Bei Sauber geht es in diesen Tagen mächtig rund. Innerhalb kürzester Zeit gab das Team seine Fahrerpaarung für 2015 bekannt. Marcus Ericsson und GP2-Pilot Felipe Nasr ersetzen die aktuellen Stammfahrer Adrian Sutil und Esteban Gutierrez. Das Szenario wirkt nicht wie von langer Hand geplant, gleicht eher einem Schnellschuss. Entsprechend fielen die Reaktionen aller Beteiligten im Fahrerlager von Brasilien aus. Motorsport-Magazin.com nimmt die Ungereimtheiten rund um das Team aus Hinwil unter die Lupe.

1. - Worüber regt sich Sutil auf?

Adrian Sutil schien angesichts der Verpflichtung von Felipe Nasr wie vom Blitz getroffen. Angeblich habe er erst durch die entsprechende Pressemitteilung des Teams am späten Mittwochabend von seinem Rauswurf erfahren. Entsprechend überrollt wirkte Sutil am Donnerstag, als er sich den Medien zum Gespräch stellte. "Sie haben zwei Fahrer bekanntgegeben, das heißt aber nicht, dass diese beiden auch fahren werden", sagte er etwas kryptisch - und war wohl selbst nicht sicher, wie es weitergeht. Er wolle das Gespräch mit Teamchefin Monisha Kaltenborn suchen. Laut eigener Aussage verfüge Sutil über einen mehrjährigen Vertrag mit dem Schweizer Rennstall.

Für Kaltenborn war die Angelegenheit unterdessen vom Tisch. "Ich weiß nicht, warum er so etwas gesagt hat", sagte sie mit Bezug auf Sutil. "Das muss man ihn fragen. Meine Ansichten werde ich ihm noch mitteilen. Ich bin mir der Situation sehr bewusst und weiß, was ich tue." Rund um Sutil scheint sich ein Rechtsstreit über die Vertragslage anzubahnen. Allerdings dürfte die Führungsetage von Sauber - vor allem Kaltenborn - Nasr nicht ins Blaue hinein verpflichtet, sondern sich abgesichert haben. Laut unbestätigten Medienberichten könnte Sutil eine Abfindung in Millionenhöhe kassieren - sofern er wirklich über einen Vertrag für 2015 verfügt.

Adrian Sutil und Sauber gehen getrennte Wege, Foto: Sutton
Adrian Sutil und Sauber gehen getrennte Wege, Foto: Sutton

2. - Wusste Gutierrez von seinem Rauswurf?

Wahrscheinlich. Zumindest dürfte er etwas früher als Sutil erfahren haben, dass er 2015 nicht mehr für Sauber fährt. Das Team gab Nasrs Verpflichtung am Mittwochabend um 21:30 Uhr deutscher Zeit bekannt. Gutierrez' Statement zum Abschied folgte vier Stunden später via Twitter. "Unglücklicherweise sind wir in den langen Gesprächen und Verhandlungen zu keiner Übereinkunft gekommen", ließ der Mexikaner in einem offenen Brief mitteilen. Während Sutils Vertrag wohl für 2015 galt, war Gutierrez mit einem Einjahresvertrag ausgestattet. Sauber muss also keine Abfindung oder Ähnliches befürchten.

Wie geht es nun weiter für Gutierrez? Möglicherweise ist das Kapitel Formel 1 erst einmal beendet für den 23-Jährigen. Sein heimischer Sponsor, das Imperium von Carlos Slim, konnte oder wollte im Wettbieten um das Sauber-Cockpit offenbar nicht mehr mitmachen. Ob Gutierrez' Mitgift ausreicht, um bei einem anderen Team unterzukommen? Caterham, Marussia und Co. dürften sich angesichts der finanziellen Krise und Insolvenz wohl auf den zahlungsfähigsten Fahrer stürzen, um das Geschäft überhaupt am Laufen zu halten.

Esteban Gutierrez trifft Nachfolger Felipe Nasr in Brasilien, Foto: Sutton
Esteban Gutierrez trifft Nachfolger Felipe Nasr in Brasilien, Foto: Sutton

3. - Warum fiel die Wahl auf Nasr?

Mit Felipe Nasr hatten nur die wenigsten gerechnet. In den vergangenen Monaten tauchten so viele Namen im Dunstkreis des Teams auf, doch der 22-Jährige hatte in den Überlegungen keine ernsthafte Rolle gespielt. Den wohl wichtigsten Grund lieferte Sauber in der Pressemitteilung gleich selbst mit. "Das Sauber F1 Team freut sich, Felipe Nasr als Fahrer für die Saison 2015 und Banco do Brasil als seinen Partner bekanntzugeben", heißt es dort. Lateinamerikas größtes Finanzinstitut unterstützt Nasr seit vielen Jahren und will ihn seit geraumer Zeit in ein F1-Cockpit hieven.

Monisha Kaltenborn sprach ungewöhnlich offen vom finanziellen Aspekt, der bei der Verpflichtung eine Rolle spielte. "Man muss die Gesamtsituation der Formel 1 betrachten", räumte sie ein. "Finanziell ist sie eine große Herausforderung und Teams müssen Entscheidungen treffen. Man muss auch den finanziellen Aspekt berücksichtigen. Das ist bei uns nicht anders."

Auf sportlicher Ebene hat Nasr zumindest erste Gehversuche in der Formel 1 unternommen. Bei fünf Trainings saß er in dieser Saison für Williams im Cockpit, zuletzt an diesem Freitagmorgen in Interlagos. In seinem dritten Jahr in der GP2-Serie belegt er aktuell den zweiten Gesamtplatz. Von der Banco do Brasil wurde er als größte Hoffnung seit Senna in den Himmel gehoben. "Für Brasilien ist das sehr gut", sagte die brasilianische F1-Legende Nelson Piquet über den Nasr-Aufstieg. "Aber um ehrlich zu sein, habe ich nicht viele Rennen von ihm gesehen."

Felipe Nasr steigt 2015 zum Stammfahrer auf, Foto: Sutton
Felipe Nasr steigt 2015 zum Stammfahrer auf, Foto: Sutton

4. - Wie geht es mit Van der Garde weiter?

Giedo van der Garde sprach etwas deutlicher aus als Sutil, wie er Nasrs Bekanntgabe aufgenommen hat. Auch er soll lediglich durch Saubers Presseaussendung erfahren haben, dass er nächstes Jahr nicht für Sauber zum Stammfahrer aufsteigt. "Ich kann nur sagen, dass ich überrascht bin - und das in Großbuchstaben! Nächste Woche werden mein Management und Anwälte den Fall klären", sagte der Niederländer dem Schweizer Blick.

Er war sich seiner Sache sicher gewesen, hatte fest auf einen Stammplatz gehofft - samt freundlicher Unterstützung seines Hauptsponsors McGregor. "Es gibt einiges, das ich gern sagen würde, aber es ist wohl besser, wenn ich jetzt still bleibe", sagte Van der Garde weiter. "Ich war sehr zuversichtlich, deshalb war ich doch sehr überrascht darüber. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich mache dieses Wochenende meine Arbeit, bleibe ruhig, fahre heim und setze mich am Montag mit dem Management zusammen."

Van der Garde soll über 10 bis 12 Millionen Euro an Sponsorengeldern verfügen - ob diese Summe reicht, um bei einem anderen Team unterzukommen? Van der Garde saß dieses Jahr bei Sauber auf der Ersatzbank, kam bei sieben Trainings zum Einsatz.

Giedo van der Garde steht erst mal auf der Straße, Foto: Sutton
Giedo van der Garde steht erst mal auf der Straße, Foto: Sutton

5. - Was sagt Sauber zur Situation?

Monisha Kaltenborn strahlte in einer Presserunde am Donnerstag absolute Souveränität aus. Meckernde Fahrer? Vertragsbrüche? Schnellschuss-Verpflichtung? Das alles ließ die Sauber-Chefin kalt. "Wir haben unsere beiden Fahrer bekanntgegeben", erklärte sie. "Und so wird es auch sein. Ich wüsste nichts davon, dass nächstes Jahr mehr als zwei Autos eingesetzt werden." Gebetsmühlenartig wiederholte sie, dass die Situation für 2015 geklärt sei. Kaltenborn: "Ich weiß, was ich tue."

Dennoch wirkte die Verpflichtung von Nasr zumindest sehr spontan. Normalerweise sind solche Deals von langer Hand abgestimmt und werden unter den Parteien koordiniert. Für Sutil und Van der Garde ist die Situation noch nicht geklärt, sie haben Gespräche angekündigt - also wurde im Vorfeld nichts abgesprochen. Kaltenborn blockte ab: "Wenn es da noch irgendwelche anderen Sachen zu gibt, sind das interne Angelegenheiten, die wir auch nur intern besprechen könnten."

Monisha Kaltenborn bewahrt die Ruhe, Foto: Sutton
Monisha Kaltenborn bewahrt die Ruhe, Foto: Sutton

6. - Was wird aus Sirotkin?

Viele Ungereimtheiten um das Fahrer-Lineup für 2015. Klarer sind die Dinge unterdessen bei Sergey Sirotkin. Der junge Russe, der vor einiger Zeit bei Sauber als Einsatzfahrer geplant war, kann seine Aussichten auf die Formel 1 wohl erst einmal abschreiben. "Ich erwarte nicht, dass das nächstes Jahr weitergeht", sagte Monisha Kaltenborn klipp und klar über den Fahrer, der beim Russland Grand Prix zuletzt ein Freies Training bestreiten durfte.

Die Sauber-Chefin weiter: "Das hat viel mit seiner Situation zu tun. Ich denke aber nicht, dass es so fortläuft." Zuvor hatte Sauber die Zusammenarbeit mit 'Affiliated Driver' Simona de Silvestro beendet.