Ihre beiden Piloten Jean-Eric Vergne und Daniel Ricciardo dominierten in der ersten Saisonhälfte die Schlagzeilen, allerdings nicht in Verbindung mit Toro Rosso, sondern mit einem Wechsel zu Red Bull. Stört es Sie, dass Toro Rosso nur als 'Fahrschule' für künftige Red-Bull-Piloten gesehen wird?
Franz Tost: Nein, das stört mich überhaupt nicht, aus dem einfachen Grund, dass das die Philosophie von Toro Rosso ist. Dietrich Mateschitz beziehungsweise Red Bull haben damals Minardi mit der Zielsetzung gekauft, jungen Red-Bull-Fahrern den Einstieg in die Formel 1 zu ermöglichen und sie für einen späteren Einsatz bei Red Bull Racing auszubilden, damit sie dort um die Weltmeisterschaft mitfahren können. Das hat mit Sebastian Vettel sehr gut funktioniert und könnte nun auch mit Daniel funktionieren.

Sebastian Vettel fuhr ein Jahr für Ihr Team, bevor er zu Red Bull wechselte. Was danach kam, wissen wir alle. Schreiben Sie seinen Erfolg auch ein wenig Ihrem Team zu?
Franz Tost: Das Team hat sicherlich dazu beigetragen, aber letztendlich kann sich jeder Fahrer den Erfolg nur selbst zuschreiben, denn er selbst muss die Leistung bringen. Sebastian kann sich für seine drei Titel selbst auf die Schulter klopfen. Klar braucht er ein Team, aber der Fahrer ist ein ganz entscheidender Faktor. Wobei in diesem Punkt viele Dinge mitschwingen, zum Beispiel wie sich ein Fahrer bei den Meetings einbringt, wie er ein Team führt, wie er mit den Technikern kommuniziert, wie er die Technik im Allgemeinen versteht, wie diszipliniert er arbeitet - all diese Komponenten zusammen ergeben ein Gesamtbild.

Franz Tost erklärt Motorsport-Magazin.com seine Formel-1-Philisophie, Foto: Sutton
Franz Tost erklärt Motorsport-Magazin.com seine Formel-1-Philisophie, Foto: Sutton

Sie haben die Philosophie von Toro Rosso angesprochen. Ist es nicht Fakt, dass die ursprüngliche Philosophie von Dietrich Mateschitz vorgesehen hatte, dass es vier identische Autos gibt?
Franz Tost: Das stimmt, so hat es angefangen. Als ich nach Faenza gekommen bin, hat es zwei Hallen gegeben und geheißen, dass wir nur die Autos auf den Renneinsatz vorbereiten müssen. Alles andere würden wir von Red Bull Technology bekommen. [lacht] Das war die ursprüngliche Vision, was zu Beginn auch sehr gut geklappt hat. Wir haben zwar von 2006 bis 2008 keine identischen Autos eingesetzt, weil wir stets einen anderen Motor gehabt haben, nichtsdestotrotz haben wir von Red Bull Zeichnungen, Teile und vieles mehr bekommen.

Dieses System war eine Vision von Mateschitz, die unglaublich erfolgreich war. Wir haben sowohl sportlichen als auch wirtschaftlichen Erfolg erzielt, denn wir haben kein Geld für Forschung oder Entwicklung ausgeben müssen. Wir haben weder ein Aerodynamik- und Designteam, noch eine größere Produktion gehabt, stattdessen ist das alles bei Red Bull Technology geschehen.

Für mich war das damals ein Modell der Zukunft und wenn jetzt über Kostensparen geredet wird, dann bin ich immer noch der Meinung, dass es die perfekte Lösung wäre, wenn es sechs Werks- und sechs Customer-Teams gäbe. Nicht jedes Team muss einen eigenen Windkanal, Designteam und Produktion haben. Das wäre kostengünstiger und die Autos würden viel enger beieinander liegen - aber man wollte das in der Formel 1 nicht. Dabei haben gerade jene Teams jetzt finanzielle Probleme, die damals am lautesten dagegen waren.

Können Sie mit dem finanziellen Rückhalt von Red Bull ruhiger schlafen als manch anderer Teamchef?
Franz Tost: [lacht] Ich schlafe prinzipiell gut.

Seit 2010 baut Toro Rosso nun das Auto eigenständig. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich Ihr Team im Mittelfeld etabliert und kann dieses Jahr sogar die Top-Teams ab und an ärgern. Trotzdem steht Toro Rosso weiterhin medial im Schatten von Red Bull. Hand aufs Herz - nervt Sie das?
Franz Tost: Nein. Die Formel 1 ist performanceorientiert. Die Leute interessieren sich daher nur für jene Teams, die vorne stehen. Es liegt jetzt in unseren Händen, Toro Rosso nach vorne zu bringen. Wir haben in den vergangenen Jahren die Infrastruktur in Faenza verbessert, auch wenn der Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Bis wir das Niveau erreicht haben, das für mich halbwegs akzeptabel ist, werden wir wohl das Jahr 2015 oder 2016 schreiben. Bis dahin müssen wir es geschafft haben, dass wir in der Konstrukteurs-WM permanent um Platz fünf mitkämpfen. Das bedeutet, dass wir das eine oder andere Spitzenresultat einfahren müssen. Das ist unsere Zielsetzung.

Tost sieht Toro Rosso als Nachwuchs-Akademie, Foto: Sutton
Tost sieht Toro Rosso als Nachwuchs-Akademie, Foto: Sutton

Aber braucht es nicht zwei gute Fahrer, um diese Zielsetzung zu erreichen? Wie soll das gehen, wenn Top-Piloten wie einst Sebastian Vettel zu Red Bull abwandern?
Franz Tost: Ich habe immer gesagt, dass das gar kein Problem ist. Man braucht nur einen guten Fahrer und den haben wir mit Jean-Eric [Vergne]. Neben diesem zieht man einen jungen Fahrer heran. Wenn wir dieses System beibehalten, werden wir irgendwann in die Situation kommen, dass wir vier sehr, sehr starke Red-Bull-/Toro Rosso-Fahrer haben. Das geht aber nicht von heute auf morgen.

Bei Red Bull Racing sind die Erfolge längst da. Würden Sie gerne einmal mit Christian Horner tauschen und Red-Bull-Teamchef sein?
Franz Tost: Seine Position würde mich nicht reizen, weil Red Bull ein Siegerteam ist. Ich brauche eine Herausforderung und diese sehe ich darin, eines Tages mit Toro Rosso Rennen zu gewinnen.

Sie haben jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit jungen Fahrern. Haben sich die Anforderungen an die Einsteiger in den vergangenen Jahren verändert?
Franz Tost: Es wird mit Sicherheit von den heutigen Piloten sehr viel gefordert, allerdings muss man das in einem Gesamtentwicklungsprozess sehen. Die ganze Ausbildung eines Rennfahrers ist heute anders. Wenn heute ein Fahrer in die Formel 1 kommt, dann ist er um die 20 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt ist er aber schon mindestens 15 Jahre lang Rennen gefahren.

Die meisten fangen mit sechs oder sieben Jahren an, Kart zu fahren, dann starten sie bei Rennen, kommen in die Nachwuchsserien. Wenn sie dann in die Formel 1 kommen, sind sie fahrerisch bereits auf einem sehr hohen Niveau. Das hat es früher alles nicht gegeben. Früher hat einer mit 18 Jahren seinen Führerschein gemacht und damit auch seine Rennlizenz bekommen. Damals galt ein ganz anderes Anforderungsprofil als heute. Wenn heute ein Fahrer mit sechs, sieben Jahren anfängt, dann wird er gleich in die ganze Maschinerie integriert - dazu gehören auch Pressearbeit und Marketing.

Natürlich stellt der Eintritt in die Formel 1 wieder Neuland für den Fahrer dar, weil er mit viel mehr Leuten zusammenarbeiten muss. In den Nachwuchsrennserien hat ein Fahrer einen Mechaniker, in der Formel 1 hat er Fahrzeugs- und Daten-Ingenieure, wobei es da einen für das Getriebe, einen für das Chassis, einen für den Motor gibt. Diese Vielzahl an Leuten und Informationen ist die eigentliche Herausforderung für junge Fahrer. Sie müssen all das verstehen - und nicht nur verstehen, sondern auch so umsetzen, dass es ihnen einen Wettbewerbsvorteil bringt. Und genau hier kommen die drei Jahre ins Spiel.

Daniel Ricciardo hat den Sprung zu Red Bull geschafft, Foto: Red Bull
Daniel Ricciardo hat den Sprung zu Red Bull geschafft, Foto: Red Bull

Damit spielen Sie auf eine frühere Aussage von Ihnen an, dass es mindestens drei Jahre braucht, bis ein Fahrer die Formel 1 ganz versteht.
Franz Tost: Ja. Ein Fahrer braucht eine gewisse Zeit, um die Formel 1 richtig zu verstehen und um die Informationen so zu nutzen, dass er auch Erfolg hat.

Dementsprechend müssten Sie den möglichen Formel-1-Einstieg des 17-jährigen Sergej Sirotkin bei Sauber kritisch sehen. In den Medien wurde der Russe heiß diskutiert.
Franz Tost: Ich kenne ihn nicht und auch nicht die genauen Umstände. Was in den Medien geschrieben wird, ist eine Sache. Was tatsächlich passiert, eine andere. Momentan fährt er in der Renault World Series, somit ist er nicht ganz unerfahren. Und vor ihm liegt noch eine zweite Saisonhälfte. Man muss ihm Zeit geben und dann wird man sehen. Allerdings ist meine Meinung, dass Fahrer vor 20, 21 oder 22 Jahren nichts in der Formel 1 zu suchen haben. Die Formel 1 ist eine enorme, mentale Belastung und mit 17, 18 oder 19 Jahren ist es sehr schwer, mit all dem klarzukommen und gleichzeitig gute Leistungen zu bringen.

Zurück zu Toro Rosso - vor welchen Hürden steht Toro Rosso angesichts des neuen Reglements 2014?
Franz Tost: Vor diesen Hürden stehen nicht nur wir, sondern jedes Team. Das ist ein kompletter Neuanfang. Wir müssen vom Chassis her ein völlig neues Auto bauen. Auch die Power Unit ist völlig neu, wir haben den 1,6 Liter V6-Motor mit Turboauflader, inklusive ERS-Einheit. Das System hat doppelt so viel Power wie dieses Jahr. 2013 haben wir um die 80 bis 85 PS, im nächsten Jahr werden es 160 bis 170 PS sein. Ein wichtiges Kriterium wird sein, dass man mit dem Benzinverbrauch haushält, das heißt, dass 2014 die Rennstrategien sehr kompliziert werden.

Man muss den Benzinverbrauch beachten sowie den Turbomotor und ERS entsprechend einsetzen. Nur wenn man diese drei Punkte optimal zum Arbeiten bringt, kann man erfolgreich sein - abgesehen von allem anderen wie dem Setup oder den Reifen. Das Rennfahren wird nächstes Jahr wesentlich komplizierter, es werden an den Lenkrädern weitere Knöpfe hinzukommen. Die Fahrer werden einiges zu tun haben, was aber kein Problem ist, denn das sind alles Computer-Kids. Das war aber jetzt nur der technische Teil, dazu kommt noch die Kühlung. Es braucht einen Turbo-, Motor, ERS- sowie Batteriekühler - das gesamte Auto ist mit Kühlern von vorne bis hinten eingekleidet. Das wird verdammt schwierig.

2014 wartet eine neue Herausforderung auf Toro Rosso, Foto: Sutton
2014 wartet eine neue Herausforderung auf Toro Rosso, Foto: Sutton

Und dann ist da auch noch die finanzielle Seite.
Franz Tost: Stimmt. Das alles ist viel zu teuer. Die Saison kostet uns mit Sicherheit 20 Millionen Euro mehr als die diesjährige. So viel zum Sparen in der Formel 1. Das wird alles nicht einfach.

Hoffen Sie, dass 2014 endgültig der James-Key-Effekt beim Auto zum Tragen kommt?
Franz Tost: Das ist jetzt schon der Fall. James Key ist im Vorjahr im September zum Team gestoßen und seine Ideen sind 60 bis 70 Prozent in das Anfangsauto miteingeflossen. Ab dem Spanien GP 2013 war der STR8 dann zu 100 Prozent sein Auto und mit Sicherheit wird der Key-Effekt beim neuen Auto noch größer zum Tragen kommen.

Denken Sie überhaupt über zukünftige Toro-Rosso-Siege oder gar WM-Titel nach oder ist das alles zu weit weg?
Franz Tost: Man muss solche Dinge Schritt für Schritt angehen. Ich schlafe zwar gut, aber ein WM-Titel wäre absolute Träumerei. Die Formel 1 hat ihre Gesetze und in der Formel 1 kann man nur erfolgreich sein, wenn wirklich alles passt. Das beginnt bei der Infrastruktur und da spreche ich jetzt nicht nur von den Gebäuden. Man muss ein Team technisch aufbauen, dazu gehört die Aerodynamik und dazu wiederum CFD und Windkanal.

Dann braucht es eine Designabteilung, deren Mitarbeiter optimal zusammenarbeiten. In der Produktion muss eine absolute Genauigkeit beachtet werden, usw. Da gibt es viele, viele Themen, die berücksichtig werden müssen und das nimmt Zeit in Anspruch. Wenn ich jetzt anfangen würde, von Siegen in naher Zukunft zu träumen, dann wäre ich nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Das ist einfach illusorisch.

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