Sebastian Vettel krönte sich zum jüngsten Vierfach-Champion. Viele sprechen seinen Erfolg allerdings dem Auto bzw. Adrian Newey zu. Ist das gerechtfertigt?
Emanuele Pirro: In meinen Augen wird sein Talent nicht genügend gewürdigt. Er leistet unglaubliche Arbeit. Ich würde ihn gerne in einem anderen Team sehen, damit er den Leuten beweisen kann, dass er ein ganz besonderer Fahrer ist. Neben seinem außergewöhnlichen Talent hat er seit einiger Zeit einen außerordentlichen Lauf. Es ist sehr schwierig, so etwas aufrechtzuerhalten. So starke Leistungen über einen so langen Zeitraum zu zeigen - über vier Jahre - ist äußerst schwierig. Ich denke, dass Sebastian besser ist als die meisten Menschen denken. Er ist ein außergewöhnlicher Fahrer.

Vergleichbar mit Senna oder Schumacher?
Emanuele Pirro: Für mich gibt es Superchampions, die nicht nur wegen ihrer Erfolge ganz oben stehen, sondern auch wegen ihres Charismas und ihrer Art abseits des Cockpits. So gesehen würde ich Sebastian noch nicht auf dem gleichen Level sehen wie Alain Prost oder Ayrton Senna - mit Blick auf Persönlichkeit, Charakter, Charisma. Es wäre schön, ihn in einem Duell zu erleben. Das hat viele Fahrer in der Vergangenheit geschärft. Prost wäre ohne Senna nicht so gewesen wie er war und umgekehrt. Sie hätten sicher mehr gewonnen, wenn der andere nicht da gewesen wäre, aber sie hätten sich vielleicht nicht so sehr in die Herzen der Menschen gefahren.

Was meinen Sie, ist Vettel trotz seines Erfolgs der Gleiche geblieben?
Emanuele Pirro: Ich kenne Sebastian nicht allzu gut. Deshalb möchte ich dazu nicht allzu viel sagen. Aber in einer Position wie seiner legt man vorher fest, wie man sich gibt. Man ist vielleicht ein ganz anderer Mensch, aber man kann es sich nicht leisten, das zu zeigen. Das ist eine der Kehrseiten der heutigen Motorsportwelt. In den Zeiten von Prost und Senna fing es an, sich zu ändern. Davor waren die Leute so wie sie waren. Regazzoni, Lauda, Jones, jeder hatte seine Persönlichkeit und keiner versuchte, sie zu verstecken. Heute stehen die Fahrer mehr im Rampenlicht. Wenn sie etwas falsch machen, wird es ihnen nicht so einfach vergeben. Früher war es der Charakter der Fahrer, zum Beispiel von vielen Frauen umgeben zu sein. Heute bremst jeder sein Temperament. Dass die Fahrer heute nicht mehr so sehr aus sich herausgehen, hat damit zu tun, dass sie sich selbst beschützen wollen.