Wie würden Sie den E22 beschreiben?
Nick Chester: Ich würde sagen, wir haben eine ziemlich elegante Lösung für das neue Technische Reglement gefunden. Die neuen Regularien sind eine gewaltige Herausforderung und wir mussten eigentlich ein komplett neues Auto entwerfen, das mit unseren bisherigen Designs kaum etwas gemein hatte. Trotz vieler Hürden sind wir sehr zufrieden mit unser Regelauslegung und dem Auto, das wir gebaut haben.

Sprechen wir über die Nase: Ist das eine alternative Annäherung an die Regularien?
Nick Chester: Die Nase ist definitiv sehr interessant! Sie hat sehr viel verbales Echo produziert. Wir denken, dass diese eine ziemlich innovative und gleichzeitig schöne Lösung darstellt. Natürlich haben wir - wie bei der Einführung neuer Regularien immer üblich - mit der FIA im Vorfeld kommuniziert, ob sie mit der Art des Designs zufrieden sind. Es ist schön, zumindest in mancherlei Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal vorweisen zu können. Nachdem wir die Entwicklungen der anderen Teams nun gesehen haben, sind wir mit dem von uns eingeschlagenen Weg noch zufriedener.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Einbettung der neuen Power Units mit all der zusätzlichen magischen Energierückgewinnungs-Systeme in das Gesamtpaket?
Nick Chester: Die neuen Power Units beinhalten Rückgewinnungssysteme für Abwärme und Bremsenergie und nehmen somit logischerweise einen viel größeren Prozentsatz des Paketes ein als zuvor. Wir müssen größere Energiespeicher im Auto unterbringen, deutlich mehr elektrische Kabel und natürlich viel umfangreichere Kühlsysteme als in den Jahren zuvor. Die Systeme sind zudem deutlich komplizierter. Ein elegantes und effizientes 'Paket' für Power Unit und Kühlsysteme zu entwickeln war sehr schwierig, aber wir sind sehr zufrieden mit unserem Fortschritt diesbezüglich.

Wieviel ist am E22 wirklich neu und gibt es trotz derart großer technischer Regeländerungen noch Elemente früherer Wagen, die einfach übertragen werden können?
Nick Chester: Der E22 ist komplett neu. Wir konnten ehrlich gesagt kaum etwas von früheren Modellen übernehmen. Jedoch war es uns in bestimmten Bereichen zumindest möglich, früheren Herangehensweisen zu folgen, wie beispielsweise bei der Aerodynamik und der Radaufhängung. Vor allem in diesen Bereichen war Vorerfahrung früherer Designs und Probleme äußerst relevant.

Wo liegen denn die größten Unterschiede bei den diesjährigen Autos?
Nick Chester: Es ist wahrscheinlich einfacher, die Ähnlichkeiten aufzuzählen. Sogar der Frontflügel, der für den Laien ähnlich anmuten mag, wurde nach neuem Technischen Reglement konstruiert und ist deshalb komplett anders. Dass die maximale Weite des Frontflügels neu definiert wurde, hat - in Kombination mit der Position der Räder - immense Auswirkungen auf den Luftfluss um das Auto. Wenn wir den E21 und den E22 ohne Chassis nebeneinander stellen würden, wären gewaltige Unterschiede auf Anhieb erkennbar. Schon alleine die viel größeren Kühler des E22 würden sofort ins Auge stechen. Der 1,6 Liter V6 Motor des neuen Autos ist hingegen deutlich kleiner als der 2,4 Liter V8 Saugmotor des Vorgängers, jedoch ist das Getriebe dennoch größer als vorige Versionen. Die Energierückgewinnungs-, Energiespeicher- und Energieumsetzungssysteme sowie sämtliche dazugehörige Elektronik haben zur Folge, dass das Innenleben des E22 gänzlich anders ist. Diese Faktoren sowie auch zahlreiche andere haben uns eine Menge zeit gekostet, doch ich bin mir sicher, dass sich der Aufwand gelohnt hat und wir die richtige Richtung eingeschlagen haben.

Wie wird das Rennfahren dieses Jahr aussehen?
Nick Chester: Es wird auf alle Fälle einmal sehr interessant! Wir erwarten allesamt Überraschungen und es ist sehr schwierig das Kräfteverhältnis vorherzusagen - sowohl zu Beginn eines Rennwochenendes als auch am Ende des Rennens selbst. Die Herausforderungen, denen wir alle uns stellen müssen, wie vor allem ein Rennen mit lediglich 100 kg Sprit zu bestreiten, fordern von jedem Team absolute Topleistung in allen Bereichen. Es wird definitiv sehr interessant werden.

Wie groß ist die Sorge Zuverlässigkeit?
Nick Chester: Die Sorge ist für alle Teams riesig, denn alles ist neu und gänzlich anders als alles bisher dagewesene. Wir haben bei den Eröffnungstests gesehen, dass einige der Autos praktisch auf Anhieb funktionierten und direkt viele Runden abspulen konnten, andere jedoch nicht. Jedes Team wird in den ersten Rennen der Saison eine Menge lernen und wir erwarten allesamt das Unerwartete! Ich denke, kein Team wird die selbe Quote an Zielankünften haben wie in den vorigen Jahren, als die Autos vor allem gegen Ende so gut entwickelt und verlässlich waren, dass wir kaum Ausfälle hatten. Unsere Herausforderung ab diesem Jahr ist somit natürlich, auch die neue Generation an Autos wieder auf dieses verlässliche Niveau zu bringen, obwohl diese mit all der neuen Technologie deutlich komplexere Maschinen sind. Sollte dies gelingen, wäre es eine enorme Leistung für die gesamte Formel 1.

Mit all den neuen und unterschiedlichen Regularien - werden wir eine deutlich größere Entwicklungsspanne an den Autos während der Saison erkennen können als noch in den vorigen Jahren?
Nick Chester: Wir müssen uns immer noch an die neuen technischen Regularien gewöhnen und ich erwarte deshalb, dass das Niveau der Weiterentwicklung über die Saison hinweg deutlich größer sein wird - auch weil wir quasi ständig Neues über die Autos lernen werden. Dies kann natürlich zur Folge haben, dass die Hackordnung im Feld sich während der Saison mehrfach verschiebt, da verschiedene Teams zu verschiedenen Zeitpunkten große Schritte mit der Entwicklung des Autos machen werden.

Wenn Sie sich die Modelle der anderen Teams anschauen - wie zuversichtlich sind Sie, mit Ihrer Herangehensweise eine gute Lösung gefunden zu haben?
Nick Chester: Ich habe viele vielversprechende und schöne Ansätze im Feld gesehen. Vor allem Mercedes und Red Bull warten bereits mit einigen wirklich interessanten Aspekten an ihren Autos auf. Dennoch sind wir auch nach eingehender Studie der anderen Herangehensweisen immer noch sehr zufrieden mit unserem Modell und der Interpretation des Technischen Reglements. Wir haben in Enstone wirklich hart gearbeitet und können nun eine sehr elegante Lösung präsentieren. Es wird sehr interessant sein, alle Autos gegeneinander auf der Strecke antreten zu sehen und vor allem zu beobachten, wie sich die einzelnen Rennen entwickeln.