauteile räumlich weit voneinander entfernt angebracht. Remi Taffin meint, das mache Performance-technisch keinen großen Unterschied, es geht mehr um die Installation. Stimmen Sie zu?
Mario Illien: Nein. Man hat dadurch eine klare Trennung vom heißen Bauteil [Turbolader] zum kalten Bauteil [Verdichter]. Das ist sicher ein Vorteil. Die Luft kommt im Ladeluftkühler sicher kälter an. Über das Zentralgehäuse des Turboladers wird Wärme übertragen.

Gehen Sie davon aus, dass die anderen Motorenhersteller das nachmachen werden?
Mario Illien: Das ist die Frage. Das Reglement bestimmt natürlich, was gemacht werden kann. Und es ist auch mit riesigen Kosten verbunden diesen Turbo zu entwickeln.

Das Reglement sagt 32 Tokens. Was kann man damit anstellen?
Mario Illien: Das muss jeder Hersteller, ob Renault oder Ferrari, selbst individuell entscheiden, wo sie die größten Probleme haben und was für einen Token den größten Gewinn bringt. Das ist bei den unterschiedlichen Motorenherstellern sicherlich nicht das gleiche.

Aber für das Splitten von Turbo und Kompressor reichen die 32 Tokens?
Mario Illien: Im Detail weiß ich das nicht, wie viele Tokens man dafür benötigen würde. Das gibt aber auf jeden Fall eine Kettenreaktion, denn sie verschieben vieles andere damit auch. Der Einlass muss anders sein, und und und. Das sind alles Tokens!

Spielen wir 'Wünsch dir was'. Welchen Motor würden Sie gerne in Zukunft in der Formel 1 sehen?
Mario Illien: Das löst jetzt einen Konflikt in mir aus. Ich als Ingenieur mag ein solches Reglement. Das ist eine riesen Herausforderung, aber es ist nicht im Sinne der Formel 1. Als Fan will ich natürlich spannende Rennen. Eng zusammen, es müssen Zweikämpfe herrschen und es muss eine gewisse Ungewissheit da sein: Wer ist heute auf Pole? Das müssen mehrere schaffen können.