Ausgeschieden. Alles scheint gelaufen. Michael Schumacher klammert sich an einen Fangzaun in Adelaide. "Es waren unglaubliche Augenblicke, ich war völlig aufgelöst und hin und her gerissen", erinnert er sich später an diesen Moment zurück. In Runde 36 des entscheidenden WM-Finales in Australien liegt er vor seinem Titelrivalen Damon Hill. Im direkten Zweikampf mit dem Williams-Piloten kommt Schumacher aufs Gras, touchiert eine Mauer. Hill will die Chance nutzen, Schumacher versucht zu retten, was zu retten ist und seine Position zu verteidigen - dabei fährt er über Hills Vorderrad und segelt auf zwei Rädern ins Aus.

Entsetzen bei seinen Fans, völlig aufgelöst lehnt Schumacher am Zaun, sieht seinen ersten Weltmeistertitel davonschwimmen. "Ich wusste ja nicht, was mit Damon passiert war, ich wusste aber natürlich, dass wir beide viel Vorsprung auf die Viert-, Fünft- und Sechsplatzierten hatten, dass es also für Damon kein Problem sein sollte, diesen einen Punkt Vorsprung, den ich hatte, aufzuholen", erklärte Schumacher. Nach seinem Aus versucht er den Streckensprecher zu verstehen, doch es kommen nur Wortfetzen zu ihm durch. Plötzlich hört er: "Hill an der Box... Probleme..." Er hält Ausschau, schaut und wartet - aber Hill fährt nicht an ihm vorbei.

Schumacher vs Hill: Dieser Moment in Adelaide entschied die WM, Foto: Sutton
Schumacher vs Hill: Dieser Moment in Adelaide entschied die WM, Foto: Sutton

"Ich wusste überhaupt nichts mehr, ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, in mir waren sämtliche Gefühle völlig vermischt", gab Schumacher damals zu. Als ein Streckenposten ihm die Hand hinstreckt, ihm zum Gewinn der Formel 1-Weltmeisterschaft gratuliert, weiß er nicht, ob er es glauben darf. "Es war schrecklich, da draußen warten zu müssen. Aber es war unbeschreiblich, als es dann endlich feststand. Obwohl ich damals so konfus war, dass ich das gar nicht richtig einordnen konnte. Dass ich Weltmeister geworden sein sollte, das habe ich lange nicht richtig kapiert", verriet der Deutsche in einem späteren Interview.

Die Saison 1994 beginnt für Schumacher mit drei Siegen in Serie. Doch das Jahr seines Durchbruchs ist ein schwarzes Jahr für die Formel 1. In Imola verunglücken Roland Ratzenberger und Schumachers WM-Rivale Ayrton Senna tödlich. Aber nicht nur die Tragödie von Imola überschattet seine erste WM-Saison, sondern auch Diskussionen um Regelwidrigkeiten seines Benetton B194, Gerüchte um eine illegale Traktionskontrolle, die Beschlagnahmung der Elektronikbox samt FIA-Urteil über bestimmte Teile des Quellcodes, ein modifizierter Tankstutzenfilter, der den Feuerunfall seines Teamkollegen Jos Verstappen in Hockenheim auslöste, zwei Disqualifikationen in Silverstone und Spa-Francorchamps sowie eine Sperre für zwei Rennen.

All das nagt an Schumacher, dem Ruf seines Teams und seinen Titelchancen. Statt in 16 Rennen kann er nur in 12 Rennen Punkte sammeln. Beinahe entgeht ihm sogar sein Heim-GP in Hockenheim. In Silverstone zog Schumacher auf der Einführungsrunde an Hill auf der Pole Position vorbei. "Er war auf einmal so langsam, ich wollte nicht so hart bremsen", beschrieb er die Situation. Für das Überholen in der Formationsrunde bekam er eine 5-Sekunden Stop-&-Go-Strafe. Das teilte ihm sein Team nicht rechtzeitig mit, woraufhin ihm die schwarze Flagge gezeigt wurde - Disqualifikation. Schumacher fuhr weiter, absolvierte später seine Strafe und wurde noch Zweiter.

In der Woche vor dem Deutschland GP das böse Erwachen: der FIA World Motor Sport Council sperrt Schumacher für zwei Rennen, die Fans gehen auf die Barrikaden. Mit einem Einspruch gegen das Urteil kann das Team die Strafe hinauszögern. Lange überlegt das Team, ob man antreten soll. Der alte Hockenheimring mit seinen langen Waldgeraden ist nicht gerade eine Benetton-Strecke, der Renault befeuerte Williams sollte dort einen Vorteil haben. Aus Sicht des Teams wäre es für den WM-Kampf sinnvoller dort "zu pausieren". Doch die Entscheidung fällt zugunsten der heimischen Fans aus.

Schumacher wird nach seinem Sieg disqualifiziert, Foto: Sutton
Schumacher wird nach seinem Sieg disqualifiziert, Foto: Sutton

Schumacher geht bei seinem Heimrennen an den Start, fährt allerdings nur 20 Runden. Dann stoppt ihn ein Motorschaden. In Ungarn lässt er sich den Ärger und den Druck nicht anmerken. Er siegt souverän und wiederholt dieses Kunststück auch auf seiner Lieblingsstrecke in Spa-Francorchamps. Am späten Abend der nächste Schock: Schumacher wird von den Rennkommissaren disqualifiziert, weil seine Bodenplatte ein paar Millimeter zu viel abgenutzt war. "In der Schikanenkombination ist mir ein ziemlich dummer Fehler unterlaufen", erklärte Schumacher. Am Ausgang der Linkskurve kommt er zu weit raus und mit dem Hinterrad in den Dreck.

"Daraufhin ist mir natürlich das Auto ausgebrochen." Dabei hatte er noch Glück im Unglück. "Weil ich so viel Schwung hatte, hat sich das Auto um 360 Grad gedreht, und so konnte ich weiterfahren. Aber bei dem Dreher, als ich so über die Kerbs gerumpelt bin, habe ich mir meine Bodenplatte ruiniert." Nach dem Belgien GP bestätigte die FIA die Sperre für Italien und Portugal wegen der ignorierten schwarzen Flagge, nahm Schumacher die sechs Punkte aus Silverstone weg und schmetterte den Protest gegen die Disqualifikation von Belgien ab.

Es kommt zum Showdown in Jerez und Suzuka, wo jeweils einer der WM-Rivalen siegt. Dann geht es zum Finale nach Adelaide. Eine Saison, in der ein Fahrer mit nur 12 gewerteten WM-Läufen Weltmeister wird, bietet natürlich genügend Raum für fahrerische Glanzleistungen. Solche wie beim sportlichen Sieg in Belgien. In Barcelona zeigte Schumacher sogar ohne Sieg seine Extraklasse: wegen eines Getriebeproblems fährt er fast das gesamte Rennen nur im fünften Gang. Auch ein zweiter Platz kann weltmeisterlich sein.