"Schumacher befindet sich nicht mehr im Koma" - wie lässt sich diese Meldung einschätzen?

"Man darf sich nicht vorstellen, dass jemand nach fünf Monaten im Koma aufwacht wie eine Person in der Früh aufwacht und noch der gleiche Mensch ist. Das wäre ein absoluter Fehlglaube." Universitätsprofessor Dr. Gerhard Wolf, der in der Allgemeinchirurgie des Landeskrankenhaus Graz arbeitet und seit 1997 Mitglied der Medical Commission der FIA ist, deutet die Pressemitteilung von Schumachers-Management zwar als positives Zeichen, aber nicht mehr. "Ich deute es so, dass sich Verbesserungen eingestellt haben, sodass Michael Schumacher nicht mehr intensivmedizinisch betreut werden muss und jetzt in die Phase der Rehabilitation kommt", erklärte Dr. Wolf gegenüber Motorsport-Magazin.com.

In welcher körperlichen Verfassung befindet sich Schumacher?

169 Tage im Koma hinterlassen körperliche Spuren. Medien spekulieren, dass Schumacher in den vergangenen Monaten rund 20 Kilogramm Muskelmasse verloren hat. Dr. Wolf bestätigt: "Es ist natürlich ein Muskelschwund zu verzeichnen. Man darf sich nicht vorstellen, dass derselbe Mensch dort im Krankenbett liegt." Aber auch der neurologische Zustand des Deutschen ist noch weit vom Normalzustand entfernt. "Dass Schumacher auf Berührungen reagiert, ist eine dem Koma noch sehr nahe Lebensform. Dieser Zustand ist immer noch sehr weit weg vom normalen, aber es ist zumindest eine Reaktion, die der Körper nach dieser langen Zeit zeigt. Nach fünf Monaten im Koma kann man diese Reaktionen durchaus als Erfolg bezeichnen", meint Dr. Wolf.

Wird Schumacher je wieder der Alte sein?

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass bei Michael Schumacher Defizite bleiben - mental und/oder körperlich. "Das ist eine medizinische Tatsache", sagt Dr. Wolf und fügt hinzu: "Natürlich wissen wir aufgrund der spärlichen Informationen seitens des Managements nicht wie der neurologische Zustand von Schumacher ist, aber aufgrund meiner Erfahrung fürchte ich, dass Defizite bleiben werden. Ich bin sehr pessimistisch, dass Schumacher noch einmal so wird wie wir ihn alle kennen."

Die Welt freut sich: Schumacher ist erwacht, Foto: Motorsport-Magazin.com
Die Welt freut sich: Schumacher ist erwacht, Foto: Motorsport-Magazin.com

Wie lange dauert die Reha-Phase?

Michael Schumacher erwartet jetzt eine lange Phase der Rehabilitation wie bereits seine Managerin Sabine Kehm in der offiziellen Presseaussendung am Montag betonte. Der Deutsche wurde aus der Uniklinik in Grenoble in eine Reha-Klinik in Lausanne verlegt, wo er von Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten betreut wird. Doch wie lange wird die Reha-Phase dauern? Ärzte ziehen in Fällen wie von Michael Schumacher eine Grenze von einem Jahr. "Wir wissen nach einem Jahr wie der Zustand des Patienten ist. Alles nach einem Jahr kann man als bleibend ansehen. Wir reden hier also von vielen Monaten Reha, die vor Schumacher liegen", erklärte Dr. Wolf.

Welche Therapien stehen jetzt an?

Als Erstes steht die Mobilisation an, damit Schumacher aus dem Bett kommt. Die Ärzte werden versuchen den Rekordweltmeister mittels Hilfsmittel zu bewegen. Zusätzlich werden verschiedene neurologische Übungen durchgeführt werden, die man mit neurologischen Tests bei Kindern vergleichen kann. Diese sollen den Ärzten Aufschluss darüber geben inwieweit Schumachers neurologische Funktionen zurückkehren. "In den nächsten Wochen sind die einfachsten Dinge dran - aufstehen, sich bewegen. Und natürlich darf man die Pflege nicht vergessen. Diese spielt eine wichtige Rolle, damit Schumacher keine weiteren Schäden nimmt, sich zum Beispiel wund liegt oder sonstige Infektionen bekommt", sagt Dr. Wolf. Neben dem Schlucken, Stehen, Gehen muss Schumacher auch das Sprechen neu erlernen. Doch Dr. Wolf weiß: "Das Sprechen ist eine Leistung, die nach solchen Hirnschäden sehr spät zurückkommt."

Wie wichtig ist die Unterstützung der Familie in der Reha-Phase?

In den vergangenen Monaten wich Ehefrau Corrina nicht von Schumachers Seite. Sie wird auch in der Reha-Phase eine Schlüsselrolle spielen. "Wir können das nicht abmessen, aber wir wissen, dass die Patienten spüren, ob sie sich in einem guten oder schlechten Zustand befinden - das gilt auch für die Phase, in der der Patient noch im Koma liegt. Die Anwesenheit der Familie hat definitiv einen entscheidenden, positiven Effekt auf den Patienten", sagt Dr. Wolf. Das scheint auch der Grund zu sein, weshalb sich die Familie für Lausanne entschied. Die Klinik liegt nur 30 Autominuten vom Schumacher-Domizil in Gland entfernt.