Der Kampf um den WM-Titel wird bei Weitem nicht nur auf der Strecke ausgetragen. Auch auf psychischer Ebene tragen Nico Rosberg und Lewis Hamilton ein Duell aus. In diesem trat mit Rosbergs Verbremser beim Italien GP wohl ein Wendepunkt ein. Rosberg selbst räumte ein, dass der Druck, den der heraneilende Teamkollege auf ihn ausübte, beim Verpassen des Bremspunktes eine Rolle spielte.

"Es ist für keinen leicht, unter Druck zu stehen und vor allem nicht, wenn ich jemanden unter Druck setze", erklärte Hamilton selbstbewusst. "Für mich ist es hart, wenn mich Fernando Alonso oder Sebastian Vettel unter Druck setzen." Er sei sich sicher, dass wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre, es sehr schwierig für ihn geworden wäre, Rosberg hinter sich zu halten.

Die Situation war jedoch nicht umgekehrt und somit konnte Hamilton auf der großen Treppe, die vor ihm liege, eine Stufe erklimmen. Der Brite konnte durch den Sieg in Monza den Rückstand auf Rosberg von 29 auf 22 Punkte verkürzen. "Ich liege bei den Punkten nicht vorne, das ist sicher, aber die Zeit wird zeigen, wie sich der psychologische Kampf entwickeln wird."

Immer mit einem Lächeln zum nächsten Rennen

Hamiltons mentale Stärke wurde in dieser Saison bereits mehrfach auf eine harte Probe gestellt. "Es ist nicht immer leicht, mit dem, was wir durchgemacht haben, umzugehen. Aber was mir auch immer passiert, ich versuche, das Blatt zu wenden - das ist meine Herangehensweise", meinte Hamilton. Lob erhält er von Mercedes-Motorsport-Chef Toto Wolff. "Ich bin schon seit einigen Rennen von ihm beeindruckt, denn er hatte ein paar furchtbare Wochenenden - furchtbare Samstage, furchtbare Sonntage. Er ist immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht zum nächsten Rennen gefahren, er war immer bester Dinge, bester Stimmung. Das ist insgesamt beeindruckend."

Jackie Stewart sieht Nico Rosberg leicht im Vorteil., Foto: Sutton
Jackie Stewart sieht Nico Rosberg leicht im Vorteil., Foto: Sutton

Ex-Formel-1-Pilot Jackie Stewart stimmt dem nicht zu. Er sieht Rosberg mental im Vorteil. "Ich bin Schotte und wette auf derartige Dinge kein Geld, und es ist sehr schwierig zu sagen. Aber Nico hat weniger emotionalen Ballast", meinte er. "Lewis ist immer noch recht emotional, wie wir gesehen haben. Wie man mental damit umgeht, ist ein großes Thema, in dieser Hinsicht hat Nico vielleicht einen kleinen Vorteil."

Man bekommt, was man sieht

Landsmann David Coulthard hingegen sieht Hamilton als gereift und in sich ruhend. Zu Beginn seiner Karriere hätten die Leute vielleicht noch nicht so genau gewusst, wer er ist. "Dann gab es eine Phase, in der wir Lewis etwas verloren haben, als er zu einem Rennfahrer mit mehreren Millionen auf dem Konto heranwuchs", so Coulthard in seiner Kolumne für die BBC. "Aber jetzt hat er sicher herausgefunden, wer er ist - es hat seinen eigenen Stil, weiß, was er in Bezug auf Partner und Lebensstil mag, Los Angeles, all das... Was bleibt, ist ein Gefühl von Aufrichtigkeit. Seine offenherzige Art scheint sich mit der Öffentlichkeit verbunden zu haben."

Es komme nicht darauf an, ob man Hamiltons Stil mag. Die Leute würden aber Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit respektieren. "Ich sage nicht, dass Rosberg nicht ehrlich ist, aber er zeigt uns nicht so viel von seiner Persönlichkeit. Bei Hamilton ist es sehr offensichtlich, dass man das bekommt, was man sieht."

Coulthard vergleicht Hamilton mit Landsmann Nigel Mansell, der, wenn er über die Öffentlichkeit sprach, genau das meinte, was er sagte. "Er glaubte, dass die Leute ihn liebten und er wollte für sie fahren. Auf die gleiche Weise scheint Hamilton die Kraft der Menschen hinter sich zu haben - es war bemerkenswert, wie ihn die italienischen Fans während des Rennens und danach angefeuert haben", meinte Coulthard.

Der ehemalige Formel-1-Pilot vergleicht Rosbergs Situation, als Hamilton ihn unter Druck setzte und er am Ende der Start-Ziel-Geraden seinen Bremspunkt verpasste, mit einem hohen Ball beim Tennis - einem, bei dem der Spieler lange warten muss, ehe er auf Schlaghöhe kommt. "Und dann verpasst er den Schlag." Das Ganze passiere nicht unterbewusst im Kleinhirn, sondern bewusst im Frontallappen. "Das ist Druck. Man wird sich der Konsequenzen bewusst."

Coulthard versuchte, sich Rosbergs Gedankengänge während des Rennens vorzustellen: 'Ok, ich liege in Führung. Es sieht gut aus.' Dann: 'Was? Er ist Zweiter?' Und schließlich: 'Und jetzt holt er auf mich auf?' Dadurch sei Rosberg mehr mit Denken als mit Fahren beschäftigt gewesen. "Und so passieren schließlich Fehler, so wie die zwei, die Rosberg während des Rennens gemacht hat."

Positiver und negativer Druck

Dennoch will Coulthard Hamiltons Sieg über Rosberg nicht als einen entscheidenden Augenblick in der Saison sehen - zumindest nicht in Bezug auf den WM-Kampf. In Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung der beiden Piloten sei es dagegen sicherlich ein entscheidender Moment gewesen. "Hamilton ist heute vielleicht beliebter als je zuvor", meinte Coulthard.

Und Hamilton hat seiner Ansicht nach einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Sollte er eines Tages im Zweikampf mit Rosberg kollidieren, würde man das wohl als ausgleichende Gerechtigkeit ansehen. "Aber Rosberg kann das nicht noch einmal machen. Hamiltons Hauptkonkurrent hat schon die gelbe Karte. Eine weitere und er bekommt eine rote, wenn auch nur eine metaphorische", erklärte Coulthard. "Psychologisch gesehen ist das ein anderer Druck. Auch wenn Hamilton 22 Punkte zurückliegt, hat er positiven Druck und Rosberg negativen."